Ausstellungsbesprechungen

David Hockney: Die Tate zu Gast. Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 10. Mai

Maler, Zeichner, Grafiker, Fotograf, Bühnenbildner, Autor – David Hockney (*1937) zählt nicht nur zu den vielseitigsten Künstlern der Gegenwart, sondern auch zu den teuersten: Sein Gemälde »Portrait of an Artist (Pool with two Figures)« erzielte 2018 bei Christie's einen Rekordpreis von 90,3 Millionen Dollar. Das Bucerius Kunst Forum wirft nun in Zusammenarbeit mit der Tate London einen Blick auf das facettenreichen Œuvre des 82-jährigen Briten. Knapp 100 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken führen die enorme Spannbreite Hockneys vor Augen. Stefanie Marschke hat die Ausstellung besucht.

Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey
Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey

Wie kaum ein anderer bildender Künstler des 20. Jahrhunderts war David Hockney darauf bedacht, kein Geheimnis aus der Entstehung seiner Bilder zu machen, sondern stets den künstlerischen Kontext, seine persönlichen Beweggründe und Motivquellen offenzulegen. Immer wieder hat er Konventionen hinterfragt, hat sich auf die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und neuen Darstellungsmöglichkeiten von Perspektive, Wahrnehmung und Realität begeben.

Genau diese Vielseitigkeit, Neugierde und unermüdliche Experimentierfreude möchte die als Retrospektive angelegte Hamburger Schau erlebbar machen. Die dazu getroffene Auswahl der Werke – von Hockneys Anfängen in den 1950er Jahren bis zu seinem Spätwerk – spiegelt jene Orte wider, an denen der »britische Andy Warhol« lebte und arbeitete (der neben Warhol übrigens auch Denis Hopper und Jack Nicholson zu seinen Freunden zählte). Anhand einzelner Motivgruppen und wiederkehrender Sujets werden die Lebensstationen des Künstlers chronologisch nachgezeichnet. Schnell lässt sich dabei erkennen, mit welchen zentralen Fragen sich Hockney in den jeweiligen Schaffensphasen beschäftigt und künstlerisch auseinandergesetzt hat. Acht Themenkreise können dabei durchwandernt werden: Demonstrations of Versatility – A Rake's Progress – Physique Pictorial – Towards Naturalism – Moving Focus – Illustrations for Cavafy – Experiences of Space – The Bigger Picture.

Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey
Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey

Gleich zu Beginn wird man von Hockneys Selbstbildnis »In the Studio« (2017) begrüßt. Der Künstler ist nicht zur Vernissage erschienen, stattdessen ließ er verlauten, dass ihn der Blick zurück auf seine ihm bekannten Werke langweilen würde – er schaue nur nach vorn!
In der großformatigen fotografischen Zeichnung auf Papier, die wie eine gemalte Kurzbiografie anmutet, sind sein Schaffen und viele der zentralen künstlerischen Fragen verdichtet. Hockney präsentiert sich – umrahmt von seinen jüngsten Landschaftsbildern, Interieurs und Porträts – in seinem Künstleratelier in den Hollywood Hills bei Los Angeles.
Tausende Fotos wurden zur Vorbereitung erstellt: Jedes Möbelstück, jedes Kunstwerk und der Künstler selbst wurden von allen Seiten abgelichtet. Am Computer wurde der wandfüllende Panorama-Blick in sein Leben und seine Arbeit (der Hockneys immerwährende Suche nach Möglichkeiten der Perspektivenverschiebung sowie das Einbeziehen des Betrachters abbildet) schließlich zusammengesetzt. Das Ergebnis: Statt klassischer Zentralperspektive werden die Betrachter mit unterschiedlichen Fluchtpunkten konfrontiert.

