Ausstellungsbesprechungen

Der entfesselte Blick – Die Brüder Rasch und ihre Impulse für die moderne Architektur, MARTa Herford, bis 1. Februar 2015

Mit ihren Hängehauskonstruktionen erregten die Brüder Heinz und Bodo Rasch in den 1920er Jahren Aufsehen, ihre Freischwingerstühle wurde später Kult. Doch der Ruhm blieb den Designern und Architekten selbst versagt und nur wenige ihrer Entwürfe wurden wirklich realisiert. Dass sie dennoch Impulsgeber für wichtige Entwicklungen des Neuen Bauens gaben, beweist das MARTa. Freya Leonore Niebuhr war vor Ort.

Die Stuttgarter Architekten und Möbelgestalter Heinz und Bodo Rasch gelten als Vertreter des Neuen Bauens und machten sich auch als Architekturtheoretiker einen Namen. Ihr Können basierte auf einem ausgezeichneten Gespür für Erfindungen und spezifischem ingenieurwissenschaftlichem Wissen. Das MARTa Herford präsentiert Möbel- und Architekturentwürfe der Brüder Rasch und bietet gleichzeitig einen Überblick über ausgewählte innovative Bauten verschiedener Architekten ab 1960. Interessant zu sehen ist, dass die Bauten der zeitgenössischen Architekten nicht selten Elemente aufzeigen, die schon die Raschs in ihre Entwürfe einfließen ließen.

Die Brüder Rasch beschritten zunächst getrennte und vor allem unterschiedliche Wege: Während Heinz (1902-1996) in Hannover ein Architekturstudium begann und schließlich in Stuttgart eine Firma gründete, studierte sein jüngerer Bruder Bodo (1903-1995) zunächst Land- und Forstwirtschaft. Neben dem Studium absolvierte er eine Lehre beim Schreiner und machte sich auf diese Weise mit verschiedenen Materialien und der Konstruktion von Möbeln vertraut.

Im Jahre 1926, zu Zeiten der Weimarer Republik, begann schließlich eine vierjährige gemeinsame Schaffenphase, in der die Brüder Rasch unzählige Entwürfe erarbeiteten. Schnell avancierte ihr Büro in Stuttgart zu einem Szenetreff für die dortige Architektur- und Gestalterszene. Doch nicht nur auf lokaler Ebene waren sie gut vernetzt. So kannten sie auch bedeutende Architekten ihrer Zeit, die Architekturfans und Kunstinteressierten noch heute ein Begriff sind: sie pflegten persönlichen Kontakt zu Mart Stam, Walter Gropius und Mies van der Rohe sowie zum Künstler Kurt Schwitters.

Als besonders charakteristisch für Heinz und Bodo Raschs Arbeiten gelten ihre Stuhl- sowie ihre Hängearchitekturentwürfe. Viel Zeit investierten sie in den Entwurf und Bau von Freischwingerstühlen, die zu späterer Zeit echte Verkaufsschlager wurden. Inspirationen für den Freischwingerstuhl, der anfangs Kragstuhl genannt wurde, fanden die Raschs beispielsweise in natürlichen Körperbewegungen des Menschen. So empfanden sie z.B. die Haltung bei einer Kniebeuge wegweisend für die Neigung der Sitzfläche. Heinz und Bodo Rasch hatten den Anspruch, dass ihre Stühle stabil, leicht, bequem aber auch erschwinglich sein sollten. Sie konstruierten u.a. einen Kragstuhl, der dem Nutzer ausreichend Beinfreiheit garantierte und komfortabel sein sollte. Ab 1927 arbeiteten sie vermehrt mit glänzendem Stahlrohr, doch nutzten sie auch Flechtelemente für die Sitz- und Rückenlehnenflächen. Das MARTa zeigt zahlreiche Skizzen und ausgewählte Modelle dieses Stuhltypus.

Die Brüder Rasch entwickelten im Laufe ihrer Zusammenarbeit ca. 150 verschiedene Stuhlmodelle, doch konnte sich keines von diesen tatsächlich auf dem Markt behaupten. Dennoch waren ihre Erkenntnisse über den Freischwingerstuhl rückblickend wichtig für den späteren Erfolg dieses Stuhlmodells.

Da der Konstruktion viel Zeichenarbeit vorausging und sich während der Entwurfsphase eine Menge Skizzenpapier ansammelte, arrangierten die Brüder diese Zeichnungen in einfachen Holzbilderrahmen. So konnten sie die wichtigsten Skizzen selektieren und nebeneinander in den Fokus ihres Denkens stellen. Einige dieser sogenannten Skizzenrahmen sind – in unveränderter Skizzenformation – im MARTa ausgestellt. Heinz und Bodo Rasch nutzten Bleistift, Tusche und Graphit um ihre Ideen auf Transparentpapier zu visualisieren. Neben flüchtigen Zeichnungen, die wohl frühen Entwurfsphasen entstammten, werden den Ausstellungsbesuchern auch detailgetreue, akribisch ausgearbeitete und mit Zahlen und Maßangaben versehene Zeichnungen präsentiert.

Auch der Wohnungseinrichtung widmeten sich die Brüder im größeren Stil. In der bekannten Stuttgarter Weißenhofsiedlung, 1927 vom Deutschen Werkbund unter Leitung Mies van der Rohes errichtet, statteten sie zwei Wohnungen aus.

Nicht minder vielfältig als ihre gestalterischen Ideen sind ihre Pläne für Hängehäuser. Diese hingen regelrecht an ihrem Gebäudekern herunter. Galten gerade diese Hochhausentwürfe damals noch als innovativ und wagemutig, sind viele dieser Ideen heute längst umgesetzt. So spielten sie mit dem Gedanken, Bauten aus Containern zu errichten oder luftgefüllte Gebäudehüllen zu realisieren. Im Rahmen der Ausstellung wird z.B. ein 2007 vom japanischen Architekten Kengo Kuma entworfenes Teehaus präsentiert.

Unberechtigterweise hat man dabei die im Angesicht der damaligen Zeit herausragenden architektonischen Leistungen der Raschs längst vergessen. Die Brüder waren Pioniere auf ihrem Fachgebiet. Ihre zwischen 1926-1930 entstandenen Arbeiten werden heute als Gemeinschaftswerke erachtet und daher beiden zugeschrieben. Ab dem Jahr 1930 arbeiteten Heinz und Bodo Rasch dann getrennt.

Da nur wenige ihrer Entwürfe tatsächlich realisiert wurden, präsentiert sich die Ausstellung »Der entfesselte Blick« einerseits sehr skizzen- und textlastig. Andererseits zeigt die Vielzahl dieser Dokumente auch eindrucksvoll den scheinbar unbegrenzten Ideenreichtum der Brüder auf, die zu Lebzeiten längst nicht die Anerkennung erhielten, die sie für ihr Schaffen verdient hätten. Auch die vom Kuratorenteam mit Baustoffen wie Rohren und Blech gestalteten Ausstellungsräume machen einen Besuch der Ausstellung im MARTa lohnenswert.

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