Ausstellungsbesprechungen, Meldungen zum Kunstgeschehen

der die DADA Unordnung der Geschlechter. Arp Museum Bahnhof Rolandseck Remagen, bis 12. Januar 2025 / Katalog Hirmer Verlag

Dada war nicht nur die revolutionärste und subversivste künstlerische Bewegung des 20. Jahrhunderts, sondern auch die heterogenste. Prä-Dada München (fast vergessen, obwohl hier alles anfing), Dada Zürich, Dada Köln, Dada Hannover, Dada Berlin, Dada Paris, Dada New York waren so verschieden wie die jeweiligen Akteure. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck im rheinland-pfälzischen Remagen ziegt aktuell eine interessante Ausstellung, die nicht nur die Dada-Frauen in den Fokus rückt, sondern den „Blick auf transformative Rollen und die beiderseitige Thematisierung von Sexualität und Geschlecht“ im Dadaismus richtet. Rainer K. Wick ist dort gewesen und hat das bei Hirmer erschienene Katalogbuch gelesen.

Eingangsbereich der Ausstellung „der die DADA“, Foto © Rainer K. Wick
Eingangsbereich der Ausstellung „der die DADA“, Foto © Rainer K. Wick

Die jahrhundertelange Marginalisierung der Frauen in der Kunst ist ebenso eine historische Tatsache wie ihre notorische Vernachlässigung durch die Kunstgeschichte. Erst die intensiven Forschungsbemühungen feministischer Kunsthistorikerinnen haben hier in den letzten Jahrzehnten zu einem Paradigmenwechsel geführt, der die tradierte und gesellschaftlich zementierte männliche Dominanz gebrochen hat. Julia Wallner, die seit zwei Jahren das Arp Museum Bahnhof Rolandseck leitet und in der ersten Jahreshälfte 2024 mit der großen Ausstellung „Maestras. Malerinnen 1500-1900“ einen maßgeblichen Beitrag zur Korrektur des teilweise immer noch vorherrschenden männlichen Blicks auf die Kunstgeschichte geleistet hat (siehe „Portal Kunstgeschichte“ vom 10.06.2024), hat nun mit der Schau „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ nachgelegt.


Obwohl sich, wie sie schreibt, im Dadaismus, der mit zum Teil absurden und gezielt provokativen Mitteln gegen die etablierte Sozialordnung, gegen bürgerliche Normen, gegen Nationalismus, Patriotismus und Militarismus, gegen den Irrsinn des Kriegs, gegen die Macht der Ratio und das Diktat der Logik und gegen einen obsolet gewordenen Kunstbegriff rebellierte, „Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit […] scheinbar spielerisch und frei von ihren überlieferten, zementschwer lastenden Zuschreibungen“ gelöst hätten, seien „die meisten Frauen des Dada [doch] in den langen Schatten der selbsterklärten Gründungsväter […] nahezu unsichtbar geblieben.“ Diese „selbsterklärten Gründungsväter“ arbeiteten von Anfang an ihrer eigenen „Selbsthistorisierung“ und „Selbststilisierung“, während sich die Frauen in „weiblicher Selbtbescheidung“ (Ina Boesch) übten. Und in den nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen einflussreichen Dada-Publikationen etwa von Hans Richter („DADA – Kunst und Antikunst“) und Raoul Hausmann („Am Anfang war Dada“) fanden die Dada-Frauen kaum den ihnen angemessenen Platz. Manche wurden einfach „vergessen“, andere „zu einer Fußnote respektive zu einer Quantité négligeable degradiert“, wie Ina Boesch im faktenreichen und lesenswerten Katalogbuch feststellt. Einer der Gründe für die mangelnde Sichtbarkeit der Dada-Künstlerinnen war zweifellos der Umstand, dass sie oft kein materiell greifbares Œuvre hinterlassen haben. Denn, um nur ein Beispiel herauszugreifen, bei den frühen Dada-Soiréen im legendären Cabaret Voltaire in Zürich während des Ersten Weltkriegs stand nicht die Bildende Kunst im Mittelpunkt, vorherrschend waren das Literarische, Musikalische, Tänzerische und Szenische, kurz, performative Praktiken, wie sie sich erst rund ein halbes Jahrhundert später mit Happening, Fluxus und anderen Formen intermediärer Aktionskunst etablierten. Genau diese flüchtigen, ephemeren Künste waren die Domänen etlicher der damals beteiligten Frauen, und da so gut wie keine Ton- und Bildaufzeichnungen von diesen Veranstaltungen überliefert sind, ist es nicht verwunderlich, dass ihre Beiträge zum Dadaismus gleichsam durch die Maschen der Kunstgeschichte gefallen sind.

