Ausstellungsbesprechungen

Der Maler und der Spieler - Harald Reiner Gratz und Thomas Thieme. Begegnung in Bildern, Galerie Abtart, Stuttgart, bis 21. Dezember 2012

Der Maler Harald Reiner Gratz beobachtete einen besonderen Charakterschauspieler: Thomas Thieme. In Zeichnungen, Ölmalereien oder Fotocollagen skizziert er ein Paradebeispiel des Berufsbildes. Gratz und Thieme – Der Maler und der Spieler – begegnen sich in Bildern, die ein exzentrisches Schauspielerleben zeigen. Günter Baumann hat sich das Possenspiel angesehen.

Einfach gesagt, wird hier ein Schauspieler-Porträt angezeigt. Doch Porträt wäre zu wenig gesagt. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob man einen Schauspieler überhaupt objektiv porträtieren kann – hat man nicht immer eine Rolle vor Augen und nicht den Menschen dahinter? Da sitzen etwa in einer Fotostrecke der Maler Harald Reiner Gratz und der Schauspieler Thomas Thieme nebeneinander auf Stühlen, die Hände im Schoß verschränkt. Der Mime, ein national renommierter Mensch, auf Bühnen gefeiert, im Film präsent wie kaum einer, agiert noch nicht einmal – und signalisiert doch allein durch ein Minimum an Mimik, dass man ihn nicht einfach ablichten kann. Es reicht ein lächelnder Zug um seine Lippen, um verschmitzt zu fragen: Bin ich ein anderer? Der Maler daneben vermittelt den Eindruck, als könne er kein Wässerchen trüben, wohl wissend, dass er sein Gegenüber nicht einfach (ab)malen kann. Überhaupt will dieser ihm gar nicht sitzen in dem klassischen Sinne des Porträtmalens. Und doch: Mit den Mitteln der Malerei kann man Begegnungen festhalten, sowohl die echten als auch die fiktiven. Soweit kann man aus der Fotoserie über Gratz und Thieme herauslesen, was den Betrachter der Ausstellung erwartet: Initiiert im Neuen Museum in Weimar, zeigt die Stuttgarter (selbstbewusst auch Kunsthalle genannte) Galerie Abtart Ölgemälde und Papierarbeiten von Harald Reiner Gratz, die im Umgang mit Thomas Thieme entstanden sind – eben keine Porträts, sondern gemalte Bühnenszenen, Bildnisse (den feinen Unterschied zum Porträt lernt man hier kennen) und Rollenbilder.

In einer Langzeitstudie hat der 1962 in Schnellbach (Thüringen) geborene Harald Reiner Gratz den Weimarer Vollblut-Schauspieler Thomas Thieme, Jahrgang 1948, über 70 Mal dargestellt. Eine Auswahl verteilt sich nun über drei Stockwerke der Galerie Abtart. Die expressiv-farbigen Gemälde und grandiosen, malerisch grundierten Zeichnungen vermitteln weniger ein Bild des Menschen Thieme als das Image eines Berufstandes, die Wucht eines Charakterkopfes mit der Leidenschaft für skurrile Szenen. Für Gratz sind Bildserien wichtig, um ein Thema einzukreisen – 2008 entstand etwa der von Kleist inspirierte »Penthesilea«-Zyklus – , die nie nur dokumentieren: Die Lust am Fabulieren mit dem Pinsel ist den großformatigen Arbeiten anzusehen. Dem Betrachter mag es dabei zuweilen schwindelig werden, wenn er versucht, aus dem Detailszenen schlau zu werden. Historische Anspielungen, Personen der Zeitgeschichte – oftmals im Kontext der beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert – , Überraschungs- und Zufallsmotive versammeln sich zu einem unergründlichen Bühnen-Panoptikum. Manchmal hilft der Titel ein Stück weiter, wie »Der Zauberer von Oz«, »Macbeth« usw., doch wäre man verloren, wenn man hier 1:1-Übertragungen erwarten würde: Es geht um die fantasiestrotzende Möglichkeit einer Darstellerpräsenz, die der Maler offen legt, sei es um die Gedankenfülle des (Schau-)Spielers nach außen zu kehren, sei es um sich die Erwartungsperspektive des Zuschauers auszumalen. Womöglich treffen sich beide in der Mitte der Kunst. Vermutlich ist die ausladende Gratzsche Bilderpracht ein Befreiungsschlag, der seinen Auslöser in der geistigen Stagnation der DDR-Wirklichkeit hat. Der Maler selbst wuchs in der Untergangsphase des ostdeutschen Staates auf, begann 1985 in Halle / Burg Giebichenstein zu studieren, als Thieme bereits ein Jahr mit offizieller Ausreisegenehmigung in den Westen übergesiedelt war. So konnte er noch gar nicht so sehr wie andere die räumliche Einengung kritisieren, doch litt er sehr unter Schikanen und unter der geistigen Einengung, die er erklärtermaßen als »Mief« empfand.

Das Werk von Gratz, dem er sozusagen seine Gedankenwelt lieh, macht den seelischen Druck jener Zeit nachvollziehbar, der sich ein Ventil suchte – hier die an sich exhibitionistische Schauspielerei, dort die explosive Farbgewalt der Malerei. Wie eng beide Viten zusammenspielen, zeigt sich darin, dass Gratz und Thieme sich bereits 1984 kennen lernten – und nach langer, system- und berufsbedingter Funkstille zwischen beiden konzentrierte sich von 2009 bis 2011 die Bekanntschaft dann in diesem Beobachtungsprojekt, das dem erwähnten Kleist-Projekt von Gratz folgte. Die Aufgabe, die sich Gratz stellte, war das an einer Einzelperson festgemachte, aber allgemeingültige Künstler- und Rollenbild der Gegenwart. Die professionelle Liaison lässt den Maler tief in die Spielerseele blicken, zuweilen bis in den – von beiden vorausgesetzten – absurden Grund einer skakespeareschen Existenz, die die pure Oberfläche, das äußere Bild überflüssig macht. Faszinierend sind die Übergänge, wo Thieme sich auf der Leinwand in die Fausts, Othellos, Görings usw. verwandelt, und dazu noch die, in denen nicht mehr klar ist, ob noch Thieme oder schon Gratz abgebildet ist. Im grellen Licht und im erfrischenden Detailchaos ist das alles denkbar, verliert hier und da auch an Bedeutung, wenn sich der Betrachter an dem exzentrischen Neo-Pop-Expressionismus am Rande des Informel sowie der Figuration erfreuen kann.

Wer sich durch diese malerische Zeitreise begeben hat, sollte sich im Seitentrakt der Galerie Abtart noch ein zweites Langzeitprojekt nicht entgehen lassen: Unter dem Titel »A Part of Art« hat der Esslinger Fotograf Dieter Blum berühmten Künstlern ein Aktmodell »zur Verfügung« gestellt und fotografiert, was er als Bodyart provoziert hatte. 20 Jahre lang hat Blum dafür aufgewendet. Eine Auswahl ist zu bewundern, darunter wahrhaftige Körper-Raum-Installationen von Günther Uecker oder Lothar Quinte. Außerdem begegnet man Arbeiten von Alex Katz, San Keller, Elvira Bach, Oda Jaune, Heinz Mack, Erich Hauser, Sandro Chia, Nam June Paik, Ben Willikens, Barbara Kruger, Alfred Hrdlicka, Markus Lüpertz, Fritz Schwegler, Jörg Immendorff, Louise Bourgeois, Markus Tollmann, Johannes Grützke, Robert Rauschenberg, K.R.H. Sonderborg u.a.m.

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