Ausstellungsbesprechungen

Degas. Klassik und Experiment, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, bis 15. Februar 2015

Edgar Degas (1834-1917) zählt zu den populärsten Künstlern des französischen 19. Jahrhunderts: Als Chronist des Pariser Amüsierbetriebs und Maler des modernen Lebens par excellence erfreut er sich weltweit größter Beliebtheit. Doch umfasst das Spektrum von Degas’ Kunst weitaus mehr als seine populär gewordenen Motive aus der Welt von Tanz, Theater, Bühne und Boudoir. Es ist der Karlsruher Kunsthalle gelungen, einen neuen Blick auf das Schaffen dieses altbekannten Künstlers zu werfen, findet Marco Hompes.

Die Kunstgeschichtsschreibung bedient sich seit jeher einer Vorgehensweise, welche ihr ein enormes Potenzial bietet, zugleich aber auch eine ihrer größten Schwächen darstellt: die Klassifizierung. Durch sie können Künstler und Künstlerinnen gemeinsam in Schubladen gesteckt und diese mit einer Epochenaufschrift versehen werden. Ziel ist es dabei, ein wenig Ordnung in das unübersichtliche Kunsttreiben zu bringen. Das Gefährliche ist jedoch, dass Facetten eines Werks schnell einmal ausgeblendet werden, wenn sie sich der gewünschten Kategorisierung widersetzen.

Mit der Ausstellung »Degas. Klassik und Experiment« widmet sich die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe nun einem solchen Fall. Oberflächlich betrachtet ist Edgar Degas (1834–1917) als Maler der Ballettmädchen und Jockeys bekannt. Da er an fast allen Gruppenausstellungen der Impressionisten teilnahm, landete er schnell in einer Schublade gemeinsam mit Künstlern wie Claude Monet und Camille Pissarro. In Karlsruhe soll nun gezeigt werden, dass sich das Werk des französischen Malers und Bildhauers aus zahlreichen unterschiedlichen Quellen speist und mitunter einer ganz anderen Motivation folgt als die der Impressionisten.

Wirklich neu ist diese Erkenntnis nicht. Schon lange wird Degas der Status eines »Einzelgängers« oder des »Manns im Abseits« zugesprochen, wie es etwa Werner Hofmann im Katalog zur Degas-Ausstellung der Hamburger Kunsthalle 2009 schrieb. Neu ist es hingegen, genau diese Unbestimmtheit in den Fokus einer Ausstellung zu rücken und anhand von 120 Exponaten eine Neudefinition zwischen »Klassik und Experiment« zu wagen.

Der Kurator der Ausstellung, Dr. Alexander Eiling, wählte hierfür eine thematisch streng gefasste Raumfolge aus knapp zwölf inhaltlichen Blöcken. Diese sollen Degas' Gemälde stilistisch zwischen Klassik und Moderne verorten, was gut funktioniert, stellenweise aber auch ein wenig didaktisch wirkt.

Bereits im ersten Bereich der Ausstellung wird ein Relationsfeld eröffnet, welches das Schaffen des Künstlers in der heterogenen Kunstproduktion seiner Zeit spiegeln soll. Ausgangspunkt hierfür ist ein »Selbstbildnis mit erhobenen Hut«, das um 1863 entstand und sich im Besitz der Fundação Calouste Gulbenkian in Lissabon befindet. »Im Selbstporträt mit erhobenem Hut präsentiert sich#Degas als eleganter Bourgeois, gekleidet in schwarz.#DegasSKK» twitterte die Kunsthalle zu diesem Gemälde, das kompositorisch Anleihen aus der italienischen Renaissance-Malerei nimmt, während der Duktus in eine ganz andere Richtung weist. Um das Ganze einordnen zu können, fanden die MitarbeiterInnen der Kunsthalle im eigenen Depot zeitgenössische Vergleichsbeispiele von Künstlerkollegen und Freunden Degas'. James Tissots (1836–1902) »Bildnis des Barons Aimé Seillière« von 1866 steht als Beispiel klassizistisch-bürgerlich Porträtkunst einem ganzfigurigen Kinderbildnis Édouard Manets (1832–1883) gegenüber, bei dem die Formen und der Hintergrund sich zunehmend in einer offenen Malweise auflösen. Eine weitere Facette der französischen Porträtmalerei der 1860er Jahren bietet das »Bildnis des Dichters Pierre Dupont« des Realisten Gustave Courbet (1819–1877), das ebenfalls im gleichen Ausstellungsraum zu sehen ist. Degas müsste, folgt man dieser kuratorischen Lesart, irgendwo zwischen diesen bildnerischen Ansätzen angesiedelt werden.