links: Hans Bolz, Frau mit Hut (Emmy Hennings), um 1912-13  rechts: Reinhard Rudolf Junghanns, Emmy Hennings, aus „Variationen über ein weibliches Thema“, 1913, Fotos © Rainer K. Wick
links: Hans Bolz, Frau mit Hut (Emmy Hennings), um 1912-13 rechts: Reinhard Rudolf Junghanns, Emmy Hennings, aus „Variationen über ein weibliches Thema“, 1913, Fotos © Rainer K. Wick

Zürich
Dada wurde im Februar 1916 in Zürich aus der Taufe gehoben. Gründungsmitglieder waren Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Tristan Tzara und Hans Arp; hinzukamen bald Richard Huelsenbeck, Sophie Taeuber, die spätere Ehefrau von Hans Arp, Suzanne Perrottet und andere. Der in Pirmasens gebürtige Schriftsteller und Dramaturg Hugo Ball war angesichts des Krieges im Jahr 1915 gemeinsam mit der Diseuse und Schauspielerin Emmy Hennings, die er in München kennengelernt hatte, in die Schweiz emigriert, wo er für kurze Zeit zum Motor der Züricher Dada-Bewegung wurde. Fotografisch überliefert ist eine der Soireen im Cabaret Voltaire, die Hugo Ball in „kubistischer“ Kartonverkleidung bei der Rezitation seiner scheinbar sinnlosen Lautgedichte zeigt. Während er sich mit derartigen literarisch-performativen Aktivitäten und als „Ahnherr der Züricher Dada-Bewegung“ in die Kunstgeschichte einschreiben konnte, wurde Emmy Hennings, Partnerin und spätere Ehefrau von Ball, „aus den Memoiren ihrer männlichen Dada-Kollegen gestrichen“, wie Christa Baumgartner im Katalogbuch zur Ausstellung bemerkt. Dabei war sie monatelang fast allabendlich im Cabaret Voltaire als Sängerin, Darstellerin und Diseuse aufgetreten, auch war sie 1917 aktiv an der Gründung der „Galerie Dada“ in der noblen Züricher Bahnhofstraße im Haus des Schokoladenfabrikanten und Millionärs Sprüngli-Baud beteiligt – neben dem Cabaret Voltaire der zweite Schauplatz der Zürcher Dadaismus. Den Auftakt machte dort die Ausstellung „Modernste Malerei, Negerplastik, alte Kunst“, gefolgt von Ausstellungen expressionistischer, kubistischer und futuristischer Künstler und begleitet von Abendveranstaltungen mit „abstrakten“ und „cubistischen“ Tänzen, Lesungen, Rezitationen, musikalischen Darbietungen (Schönberg, Debussy) und Vorträgen (unter anderem über Kandinsky und Klee). Noch im Jahr 1917 distanzierten sich Hugo Ball und Emmy Hennings vom Dadaismus – in der Rückschau bezeichnete Hennings Dada als „Kinderspiel“, „weder Fisch noch Fleisch“ – und konzentrierten sich in den Jahren danach ganz auf ihre schriftstellerische Tätigkeit. Die Ausstellung in Rolandseck erinnert an Emmy Hennings mit historischen Fotografien, mit dem Gemälde „Frau mit Hut“ (um 1912/13) des Expressionisten Hanns Bolz und mit Druckgrafiken aus der Serie „Variationen über ein weibliches Thema“ (1913) von Reinhold Rudolf Junghanns. Letztere zeigen Emmy in ihrer Zeit vor Dada, als sie in der Münchner Bohème-Szene als Schaustellerin das Zielobjekt erotischer Männerphantasien war und sich durch Drogenmissbrauch am Rande existenzieller Zermürbung befand.

