Rezensionen

Dennis Janzen: Vom Fossil zum Bild. Künstlerische Darstellungen prähistorischen Lebens. Deutscher Kunstverlag

Von den Dinosauriern sind nur einige wenige versteinerte Knochen und Fußspuren erhalten. Kinofilmen sei Dank, wissen aber scheinbar alle, wie sie ausgesehen haben. Woher kommen aber diese Bilder der Urzeitechsen und anderer fossil überlieferter Lebewesen? Sie sind das Werk von Künstler/-innen, die Forschung und Kreativität zusammenführen. Ihre Bilder – vom riesigen Wandgemälde bis zur delikaten Grafik – sind Meisterwerke, die nicht im Kunstmuseum zu finden sind. Ein neuer Band beleuchtet nun die bislang ungeschriebene Kunstgeschichte der Dinosauriermalerei, der „Paleoart“. Robert Bauernfeind hat sich auf Zeitreise begeben.

Cover @ Deutscher Kunstverlag
Cover @ Deutscher Kunstverlag

In seinem im Oktober 2020 veröffentlichten Dokumentarfilm A Life on our Planet zieht der renommierte englische Naturforscher David Attenborough eine alarmierende Lebensbilanz: In den rund siebzig Jahren seiner Tätigkeit hätten sich Anzeichen gemehrt, dass die vom Menschen verursachte Reduzierung der biologischen Vielfalt auf der Erde im Verlauf der nächsten Generation zu einem so erheblichen Artensterben führen würde, dass das Leben, so wie wir es kennen, nicht mehr möglich sei. Derartige Massenaussterben sind in der Erdgeschichte schon vorgekommen; der vielen Menschen wohl bekannteste Umbruch bestand in geologischen Ereignissen, die vor 66 Millionen Jahren das Zeitalter der Dinosaurier beendeten. Er ist auch darum so präsent, weil wir meinen, von diesen Lebewesen eine verlässliche Vorstellung zu haben, eine Ahnung, die sogar kuriose Sympathien mit diesen dem Menschen in jeglicher Hinsicht »fernen« Geschöpfen auszulösen vermag.
Kinder lieben Dinosaurier, und seit den 1970er Jahren durchziehen Darstellungen von Stegosaurus, Brontosaurus und dem notorischen Tyrannosaurus Rex die Zweige der Kulturindustrie. Wie Popstars oder Fußballer sind sie Gegenstand der Vermarktung in Sammelalben, als Spielzeugfiguren, auf Brotdosen, Schlafanzügen und Bettwäsche und selbstverständlich in Spielfilmen; Steven Spielbergs Blockbuster Jurassic Park von 1993 hat die Tiere in fragwürdigem Realismus einer ganzen Generation von Kinobesuchenden ähnlich nahe gebracht wie die fantastischen Gestalten aus Star Wars.

Am Dinosaurier als kulturellem Symbol hat bereits 1999 der amerikanische Kunsthistoriker W.J.T. Mitchell, eine der prägenden Stimmen des Iconic Turn, seine bildtheoretischen Annahmen durchgespielt.
Im Bewusstsein dieser bildwissenschaftlichen Interpretation ‚des Dinosauriers‘ – und nicht ohne Mitchells Rhetorik mitunter deutlich zu kritisieren – geht Dennis Janzens Monographie nun als dezidiert kunstgeschichtliche Arbeit von einem eigentlich offensichtlichen, aber kaum benannten Paradoxon aus: kein Mensch hat je einen lebenden Dinosaurier gesehen und doch scheinen ihr Aussehen und ihr Verhalten heute zum Allgemeinwissen zu gehören. Als Evidenz stiftende Instanz für unsere Vorstellung der prähistorischen Fauna beschreibt Janzen Werke der sogenannten Paleoart, einer im 20. Jahrhundert etablierten Gattung von Malerei und Graphik, die Dinosaurier nach gewissen methodischen Mustern rekonstruiert. Janzens zentrale These lautet, dass der künstlerische Anteil an diesem Verfahren bestimmend ist für die Vorstellung der Tiere, wie sie in naturkundlichen Museen und Lehrbüchern und schließlich in der Populärkultur vermittelt wird.

