Porträts

Das Unsichtbare im Bild. Ein Porträt des Fotokünstlers André Wagner

»Mich interessiert vor allen Dingen, das Mystische, Transzendentale, genau genommen das Unsichtbare auszudrücken. Das, was man nur mit dem Inneren sieht« sagt André Wagner selbst über sich und seine Kunst. Eine lange Belichtungszeit sorgt dafür, dass seine Fotografien wie Malereien mit Licht erscheinen. Susanne Braun stellt ihn vor.

Da ist etwa das ganz besonders intensive Blau des Himmels, das eine in goldenes Licht getauchte indische Heiligenstatue umgibt oder die mystische Unschärfe, in die eine bunt gekleidete Menschenmasse gehüllt ist und das sehr intensive Funkeln des Lichts auf der schäumenden Krone einer am Meeresstrand auslaufenden Welle, die André Wagners Bilder so auffällig machen. Alle zeigen sie einen außergewöhnlichen Blick auf Vertrautes, indem sie, manchmal nur in kleinen Details, mit bekannten Sehgewohnheiten brechen und auf eine Dimension verweisen, die über das rein Materielle hinausgeht. »Mit meinen Bildern versuche ich das geistige Niveau, das jeder hat, zu aktivieren. In unserer Gesellschaft schenkt man den materiellen Dingen oft sehr viel Bedeutung, dabei sind wir auch geistige Wesen, beides sind Themen, die mich beschäftigen und ich versuche in meiner Kunst, diese Impulse zum Ausdruck zu bringen. Kunst kann die Menschen mit ihrem Inneren verknüpfen und sie zu ihrer eigenen Fantasie Zugang finden lassen. Wenn man sich nicht nur auf das Körperliche beschränkt, wird die Welt eine, mit der jeder was zu tun hat«, beschreibt André Wagner den eigenen Anspruch an sein Werk.

Von der Graffiti-Kunst kommend, setzt André Wagner seine Motive als ausgebildeter Fotograf technisch perfekt in Szene. Früh ist er bereits mit dem Deutschen Jugendfotopreis ausgezeichnet worden, danach folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen wie der Prize for Photography about Kaunas/Litauen oder der Annual Photograph Master’s Cup. In diesem Jahr ist zum ersten Mal eine umfangreiche Ausstellung seines Werks im Rahmen der »photokina« in Köln, der internationalen Leitmesse rund um das Bild, zu sehen gewesen. André Wagners Bilder verbinden Elemente aus Malerei, Performance sowie Philosophie und bewegen sich häufig an der Grenze zur Abstraktion. Diese besonderen Effekte erzielt er nicht durch Manipulationen am fertigen Bild, sondern setzt, wie in den Anfängen der Fotografie, auf eine extrem lange Belichtungszeit. »Mein Photoshop ist die Zeit«, erklärt er, »Es geht dabei nicht nur um Belichtungszeit, sondern auch um Lebenszeit«. Light-Painting ist dabei ein wichtiges Stilmittel, wobei er vorwiegend keine künstlichen Lichtquellen, sondern das der Natur entstammende Element Feuer verwendet. »Das Feuer passt in die Natur, weil es Teil der Natur ist. Damit muss ich auch vorsichtig umgehen, ich will ja nichts kaputt machen. Es geht auch nicht darum, dass ich damit spielen möchte. Das Feuer gehört dazu«. Durch das Verschwimmen einer Menschenmasse zu einem bunten Nebel oder der sich auf der Fotografie in einem ausgetrockneten Flussbett abzeichnenden Feuerspirale bricht André Wagner mit der Abbildung der reinen Gegenständlichkeit und gibt darüber hinaus dem Faktor Zeit Raum und Ausdruck.

Seine Motive findet André Wagner nicht nur in Deutschland, sondern auch in Island, Litauen, Finnland, den USA, Neuseeland oder Indien.Seine Reisen bereitet er zum Teil jahrelang vor, die Motive wählt er dann aber - mit einer genauen Vorstellung im Kopf - oft nach dem Zufallsprinzip aus. : »Wenn ich auf Motivsuche bin, dann fahre ich einfach so durch die Gegend und sortiere, was ich sehe nach dem Motto: Passt in meine Idee, oder passt nicht dazu«. In Neuseeland sind so zahlreiche Fotografien entstanden, die durch André Wagners spezielle Aufnahmetechnik in Verbindung mit Feuer und Anspielungen auf die europäische Kunstgeschichte einen neuen Blick auf dortige Landschaften eröffnen. Das Zusammenwirken der unendlichen Weite der Landschaft mit einer besonderen Färbung des Himmels oder die immer wieder geheimnisvoll und unergründlich in Szene gesetzte üppige Vegetation sowie bizarre Gesteinsformationen in den dortigen Wäldern wirken nicht nur auf den Fotografien surreal und ein wenig unheimlich: »Es gibt Momente, wo ich selber extremen Respekt vor der Natur habe. Schließlich bin ich hier auch ein Fremder und nicht immer mit den Locations vertraut, die ich fotografiere«.