Johann Adam Meisenbach, Suzanne Perrottet (2. v.l.), Rudolf von Laban (r.) und andere bei Ascona, 1914, Reprofoto Rainer K. Wick
Johann Adam Meisenbach, Suzanne Perrottet (2. v.l.), Rudolf von Laban (r.) und andere bei Ascona, 1914, Reprofoto Rainer K. Wick


Der Tanz, die „Kunst des direktesten Materials“ (Raimund Meyer), spielte bei den Züricher Dada-Soireen eine besondere Rolle. Hier traten Tänzerinnen auf, die zum Kreis um Rudolf von Laban, einem der bedeutendsten Vertreter des modernen Ausdruckstanzes, gehörten. Zu erwähnen sind Suzanne Perrottet, die nicht nur zur Geliebten Labans, sondern auch zu seiner engsten Mitarbeiterin wurde, und Sophie Taeuber. Während des Ersten Weltkriegs führte Laban auf dem Monte Verità bei Ascona, seit der Jahrhundertwende Hotspot der Lebensreformbewegung, Sommerkurse durch, die zahlreiche Anhänger der modernen Tanzkunst, bei der es maßgeblich auch um die Befreiung des Körpers ging, anzogen. Die Ausstellung zeigt auf einem Foto aus dem Jahr 1914 Rudolf von Laban zusammen mit einem nackten Tänzer sowie zwei unbekleideten und zwei bekleideten Tänzerinnen. Kniend präsentiert sich, in ein dunkelblaues Gewand gehüllt, die Pianistin und Tänzerin Suzanne Perrottet, die später bedauerte, dass sie „zu viel zu Hause arbeiten [musste], als dass ich viel mit den Dadaisten zusammen sein konnte.“

links: Dada-Tanz mit Maske (Sophie Taeuber), 1917, © Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth rechts: Sophie Taeuber-Arp, Motif abstrait (masques), Composition verticale-horizontale, 1917, © Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth
links: Dada-Tanz mit Maske (Sophie Taeuber), 1917, © Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth rechts: Sophie Taeuber-Arp, Motif abstrait (masques), Composition verticale-horizontale, 1917, © Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth

Auf einem anderen Foto ist Sophie Taeuber (später Taeuber-Arp) bei einer der Dada-Soireen des Jahres 1917 in einem „kubistischen“ Kostüm als Maskentänzerin zu sehen. Masken (wie auch Puppen oder Marionetten) boten den dadaistischen Performerinnen die Möglichkeit, spielerisch alternative kulturelle oder sexuelle Identitäten zu erproben und damit einem oft überraschten, manchmal auch überforderten Publikum neuartige Daseinsperspektiven zu eröffnen. Das Maskenthema taucht auch in einer abstrakten Komposition Sophie Taeubers auf, die schon 1917 entstand und exemplarisch die programmatische Verbindung von Dadaismus und Konstruktivismus (beziehungsweise „Konkreter Kunst“) belegt: „Motif abstrait (masques). Composition verticale-horizontale“. Diese Verbindung, die unter anderem auch im Werk von Kurt Schwitters greifbar ist, geriet rezeptionsgeschichtlich durch das gängige Narrativ vom Dadaismus als Vorstufe des Surrealismus etwas aus dem Fokus, doch sei nur an den 1922 im Umfeld des noch jungen Bauhauses in Weimar abgehaltenen, kunsthistorisch bedeutenden „Internationalen Kongress der Konstruktivisten und Dadaisten“ erinnert, der freilich nicht ohne erhebliche Kontroversen ablief. Schwitters versuchte, die vermeintlich unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Dada und Konstruktivismus wie folgt aufzulösen: „Der dadaistische Künstler [...] vereinigt in sich die Kontraste: Dada und Konstruktion. Nur konsequente Strenge ist das Mittel, um uns aus dem Chaos zu befreien. [...] Er ist durch innere Konsequenz erhaben über den kompromittierenden Unsinn, den er erkennbar macht. [...] Dada ist der Übergang. Wollen wir an der Konstruktion einer neuen Zeit teilnehmen, sind wir verpflichtet, mit den einfachsten Mitteln anzufangen.“ Sophie Taeuber – übrigens eines der wenigen in der Schweiz geborenen Mitglieder der aus zum großen Teil aus Deserteuren, Exilanten und Emigranten bestehenden Züricher Dada-Gruppe – ist es gelungen, dies sowohl in ihrem freikünstlerischen wie auch in ihrem „angewandten“ Schaffen überzeugend umzusetzen.

