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David Schnell. Stunde, hrsg. von Kunstverein Hannover, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, GEM, museum voor actuele kunst, Den Haag, Hatje Cantz 2010

Mit der Monografie „David Schnell. Stunde“ gibt der Hatje Cantz Verlag einen spannenden Einblick in das Schaffen des 1971 in Bergisch Gladbach geborenen Künstlers. David Schnell entwickelt in seiner zwischen Bewegung und Statik, Auflösung und Verdichtung oszillierenden Malerei, wie Xaver Bayer in seinem Beitrag treffend formuliert, „Idyllen der Unmöglichkeit, in denen man sich wie in eine Landkarte vertiefen, verlieren kann: Springbilder“. Verena Paul hat den reich bebilderten Band für Sie gelesen.

David Schnell © Cover Hatje Cantz
David Schnell © Cover Hatje Cantz

Bereits seit dem Jahr 2000 bildet die Landschaft, die von Zivilisationsspuren durchkreuzt wird, einen Schwerpunkt in der Malerei von David Schnell. „Alles in diesen frühen Bildern“, schreibt Ute Stuffer in ihrem klar strukturierten und wunderbar zu lesenden Beitrag, „ist einem rigiden geometrischen Ordnungssystem unterworfen, das die reale Welthaltigkeit des Bildes massiv verfremdet“ und den Blick des Betrachters in die Bildtiefe leitet. In der später folgenden Serie der „Alleen“ werde hingegen die „strenge Systematik des Bildaufbaus“ aufgebrochen, so dass teilweise mehrere Fluchtpunkte miteinander konkurrieren. Diese fächern den Bildraum nicht mehr nur auf, sondern zersplittern ihn und verleihen ihm eine starke Eigendynamik. Deshalb müssen sich die Betrachter, so der Hinweis der Autorin, „auf die parallelen Geschwindigkeits-, Ebenen- und Richtungswechsel einlassen.“ Trotzdem bleibe der Betrachter – obwohl er mitten im Bild zu sein scheint – „ein Stück weit draußen, auf der Suche nach einem eindeutig justierbaren Verhältnis zwischen sich und dem Bild, das sich nicht mehr herstellen lässt“, weil sich die verschiedenen Ebenen zu stark überlagern.

Doch welche künstlerische Intention verbirgt sich hinter den menschenleeren Motiven, die uns als beengende Räume aus kraftvollen Farb- und Formverläufen umfangen? Es ist die Erprobung der Autonomie von Malerei, des Eigenlebens von Farbspuren und Konstruktionslinien, denn „[w]enn ich ein Bild anfange,“ sagt David Schnell, „habe ich oft keine Landschaft im Kopf, sondern eine Farbigkeit.“ Insofern überlagern sich Erinnerungsfetzen einer konkreten Landschaft während einer Zug- oder Autofahrt „mit imaginierten Landschaftsbildern und der Ästhetik virtueller Räume aus Computerspielen“, wie Stuffer die komplexen Bildkompositionen erklärt. Indem die Autorin in ihrem Text zahlreiche Bildbeispiele erarbeitet, die der Leser in einem übersichtlich gestalteten Bildteil nachschlagen kann, öffnet sie ihm die Tür zu einer geheimnisvollen, zeiträumesprengenden und sich temporeich entwickelnden Malerei.

Während Ute Stuffer also die Entwicklung der Arbeiten nachzeichnet und dem Leser dabei Einblick in das vielschichtige Œuvre gewährt, stellt Markus Stegmann in seinem literarischen Essay Vergleiche der jüngsten Arbeiten Schnells mit der Landschaftsmalerei des Rokoko und des Impressionismus an – genauer gesagt mit Werken Jean-Honoré Fragonards und Claude Monets. Den Vergleich begründet der Autor wie folgt: „Die Hingabe, mit welcher die neuen Bilder von David Schnell die Natur als eine Möglichkeit des Sich-selbst-Vergessens erscheinen lassen, jenseits der ihnen zugrunde liegenden banalen Wirklichkeitserfahrung, unterstreicht den historischen Bezug.“ Obgleich seine Ausführungen nicht wissenschaftlich fundiert sind, sondern vielmehr aus Gesprächen mit dem Künstler resultieren, regen sie den Leser zum Nachdenken an und lassen ihn schließlich überraschende kunsthistorische Verbindungslinien erkennen, die Stegmann am Ende seines Beitrags in dem Satz bündelt: „Nicht etwa die Erfahrung realer Natur, sondern erst die ins Künstliche gesteigerte Verdichtung des Landschaftlichen in den Bildern [von Fragonard, Monet und Schnell] lässt Möglichkeiten des Vergessens und somit andere Formen des Bewusstseins sichtbar werden.“

Diesen scharfsichtigen Ideenspielen folgen Xaver Bayers „Nebensätze zu David Schnells Bildern“, welche die Arbeiten einfühlsam zu ergründen suchen und sie gleichzeitig messerscharf analysieren. „Der Strich durch das Labyrinth“, so der Titel, ist die in eine poetische Sprache gegossene Gedankensammlung, die eindringlich die Atmosphäre, das Eigenleben der Bilder vermittelt und unseren Blick auf das Wesentliche lenkt, denn „[m]eistens sind die Wege [in David Schnells Bildern] nur noch Schemen, wie im Dämmerungsdickicht, unser Blick rodet, die Schneisen wachsen wieder zu: Schauprozesse“.

Fazit: Dem Hatje Cantz Verlag ist eine klug arrangierte, geldbörsenfreundliche Publikation gelungen, die mit informativen, spannend zu lesenden Textbeiträgen (deutsch, englisch und niederländisch) ebenso überzeugen kann wie durch die qualitativ hochwertigen Werkabbildungen. Eine Monografie, die dem ästhetisch spannungsreichen Bildzauber der Werke David Schnells mit schlafwandlerischer Sicherheit auf den Grund geht und beim Leser/Betrachter eine ungemeine Lust auf die Betrachtung der Originale hinterlässt!

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