Es sind Hockneys ungebrochene Entdeckungslust und Kreativität, die hier deutlich zu spüren sind: »Wenn ich male, fühle ich mich wie 30. Erst wenn ich damit aufhöre, fühle ich mein Alter.« Das hält den über 80-Jährigen auch nicht davon ab, elektronische Medien wie Fotokopien, Faxgerät, iPad oder Smartphone zu verwenden und miteinander zu kombinieren.
Denn »das Auge bewegt sich immer – wenn es sich nicht mehr bewegt, bist du tot.«
Immer geht es ihm dabei um die Darstellbarkeit von Zeit und Raum: »Wir sehen durch die Zeit«, erklärte er in einem Interview. »Es gibt etwas, was du als Erstes siehst, dann eine zweite Sache, eine dritte, eine vierte – durch die Zeit, der wir nicht entkommen können.«

David Hockney: Mr and Mrs Clark and Percy, 1970/71, © David Hockney, Foto: Tate
David Hockney: Mr and Mrs Clark and Percy, 1970/71, © David Hockney, Foto: Tate

Der biografisch angelegte Rundgang widmet sich zunächst Hockneys überwiegend grafischem Frühwerk: Der Sohn einer sozialistischen Arbeiterfamilie studiert an der Bradfort School of Art, ab 1959 in den Swinging Sixties am Londoner Royal College of Art Kunst und malt Bilder, die an Straßenkunst erinnern. Er verwischt die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, setzt schematische, deformierte Figuren in den leeren Raum und verwendet Graffiti und Codes, die seine Homosexualität chiffrieren, welche – zu jener Zeit noch strafbar – das beherrschende Bildthema wird.
Exemplarisch dafür stehen das »Self–Portrait«, »Doll Boys« oder »The First Marriage (A Marriage of Styles I)«.
Auffallend: Bereits in jungen Jahren löst Hockney sich von der gängigen Vorstellung eines einzigartigen Künstlerstils – u.a. angeregt von der Wandelbarkeit Picassos – und macht stattdessen Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit zu seinen charakteristischen Merkmalen.

1964 zieht er nach Los Angeles, wo neben seinen berühmten Swimming-Pool- und Garten-Bildern auch intime häusliche Szenen entstehen wie z.B. »Man in Shower in Beverly Hills« oder »Hollywood Garden«. Abgesehen von den hellen Farben vereinen die Gemälde wesentliche künstlerische Sujets Hockneys: Zum einen das Motiv des bewegten Wassers und des Gartens, zum anderen die Klarheit der Architektur mit dem grellen Sonnenlicht, das auf weiße Fassaden trifft, in Verbindung mit gezähmter Natur wie den stilisierten Palmen.
»Hockney war fasziniert von dieser Schönheit: Von den schönen athletischen Männern und von dem schönen Licht der gleißenden Sonne Kaliforniens«, sagt Kuratorin Kathrin Baumstark.

Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey
Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey

Hier beginnt Hockneys lebenslange Faszination für die Schwierigkeiten der Darstellung von transparenten Oberflächen: Wie lässt sich bewegtes Wasser – und damit die Zeit – abbilden? Das Einfangen eines Moments machte sich der Maler regelrecht zur Aufgabe: »Es ist ein interessantes formales Problem, Wasser darzustellen, Wasser zu beschreiben, denn es kann alles sein – es kann jede Farbe haben, es ist beweglich, es gibt keine festgesetzte visuelle Beschreibung davon.«
Angeregt durch den Kauf einer Fotokamera begann Hockney Anfang der 1970er Jahre, die naturalistische Wiedergabe von Licht, Schatten und räumlicher Tiefe mit künstlerischen Mitteln zu erforschen. In dieser Zeit malt er einige seiner Hauptwerke wie die großformatigen, einfühlsamen Doppelporträts »Mr and Mrs Clark and Percy« und »My Parents«, die in dieser Schau erstmals in Deutschland zu sehen sind. Inhaltlich geht es ihm vor allem darum, Intimität, zwischenmenschliche Beziehungen präzise einzufangen, wobei er ausschließlich Menschen porträtierte, die er kannte.