links: Sonia Delaunay, Simultane Kleider (Drei Frauen, Formen, Farben), 1925,  rechts: Die Tänzerin und Performerin Brygida Ochaim in einem von Sonja Delaunay entworfenen Kleid,  Fotos © Rainer K. Wick
links: Sonia Delaunay, Simultane Kleider (Drei Frauen, Formen, Farben), 1925, rechts: Die Tänzerin und Performerin Brygida Ochaim in einem von Sonja Delaunay entworfenen Kleid, Fotos © Rainer K. Wick

Paris
Die Dada-Geschichte in Zürich endete relativ schnell. Hugo Ball und Emmy Hennings hatten sich schon 1917 aus dem Kreis der Dadaisten zurückgezogen, im selben Jahr kehrte Richard Huelsenbeck nach Berlin zurück, wo er eine neue, stärker politisch agierende Dada-Gruppe gründete und ein Jahr später sein „Dadaistisches Manifest“ schrieb, das von den meisten Dadaist*innen unterzeichnet wurde, Tristan Tzara ging 1919 nach Paris, um mit Schriftstellern wie André Breton, Louis Aragon, Philippe Soupault sowie dem Maler Francis Picabia und anderen, die später zum Nukleus der Pariser Surrealisten gehören sollten, einen neuen Dada-Kreis zu initiieren. Der ersten Ehefrau Picabias, der Musikerin, Kunstkritikerin und Schriftstellerin Gabrielle Buffet-Picabia widmet die Literaturwissenschaftlerin Agathe Mareuge im Ausstellungskatalog unter dem Titel „Aspekte einer weiblichen Dada-Historiografie“ einen eigenen Beitrag.

Obwohl von Gabrielle Buffet-Picabia im Jahr 1919 programmatische Texte zum Dadaismus erschienen, etwa „Petit Manifeste“, in dem sie in einem gleichermaßen humorvollen wie aggressiven Tonfall gegen die männliche Dominanz aufbegehrt, gelang es ihr in ihrem langen Leben nicht (sie wurde 104 Jahre alt), sich als Künstlerin mit eigenem Profil zu etablieren – ein zeittypisches Schicksal. Ganz anders Sonia Delaunay, die ab 1912 gemeinsam mit Ihrem Mann Robert den sogenannten Orphismus als eine spezifische, auf simultanen Farbkontrasten basierende Spielart des Kubismus entwickelt hatte und die dabei gewonnenen bildnerischen Erfahrungen später sehr erfolgreich in ihr breites kunstgewerbliches Schaffen – auf der Sprache der Geometrie beruhende Stoffmuster, Bühnenkostüme und Modeentwürfe – hat einfließen lassen. Obwohl sich die Delaunays zu Anfang der 1920er Jahre im Zentrum der Pariser Avantgarde befanden und Kontakt zu Dadaisten wie Tristan Tzara und anderen pflegten, wird man Sonias Arbeiten nicht dem Dadaismus zurechnen können. Hier zeigt sich eine Achillesferse der reich bestückten und insgesamt sehr sehenswerten Ausstellung in Rolandseck, nämlich eine Tendenz zur Überdehnung dessen, was unter dem Begriff Dada subsumiert wird, was zwangsläufig zu gewissen Randunschärfen führt.

links: Buchankündigung des Kölner „stupid“-Verlags für Angelika Hoerles „abc Bilderbuch“, 1920 (nicht erschienen), Reprofoto Rainer K. Wick rechts: Luise Straus-Ernst; Augustine Thomas et Otto Flake, 1920, Foto Katalog
links: Buchankündigung des Kölner „stupid“-Verlags für Angelika Hoerles „abc Bilderbuch“, 1920 (nicht erschienen), Reprofoto Rainer K. Wick rechts: Luise Straus-Ernst; Augustine Thomas et Otto Flake, 1920, Foto Katalog