Ganz besonders gerne reist André Wagner nach Indien. Sein detailreiches Wissen über die indische Kultur hat etwa die Gestaltung des Bildes »vibrations« (2004) aus der Serie »romance of elements« beeinflusst. Wellenförmig laufen darauf grelle Feuerstreifen in Richtung Wasser, eine Anspielung auf die dem Ganges zugeschriebene Eigenschaft, Leiden (Karma) zu lindern. »Es ist ein bisschen so, als ob sich das Feuer zum Wasser bewegt und darin verlischt«, erklärt André Wagner die Symbolik. Auf anderen Fotografien setzt er heilige Statuen, Orte oder den Akt des Meditierens auf die ihm eigene Weise in Szene: »Die Gesellschaft ist sehr wissenschaftlich glaubend geprägt, es gibt nur das, was man sieht, schmeckt und riecht, also sinnlich erfahren kann. Aber eigentlich gibt es noch viel mehr«, erklärt er. Sein künstlerischer Ausdruck verweist auf den geistigen Reichtum des noch nicht Manifestierten, wobei für ihn das Spannungsfeld von Transzendenz einerseits und der besonderen Ästhetik in einem für die dortige Kultur prägnanten Moment andererseits im Zentrum steht.

Darüber hinaus bildet André Wagner auf vielen Fotografien seinen Alltag in Deutschland ab, wobei die Motive auf Grundsätzliches verweisen sollen: »Jeder strebt nach Ewigkeit, die Fotografie ist auch ein Streben nach Ewigkeit. Sie ist aber auch illusorisch und zeitweilig«. Die Bilder etwa eines in unnatürliches Licht gehüllten Waldes aus der Serie »sound rooms« wirken nur einsam. Eigentlich sind sie während der dort stattfindenden Techno-Partys entstanden. Doch auf den Fotografien lassen sich die laute Musik und die Menschen in der Umgebung nicht einmal erahnen, der Wald erscheint im Gegensatz zum tatsächlichen Geschehen zwar verwunschen, aber vollkommen einsam. »Es wird auf dem Foto ein Kontrast zu dem, was in diesem Wald eigentlich ist, erzeugt. Das ist auch ein Statement zum Thema ›Ich und die Gesellschaft‹ «. Die Fotografie »chaos« aus dieser Serie geht noch weiter und wirft Fragen nach der Grenze menschlicher Zivilisation generell auf. Sie zeigt einen Betrunkenen, der am Straßenrand zusammengebrochen ist, während unmittelbar daneben sein Hund ordentlich zusammengerollt auf einem Teppich schläft. »Eigentlich sollte es anders herum sein«, meint André Wagner, »Es ist, als ob der Hund der Zivilisierte wäre und nicht der Mensch«.

Wichtige Inspirationsquelle aus der Kunstgeschichte ist für André Wagner der Renaissance-Maler Hieronymus Bosch, der auf seinen Gemälden oft mit gegenständlichen Mitteln sichtbar macht, was sonst verborgen bleibt. »Ich mag seine Art, die Gesellschaft zu sehen. Er zeigt die Menschen, wie sie konsumieren oder sich religiös ausdrücken. Erschaffung, erhaltendes und zerstörendes Prinzip sowie das Vergehen sind darin immer enthalten«. Dieses Spannungsfeld von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft greift André Wagner für ein »Kunst am Bau«-Projekt in Zürich auf, das aus bis zu 15 Meter langen Fotoinstallationen besteht. Sie zeigen nächtliche Impressionen der in bizarres Licht und grelle Spiegelungen gehüllten Hochhäuser, Straßenzüge oder Schienenstränge aus der unmittelbaren Umgebung. Eine weitere Parallele zu dem bedeutenden Renaissance-Maler: Auch auf André Wagners Fotografien steht der einzelne Mensch stellvertretend für alle anderen. »Es geht nicht um das Individuum oder darum, jemanden bloß zu stellen. Der einzelne Mensch steht bei mir immer stellvertretend für alle anderen, manchmal mehr, manchmal weniger«. Mit dieser Darstellung des Menschlichen war André Wagner 2013 in Form des Bildes »coming back from yamuna river« aus der Serie »reflections of india« bei der 55. Biennale in Venedig vertreten. Doch bei aller Symbolik und Inszenierung steht letztlich doch die Natur stets im Mittelpunkt: »Die Welt ist die größte Kunst. Ich möchte jemand sein, der diese schönen Dinge zeigt«.

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