Damit behandelt die Arbeit eigentlich ein aktuelles Thema: Angeregt vom interdisziplinären Forschungsfeld der Human–Animal Studies, die das Verhältnis des Menschen zu den anderen Tieren vor dem Bewusstsein ökologischer Krisen hinterfragen, haben sich auch die Kunst– und Kulturwissenschaften in den letzten Jahren der Repräsentation von Tieren in Bild und Text zugewandt. Die Paleoart blieb von der kunsthistorischen Aufmerksamkeit jedoch ausgespart, wohl, weil sie – wie Janzen im ersten Kapitel ausführt – als proteisch verschrien ist: Von wissenschaftlicher Seite werde bisweilen ihre Seriosität angezweifelt, auf dem Kunstmarkt stünde sie hingegen unter Kitschverdacht.
Als Gattung schwebt die Paleoart zwischen den Modi der wissenschaftlichen Illustration, der Fantasy Art und der Tiermalerei und wird auch darum in der Geschichte der modernen Kunst missachtet, da sie sich in diesem Referenzrahmen auf die Schilderung von Oberflächen beschränkt und in keiner Weise einem Ideal künstlerischen Erlebens entspricht. Ihr wissenschaftlicher Anspruch bleibt instabil, weil sich die Bilder der Paleoart nur unvollständig auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen können; Fossilienfunde sind stets fragmentarisch, die Schilderung von Haut, Färbung, Bewegung und nicht zuletzt vom Charakter der längst ausgestorbenen Tiere ist daher hypothetisch.
Gleichwohl zeigt Janzen anschaulich auf, wie ernstzunehmende Vertreter*innen der Paleoart auf der Grundlage überprüfbarer Kenntnisse ausführen. Dabei konnten sich ihre Ansätze ändern. Einige Zeit bevorzugte man etwa die Rekonstruktion von Sauriern als gleichsam nur von Haut überzogenen Skeletten, später bezogen die Künstler*innen auch Fetteinlagerungen und anderes Weichgewebe in die Entwürfe ein.

In einer an der Wissenschaftsgeschichte der Paläontologie orientierten Erzählung der Paleoart vom mittleren 19. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gelingt es Janzen im zweiten Kapitel, die Ambiguität der Gattung zu historisieren. Der Schwerpunkt liegt dabei mit Othenio Abel und Gerhard Heilmann zunächst auf zwei komplementären Positionen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts: Jener ein Wissenschaftler, der selbst zeichnete und zunehmend die Zuarbeit von Künstlern in Anspruch nahm, um Bilder prähistorischen Lebens zu erschaffen, dieser ein unzeitgemäßer Künstler, der in der Forschung zur Evolution der Vögel aufging und seine Bilder als Analyseinstrumente verstand.
Als dritter bedeutender Position widmet sich das Kapitel schließlich Robert T. Bakker, der in den 1970er Jahren die ‚Dinosaur Renaissance‘ heraufbeschwor, indem er mit der Theorie, Dinosaurier seien agile Warmblüter gewesen, das überkommende Bild schwerfälliger Lebensformen verwarf und durch die Vorstellung schlauer, flotter und nicht zuletzt angriffslustiger Echsen ersetzte.
Dass auch die Konjunktur dieser dramatischen Bilder von Sauriern verflachte, um besänftigten Darstellungen zu weichen, in denen die Tiere etwa äsen und schlafen, zeigt der Autor im dritten Kapitel. Dieses behandelt den gegenwärtigen Status der Paleoart. Dabei interpretiert Janzen zunächst Werke des seit den 1980er Jahren tätigen Mark Hallett als Tiermalerei. Er beruft sich auf kanonische Texte der Human–Animal Studies, indem er in Anlehnung an Jacques Derrida und John Berger – den Blick auf Tiere und die Erfahrung, von Tieren angeblickt zu werden – als entscheidende Motive von Tierdarstellungen geltend macht, bestimmen doch diese den Grad der – letztlich stets hegemonialen – anthropozentrischen Warte auf ‚das Tier‘.
Damit problematisiert Janzen auch gleichzeitig die Schwierigkeit, die nicht lebend zu beobachtenden Tiere im Bild zu psychologisieren. Der zweite Teil des Kapitels fragt, angelehnt an aktuelle Forschungen zum Künstler als Akteur, nach dem Status zeitgenössischer Paleoartists. Janzen stellt einige Vertreter des Metiers vor, die sich traditionellen Künstlertypen wie Nonkonformisten oder romantischen Wanderern zuordnen lassen, und thematisiert nicht zuletzt die Originalität der Werke, um deren Anerkennung die Urheber*innen mitunter kontrovers in einer Szene ringen müssen, die den Bildern kaum einen autonomen Status einräumt oder sie vor plagiatorischen Zugriffen bewahrt.
Erscheint das Buch als primäres Medium um die Werke – allerdings schon in Reproduktion – zur Geltung kommen zu lassen, so zeigt Janzen auch, dass viele Bilder der Paleoart auf rasche Manipulierbarkeit für den Gebrauch in unterschiedlichen Medien angelegt sein müssen; dazu scheint die digitale Malerei besonders geeignet. Sie vermag überdies Tierbilder zu erzeugen, die sich von der menschlichen Perspektive vollständig absetzen.