Köln
Dies gilt insbesondere für die Sektion, in der Dada Köln präsentiert wird. Hauptakteure waren Johannes Baargeld und Max Ernst, involviert waren aber auch Heinrich und Angelika Hoerle, die den Spitznamen „Dada Angelika“ trug. 1920 gründeten die Hoerles zusammen mit dem Künstlerpaar Anton Räderscheidt/Marta Hegemann sowie mit Franz Wilhelm Seiwert die Kölner Dada-Gruppe „stupid“. Mitte der 1920er Jahre gingen aus Teilen dieser Gruppierung die „Kölner Progressiven“ hervor, die einen sozialkritischen, figurativen Konstruktivismus pflegten, während sich Räderscheidt eher der Neuen Sachlichkeit zuwandte, deren hundertjähriges Jubiläum gerade in einer spektakulären Sonderausstellung in der Kunsthalle Mannheim gefeiert wird (Bericht bei „Portal Kunstgeschichte“ folgt). Mit Blick auf das eigentliche Anliegen der Ausstellung in Rolandseck, den Beitrag der Frauen zur Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts herauszuarbeiten, hätte man erwarten können, dass Angelika Hoerle, die 1920 in der Rheinischen Zeitung als „deutsche Meisterin der Dadaisten“ bezeichnet und von der amerikanischen Malerin und Kunstsammlerin Katherine Sophie Dreier als „Komet der Kölner Dada-Szene“ gewürdigt wurde, ein exponierter Platz zugewiesen würde. Dass das nicht der Fall ist, resultiert aus dem Umstand, dass von ihr aus der Dada-Zeit kaum Arbeiten überliefert sind, wie ihr Œuvre insgesamt recht schmal ist, da sie schon 1923 dreiundzwanzigjährig an Tuberkulose starb.

Die Typo-Entwürfe für ihr „abc Bilderbuch“ von 1920 sind zwar grafisch ansprechend gestaltet, vom subversiven Geist des Dadaismus ist hier allerdings kaum etwas zu spüren. Marta Hegemann, die zu Anfang der 1920er Jahre der Kölner Dada-Szene nahestand, ist in der Ausstellung mit Arbeiten präsent, die später datieren und eher Einflüsse des Surrealismus erkennen lassen. Spezifisch dadaistisch erscheint dagegen eine Fotocollage von Luise Straus-Ernst, promovierte Kunsthistorikerin und erste Ehefrau von Max Ernst, die im Rahmen der Kölner Dada-Aktivitäten unter dem Pseudonym Armada von Duldgedalzen ausstellte. Das fragliche Blatt „Augustine Thomas et Otto Flake“ (1920) spielt sowohl im Titel als auch in der Bildgestaltung mit jener dada-typischen Kombinatorik des Heterogenen, wie sie sich ähnlich auch in den Collagen von Hannah Höch findet.

Ausstellungsansicht mit Hannah Höchs DADA-Puppen (Rekonstruktionen von Isabel Kork und Barbara Kugel, Originale 1916-18) und Hannah Höchs Ölgemälde „Vita immortalis (Werden und Vergehen)“, 1924, Foto © David Ertl
Ausstellungsansicht mit Hannah Höchs DADA-Puppen (Rekonstruktionen von Isabel Kork und Barbara Kugel, Originale 1916-18) und Hannah Höchs Ölgemälde „Vita immortalis (Werden und Vergehen)“, 1924, Foto © David Ertl


Berlin
Hannah Höch gehört zweifellos zu den kunstwissenschaftlich am besten aufgearbeiteten Dada-Frauen. Nach einem Studium an der Kunstgewerbeschule in Charlottenburg, unter anderem bei Emil Orlik, geriet sie durch Raoul Hausmann in den männlich dominierten Kreis des Berliner Dadaismus mit Richard Huelsenbeck, John Heartfield, Johannes Baader, George Grosz und anderen. Mit Hausmann (einem „hundertprozentigen Tyrann“, wie Heinz Ohff geschrieben hat) verband sie von 1915 bis 1922 eine problematische Liebesbeziehung, handelte es sich doch um alles andere als eine Verbindung auf Augenhöhe. So soll Hausmann ihr „kurzerhand jegliche künstlerische Tätigkeit“ verboten, sie gelegentlich auch eingesperrt haben.