Neben dem Herausstellen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden Degas' zu seinen Zeitgenossen, ist ein weiteres Anliegen der Ausstellung die Frage nach den historischen Vorbildern. Belegbar werden diese vor allem durch Zeichnungen und Studien, welche die rege Kopiertätigkeit des Malers beweisen. Denn bereits mit 19 Jahren schrieb er sich in das Kopistenregister des Louvre und des Cabinet des Estampes ein. Wenig später folgte eine dreijährige Italienreise, auf der er unter anderem Meisterwerke der Renaissance studierte. Ein Beispiel hierfür ist ein Blatt, das im Zentrum der erwähnten Porträts steht. Auf der einen Seite des beidseitig bezeichneten Papiers ist ein Selbstbildnis, auf der anderen der Kopf eines jungen Mannes zu sehen. Bei Letzterem handelt es sich wohl um eine Kopie eines Parmigianino zugeschriebenen Werks.

Spannend wird es in der Ausstellung vor allem dann, wenn deutlich wird, dass Degas nicht nur kopierte, sondern auch Elemente historischer Bildwerke in seine Darstellungen des bourgeoisen Pariser Lebens übernahm. So übersetzte er etwa Pferdedarstellungen vom Parthenonfries in Athen in zeitgenössische Pferderennen. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, Sonja Maria Krämer, hat dieses eklektische Vorgehen ausführlich untersucht und in ihrem Beitrag für den Tagungsband »Eklektizismus und eklektische Verfahren in der Kunst« überzeugend festgehalten, dass Degas hierdurch Genrebilder schafft, die sowohl dem damaligen Zeitgeschmack entsprachen als auch seinen eigenen Ansprüchen an das (klassische) Tafelbild gerecht wurden. Dabei begrenzt sich Degas nicht ausschließlich auf historische Vorbilder. Die Bedeutung und der Einfluss der Fotografie auf die Kunst dieser Zeit werden durch Beispiele, etwa von Eadweard Muybridges, deutlich spürbar. So berief sich Degas bei seinen Familienbildnissen kompositorisch zuweilen auf die Alten Meister, rezipierte zeitgleich aber auch die Posen der damaligen Fotografie. Die Ausstellung zeigt einen Künstler, der sich elegant an der Schnittstelle zwischen Renaissance-Rezeption und dem zeitgenössischen Leben bewegt. Dieses Interesse zeigt sich nicht nur in der Komposition, sondern auch in der malerischen Ausführung. Bei den Bildnissen werden häufig einige Partien detailliert ausgestaltet, während andere Bereiche skizzenhaft verbleiben und so eine innerbildliche Modernität entfaltet, die dank den traditionellen Anleihen doch zeitgleich äußerst vertraut wirkt.

Ein Höhepunkt der Schau bildet ohne Zweifel der Bereich »Das moderne Individuum«, in dem verstärkt großstädtische Kulissen, wie Cafés, Bügelstuben und Modegeschäfte, erscheinen. Eine Entdeckung ist hierbei die szenische Darstellung eines Baumwollkontors in New Orleans von 1873 aus dem Musée des Beaux-Arts de Pau. Das Interesse am bürgerlichen Alltag gipfelte letztlich in den Bildern der Balletttänzerinnen, die damals wie heute wahre Verkaufsschlager sind. Auch hierfür bietet die Schau einige Beispiele, sodass Besucher und Besucherinnen den eher unbekannten als auch den typischen Degas entdecken dürfen: den Porträtisten, den Landschaftsmaler, den Genremaler, den Aktmaler und so weiter. Das wissenschaftlich anspruchsvolle Thema des Künstlers zwischen »Klassik und Experiment« wurde fachkundig und für ein breites Publikum aufbereitet. Schwierige Transferleistungen werden nicht gefordert. Stattdessen macht die klare Strukturierung den Ausstellungsbesuch zu einem kurzweiligen und durchaus anregenden Erlebnis.

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