So zeigt Hockney etwa das befreundete Ehepaar »Mr and Mrs Clark and Percy« kurz nach deren Eheschließung, bei der er Trauzeuge war.
Während die Frau aus dem Bild herausschaut, fixiert ihr Mann misstrauisch den Betrachter. Der laszive Blick scheint das Scheitern die Ehe – wegen Mr. Clarks Affären mit anderen Frauen und Männern – scheinbar vorwegzunehmen: »Wir gehen quasi eine Dreiecksbeziehung ein und sind Mittelpunkt ihrer Blicke ... Sie gucken nicht sich an, sondern uns – und wir fragen uns: Was ist da los?«, erklärt Baumstark. »Ich glaube, das ist das, was Hockneys ganzes Werk ausmacht, dass der Betrachter für ihn eine zentrale Figur ist und sein Werk erst komplett macht. Er denkt uns immer mit.«

Zum Konzept seiner Porträts gehört auch, dass Hockney selbst Teil der abgebildeten Beziehungen werden möchte. In dem mit Zitaten aus der Kunstgeschichte gespickten Doppelporträt etwa zitiert sich Hockney im linken Bildhintergrund mit seiner Radierung »Meeting the Good People« (Blatt 2 der Serie »A Rake's Progress«) selbst, vielleicht als Anspielung auf Jan van Eycks »Arnolfini-Hochzeit«, um seine Funktion als Trauzeuge der frisch Vermählten zu unterstreichen. Ähnlich im Bildnis seiner Eltern von 1977: Während die Mutter den Blick des Betrachters sucht und der Vater in eine Zeitung versunken ist, lässt sich im Spiegel die Rückwand von Hockneys Atelier erkennen.

Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey
Ausstellungsansicht David Hockney. Die Tate zu Gast Foto: Ulrich Perrey

nde der 1990er Jahre widmet sich Hockney den Landschaften seiner Heimat Yorkshire und einmal mehr dem Motiv des Grand Canyon. 1998 fertigt er dort eine Woche lang Ölpastell-Studien an, die später als Vorlage für seine über sieben Meter breite, aus 60 einzelnen Leinwänden zusammengesetzte, glühend rot-orange-violette Ansicht »A closer Grand Canyon« dienen. Die auffälligen Gitterlinien, die durch die Zusammensetzung entstehen, sind kalkulierter Teil des Werkes und rufen ein intensives Raumgefühl beim Betrachter hervor. Das gigantische Format dieses »Bigger Picture«, das den krönenden Abschluss der Hamburger Ausstellung bildet, verstärkt diesen Effekt noch und macht die Bewegung durch weite, offene und tiefe Räume physisch erfahrbar: »Der Grand Canyon ist der größte Abgrund der Welt. Und da am Rand zu stehen und runterzuschauen, ist Nervenkitzel pur. Der Blick ruht nicht, er wandert die ganze Zeit herum«, sagt Hockney.

Auch wenn in der aktuellen Ausstellung einige Werkgruppen wie Hockneys Opernentwürfe und seine Experimente mit Kopierer, Fax und iPad fehlen, beschreibt sie doch anschaulich die Entwicklung, wie der junge, rebellische Pop-Art-Künstler und Bohemien – auf der ständigen Suche nach neuen Arten des Sehens und Arbeitens, beseelt von einem demokratischen Kunstbegriff – zu einem der bedeutendsten Gegenwartskünstler Großbritanniens und zur lebenden Legende wurde.

Es bleibt zu hoffen, dass eine derartig erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den beiden Institutionen auch weiterhin – die Schau wurde zufällig am ersten Brexit-Tag eröffnet – möglich sein wird. Der Großteil der gezeigten Werke stammt aus der Sammlung der Tate London – ergänzt durch einzelne Leihgaben aus dem Louisiana Museum of Modern Art in Humlebaek, der Hamburger Kunsthalle und dem Stedelijk Museum voor Actuele Kunst in Gent.

David Hockney: The Third Love Painting, 1960, © David Hockney, Foto: Tate
David Hockney: The Third Love Painting, 1960, © David Hockney, Foto: Tate

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