Nach ihrer Trennung hat er ihr nicht nur die „Legitimation als Künstlerin und Historiografin“ (Ina Boesch im Katalogbuch) abgesprochen, sondern sogar die Zugehörigkeit zu Berlin Dada in Abrede gestellt. Obwohl sie es als Frau schwer hatte, sich zu behaupten, ist es ihr doch gelungen, eine respektables Werk zu schaffen und vor allem mit ihren – zum Teil sozialkritischen – Fotomontagen einen historisch bedeutenden Beitrag zur Entfaltung eines damals neuartigen künstlerischen Mediums zu leisten, das dann insbesondere von John Heartfield politisch zugespitzt als Waffe im antifaschistischen Kampf genutzt wurde. Zwar hat der Egozentrinker Hausmann die „Erfindung“ der Fotomontage immer für sich reklamiert, doch steht fest, dass Hannah Höch an diesem „Findungsakt“ einen maßgeblichen Anteil hatte. Bedauerlich ist, dass in der Ausstellung, zwar Fotomontagen von Grosz und Heartfield gezeigt werden, abgesehen von Rekonstruktionen der sogenannten Dada-Puppen und einigen Kostümentwürfen aber keine einzige der „ikonischen“ Montagearbeiten der Künstlerin aus der Dada-Zeit zu sehen ist, ein Manko, das durch das eher surreal anmutende Ölgemälde „Vita immortalis (Werden und Vergehen)“ von 1924 kaum kompensiert werden kann.

links: Theresa Bernstein, Die Baroness,1917  rechts: Theresa Bernstein, Aktskizze (Elsa von Freytag-Loringhoven), um 1917 Fotos © Rainer K. Wick
links: Theresa Bernstein, Die Baroness,1917 rechts: Theresa Bernstein, Aktskizze (Elsa von Freytag-Loringhoven), um 1917 Fotos © Rainer K. Wick

New York
Von Zürich ausgehend verbreitete sich Dada wie ein Lauffeuer durch Europa und erreichte schon früh New York. Hauptakteure waren hier Francis Picabia und Marcel Duchamp, die angesichts des Krieges Frankreich verlassen hatten, sowie der in Philadelphia geborene Man Ray, der später in der Pariser Dada- und Surrealisten-Szene eine bedeutende Rolle spielen sollte. Was die Dada-Frauen der New Yorker Szene anbelangt, so ist neben Beatrice Wood, die zusammen mit Duchamp und dem Schriftsteller und Kunstsammler Henri-Pierre Roché 1917 des dadaistische Magazin „The Blind Man“ herausgab, vor allem die exzentrische Elsa von Freytag-Loringhoven zu nennen. Geboren 1874 in Swinemünde, studierte sie ein Semester Kunst an der Kunstschule in Charlottenburg (damals noch nicht nach Groß-Berlin eingemeindet), nahm kurz Schauspielunterricht, tauchte in die Boheme der Reichshauptstadt ein, figurierte neben ihrer künstlerischen Arbeit gelegentlich als Aktmodell, trat unter anderem im Berliner Central-Theater als Revuegirl auf und hatte zahllose Affären. Nachdem sie in erster Ehe mit dem prominenten Jugendstilentwerfer und -architekten August Endell verheiratet war, kam sie 1910 in die USA und heiratete 1913 in New York in dritter Ehe den wegen Spielschulden aus Deutschland geflohenen Leopold Baron von Freytag-Loringhoven. Damit erwarb sie den Adelstitel, der sie in der New Yorker Avantgardeszene bald als „Dada-Baroness“ populär werden ließ. Schon 1914, nach Kriegsausbruch, hatte Baron von Freytag-Loringhoven seine Frau Elsa verlassen, um sich in Deutschland zum Kriegsdienst zu melden – nicht ohne ihr Erspartes mitgehen zu lassen, so dass die Baroness unversehens auf sich selbst gestellt war. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, stand sie Modell, etwa für die Malerin Theresa Bernstein; von Man Ray ließ sie sich nackt tanzend fotografieren. Ihr Liebesleben war exzessiv, ihre Poesie obszön, ihr Outfit extravagant. Sie trug bizarre, selbst entworfene Kleider und inszenierte sich mit kurz geschnittenem, grell gefärbtem Haar oder kahl geschorenem Kopf, schminkte ihre Lippen schwarz, klebte sich eine Briefmarke auf die Backe und betonte, ganz im Sinne Dadas, ihre „Ausdrucksform [sei] der Protest gegen alles Konventionelle“. Dies galt auch für ihre künstlerischen Aktivitäten. 1913 erklärte sie einen unterwegs gefundenen Eisenring, ein Objet trouvé, kurzerhand zum Kunstwerk, also im selben Jahr, in dem Marcel Duchamp sein berühmt gewordenes Readymade „Fahrrad-Rad“ schuf. Damit und mit ähnlichen Praktiken gehörte Elsa von Freytag-Loringhoven mit zu den Ersten, die den traditionellen Kunstbegriff radikal in Frage stellten und frühe Beiträge zur sogenannten Objektkunst des 20. Jahrhunderts lieferten.

