Ausstellungsbesprechungen

Delete. Auswahl und Zensur im Bildjournalismus, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bis 25. November 2018

Im Rahmen der 7. Triennale für Photographie setzt sich das Museum für Kunst und Gewerbe mit den Auswahlkriterien im Bildjournalismus auseinander und verweist auf die Konstruiertheit unserer Wirklichkeit. Rowena Schubert-Fuß war vor Ort.

Millionen von Bildern und Nachrichten strömen täglich auf uns ein. Alle zeigen uns einen Ausschnitt unserer Realität. Kontexte gehen dabei oft verloren. Hier setzt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe mit seiner Ausstellung »Delete« an. Anhand von Einzelaufnahmen, Kontaktabzügen und Interviews der Fotografen wird der Auswahlprozess hinter den Bildern einer Reportage sichtbar.

1969 brodelte der Nordirlandkonflikt. Das Magazin Stern druckte dazu eine Fotostrecke mit Steinewerfern, stark bewaffneten Ordnungshütern sowie brennenden Polizisten. Was die Bildredaktion unterschlug, aber in den Kontaktabzügen des Fotografen Hanns-Jörg Anders dennoch festgehalten wurde, sind Gesten der Solidarität. So teilen sich Protestanten und Katholiken über einem Stacheldrahtzaun auch schon einmal ein Brot oder kauern sich in Notunterkünften zusammen. Den Pulitzerpreis erhielt Anders jedoch für die Aufnahme eines Vermummten, der vor einer Mauer steht, darauf zu lesen: »We want Peace«.

Eine Reportage ist dort konkret, wo eine Nachricht abstrakt bleibt. Gern wird davon geredet, dass ein Reporter »dicht« am Geschehen ist. Er schildert einen persönlichen Blick auf eine Situation. Schwierig wird es, wenn Bilder ins Spiel kommen. Das Medium an sich ist bereits vielschichtig. Bei der Auswahl für einen journalistischen Beitrag ist Fingerspitzengefühl gefragt. Chef- und Bildredakteure fokussieren sich auf das, was man mit dem Beitrag ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken will.

»Magazinfotografien zeigen selten das wahre Gesicht des Krieges«, stellt auch der Japaner Ryuichi Hirokawa in einem Interview fest. Er war der Erste, der das Massaker in den Flüchtlingscamps Schatila und Sabra 1982 in Beirut mit der Kamera einfing. Seine Aufnahmen zeigen Straßen voller Leichen, darunter Alte, Frauen und Kinder. Um sicherzustellen, dass diese Bilder die richtigen Titel bekommen, verkaufte er sie nicht an die Agentur Associated Press. Stattdessen veröffentlichte Ryuichi sie mit einer Darstellung der Ereignisse im japanischen Playboy.

Manche der präsentierten Aufnahmen verbergen ihre Brisanz. Wer würde bei dem Bild eines Taubstummen, der jemanden mit spastischen Lähmungen füttert, auch einen Skandal vermuten? Und dennoch sind die Bilder von Mehri und Karlheinz etwas Besonderes. Denn beide sind schwul. Man schreibt das Jahr 1976. Schwulsein steht zu diesem Zeitpunkt noch unter Strafe. Selbst in einer Einrichtung für körperlich und geistig benachteiligte Menschen, hier der Wittekindshof in Hamburg, wurde es nur zögerlich geduldet. Es verwundert nicht, dass dieser Aspekt in der Beziehung der beiden Männer nicht in der Fotostrecke zu tragen kam, die im Boten für die evangelische Frau erschien. Man legte bei der Auswahl offenbar den Schwerpunkt auf Darstellungen christlicher Nächstenliebe. Der Fotograf Günter Hildenhagen gab die Deutungshoheit bereitwillig ab. In einem Interview erklärte er, sich lediglich als Dienstleister zu sehen.

Schon hier werden Diskrepanzen in der medialen Darstellung von Ereignissen deutlich. Manche Themen und Inhalte werden ausgeblendet, visuelle Klischees bevorzugt. Dies gilt auch für die Aufnahmen von Thomas Hoepker. Irritiert schaut ein Fußgänger im Vorbeigehen auf die Leiche einer schwarzen Frau, die neben einem Mülleimer abgelegt wurde. Es ist ein Bild, dass symbolisch für die Situation der Schwarzen 1964 in den USA steht. Dennoch wurde es nicht für die Fotostrecke ausgewählt, die Hoepker für das Magazin Kristall schoss und ein Porträt des Landes zeichnen sollte. Was stattdessen abgebildet wurde, waren Bildnisse von Kennedy neben Madonnenikonen in der Auslage eines Ladens, junge Neo-Nazis neben Altkommunisten, auf den Händen laufende Kriegskrüppel ohne Beine sowie dicke Truthähne auf einer Plakatwerbung fürs Thanksgiving-Dinner.

Es ist ein Verdienst der Hamburger Ausstellung darauf aufmerksam zu machen, wie selektive Wahrnehmung eine stereotypische Meinungsbildung fördert. Und ganz nebenbei zeigt sich, wie schmal der Grat zwischen einem Nicht-Hinterfragen und Fake News ist.

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