Das ausblickende vierte Kapitel stellt schließlich einige Werke der zeitgenössischen Kunst dar, die sich dezidiert auf Bilder der Paleoart berufen, es schließt mit einem Plädoyer für die kunsthistorische Auseinandersetzung mit dieser bislang vernachlässigten Gattung.
Hat Janzen bereits im ersten Kapitel auf die nicht zu unterschätzende kulturelle Bedeutung der Paleoart hingewiesen – die immerhin ein Fundament dafür biete, dass bereits von Dinosauriern begeisterte Kinder »biologische Prinzipien wie Evolution, Biodiversität, Erdgeschichte und das Aussterben der Arten zu begreifen« lernten – so macht der Autor an dieser Stelle die Aktualität der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihr noch einmal deutlich: gerade in Anbetracht einer zunehmenden Trivialisierung von Wissen sowie einem wachsenden Misstrauen gegenüber der akademischen Welt vermöge die Paleoart zur Popularisierung differenzierter Kenntnisse beizutragen, sei aber auch in ihren komplexen Prozessen im Vergleich zur Galeriekunst nicht zu unterschätzen. Nicht zuletzt sei sie ein Feld, auf dem die Differenz von Kunst und Wissenschaft aufgehoben sei, und eigne sich daher modellhaft zur Untersuchung eines sonst oft von Klüften unterbrochenen Zusammenwirkens beider Bereiche.

Ob sich Janzens enthusiastische Prognose, die Paleoart könne bald Einzug halten in Galerien und Kunstmuseen, bewahrheiten wird, sei dahingestellt. Festzuhalten ist allerdings, dass dem Autor eine zugleich dichte und anschauliche Studie zur Geschichte und Gegenwart dieser marginalisierten Bildgattung gelungen ist. Mit großer sprachlicher Souveränität führt der Verfasser durch eine Argumentation, die aktuelle methodische Ausrichtungen der Kunstgeschichte stets reflektiert, ohne die Lesenden mit Theorie zu überlasten oder abzuschweifen. Beeindruckend ist überdies Janzens offenbar gründliche Kenntnis der im Buch behandelten Tiere, auf deren Grundlage er für Laien kaum auffällige Unstimmigkeiten in Detaildarstellungen wie den Fußformen der Tiere zu kritisieren vermag. Wenn der Rezensent zwei Wünsche zur weiteren kunsthistorischen Behandlung der Paleoart frei hätte, würden diese erstens einer größeren Beachtung der Landschaft gelten, die die Dinosaurier umgibt und in ähnlichem Maße ein hypothetisches Konstrukt zu sein scheint wie die Tiere selbst; darauf geht Janzen allerdings nur punktuell ein, etwa bei der Herleitung der Landschaft in den Gemälden Douglas Hendersons aus der Tradition der Tradition der Hudson River School. Zweitens könnte es sich lohnen, noch weiter danach zu fragen, ob und inwiefern die Bilder gesellschaftliche Normen oder Wunschvorstellungen auf ihr Thema übertragen, wie dies etwa Donna Haraway an Darstellungen frühgeschichtlicher Menschen in Dioramen konstatiert hat (Donna Haraway: Primate Visions. Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science, London/New York 1989); diesen Aspekt streift das Buch nur en passant. Dies aber sind lediglich Anregungen zur weiteren Erforschung eines Themas, für die Dennis Janzens Buch eine eindrucksvolle Grundlage geschaffen hat.


Vom Fossil zum Bild. Künstlerische Darstellungen prähistorischen Lebens.
Autor: Dennis Janzen
Deutscher Kunstverlag 2020
288 Seiten; 113 Abbildungen (farbig)
ISBN: 978–3–422–98117–1

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