links: Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven und Claude McRay, vor 1928  rechts: Artikel „The Richard Mutt Case“ in der Dada-Zeitschrift „The Blind Man“, Nr. 2, 1917, mit dem von Alfred Stieglitz fotografierten und gemeinhin Marcel Duchamp zugerechneten R
links: Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven und Claude McRay, vor 1928 rechts: Artikel „The Richard Mutt Case“ in der Dada-Zeitschrift „The Blind Man“, Nr. 2, 1917, mit dem von Alfred Stieglitz fotografierten und gemeinhin Marcel Duchamp zugerechneten R

Dies gilt möglicherweise auch für eines der Schlüsselwerke der Moderne, nämlich das legendäre Objekt „Fountain“ von 1917 – ein handelsübliches Urinal, um neunzig Grad gekippt und so seiner eigentlichen Funktion beraubt, signiert mit dem Namen R. Mutt. Dieses provozierende, für die „Antikunst“ des Dadaismus nachgerade exemplarische Objekt wurde im Frühjahr 1917 von Duchamp für die Jahresausstellung der Society of Independent Artists in New York eingeliefert – und abgelehnt. Seither wird es gemeinhin Duchamp zugeschrieben, und in den 1960er Jahren hat der Künstler Multiples des nicht mehr existierenden Originals (es gibt davon nur ein Foto von Alfred Stieglitz) anfertigen lassen, mit denen er seinen Anspruch auf Autorschaft zementierte. Gleichwohl wird seit der ersten Biografie über Freytag-Loringhoven von Irene Gammel vor etwas mehr als zwanzig Jahren zum Teil kontrovers diskutiert, ob es sich nicht um ein Readymade der „Baroness“ gehandelt haben könnte, das Duchamp zwar eingereicht, aber nicht selbst realisiert hat. Denn in einem Brief an seine Schwester Suzanne erklärte er, die Idee zu „Fountain“ stamme von einer „Freundin“, womit Elsa gemeint gewesen sein könnte, die in New York eine Zeitlang im selben Haus wohnte wie Duchamp und mit dem sie sich künstlerisch austauschte. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, müsste nicht nur die Kunstgeschichte ein Stück weit umgeschrieben werden, sondern es würde sich auch um ein Mosaiksteinchen in der langen Geschichte der männlichen Dominanz von Künstlern über ihre Kolleginnen und Partnerinnen handeln, die von den Männern an den Rand gedrängt, für die eigene Karriere instrumentalisiert oder gar um ihre Urheberschaft gebracht wurden.

Elsa von Freytag-Loringhoven starb 1927, zu früh, um rechtzeitig für Ihren Nachruhm gesorgt zu haben. „Ich bin nicht ‚bekannt genug‘ geworden, und so werde ich vergessen“, so die New Yorker „Dada-Baroness“ hellsichtig in einem Brief an eine befreundete Schriftstellerin – ein Schicksal, das nicht verallgemeinert werden kann, aber ein biografisches Muster darstellt, das von zahlreichen künstlerisch arbeitenden Frauen, nicht nur Dadaistinnen, geteilt wurde.


Die Ausstellung, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, dem Vergessen entgegenzuwirken, wird von einem im Hirmer Verlag erschienenen, informativen und reich bebilderten Katalogbuch begleitet. Dass die interessanten Textbeiträge ausschließlich von Autorinnen stammen, wird bei einem feministisch grundierten Projekt wie diesem niemanden überraschen.

Cover © Hirmer Verlag
Cover © Hirmer Verlag

Katalog
der die DADA - Unordnung der Geschlechter
hrsg. von Julia Wallner,
mit Beiträgen von Astrid von Asten, Christa Baumberger, Ina Boesch, Simone Gehr, Nora Gomringer, Talia Kwartler, Agathe Mareuge, Brygida Ochaim, Helene von Saldern, Isabel Schulz, Ursula Ströbele, Julia Wallner und Joëlle Warmbrunn
288 Seiten, 200 Abbildungen
ISBN 978-3-7774-4443-7
38,- EUR
Hirmer Verlag, München

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