Ausstellungsbesprechungen

Der rote Schirm. Liebe und Heirat bei Carl Spitzweg, Kunsthaus Apolda Avantgarde, bis 15. Dezember

Carl Spitzweg (1808-1885) gehört zu den wenigen bedeutenden Humoristen in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Er setzte verhinderten Liebhabern genauso ein Denkmal wie armen Poeten. Als wachsamer Beobachter seiner Zeit nahm er sich und die Gesellschaft des Biedermeier aufs Korn. Nun sind über 100 seiner Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken in Apolda zu sehen. Rowena Schubert-Fuß war vor Ort und hat sich köstlich amüsiert.

Carl Spitzweg, Der Sonntagsspaziergang, 1841, © Museum Carolino Augusteum Salzburg / Wikimedia Commons
Carl Spitzweg, Der Sonntagsspaziergang, 1841, © Museum Carolino Augusteum Salzburg / Wikimedia Commons

Kniehohe Gräser wiegen sich leicht im Wind, während Wolken über den Himmel ziehen. Den warmen Sommertag nutzend, unternimmt eine Familie eine Wanderung im Gelände. An der Spitze geht klassisch das Familienoberhaupt, sein Gesicht mit einem Zylinder beschattend. Dahinter drei Frauen in taillierten Kleidern und überdimensionierten Häubchenhüten. Ganz hinten, und von der Gruppe abgewandt, ist der jüngste Sohn mit seinem Schmetterlingsfänger beschäftigt.

Nur der Connoisseur erkennt die Kritik an gesellschaftlichen Konventionen, die der Münchner Maler hier im »Sonntagspaziergang« (1841) übt. Als Sohn eines reichen Gewürzhändlers war Spitzwegs Leben eigentlich durchgeplant. Der Vater hatte für ihn eine Karriere als Apotheker vorgesehen. Diesem Wunsch kam Carl Spitzweg zwar nach, jedoch träumte er immer davon kreativ tätig zu sein. Schon seine Mutter und später die Stiefmutter, die gleichzeitig seine Tante war, ermunterten ihn diesbezüglich.

Franz Hanfstaengel, Carl Spitzweg (1860) © Wikimedia Commons
Franz Hanfstaengel, Carl Spitzweg (1860) © Wikimedia Commons

So nutzte er jede Gelegenheit, um seine Beobachtungen des täglichen Lebens malerisch und zeichnerisch festzuhalten. Immer wieder greift er etwa die Prüderie und Zwänge der biedermeierlichen Gesellschaft auf und kommentiert diese in seinen Arbeiten. In »der ewige Hochzeiter« (um 1858-60) verspottet der Künstler die komplizierten Regeln der Brautwerbung. In aller Öffentlichkeit macht ein junger Mann hier einer Wäscherin vor einem Brunnen einen Antrag. An seiner Kleidung erkennt man den Standesunterschied. Mit Verwunderung und Erstaunen blicken andere Passanten in der Straße denn auch auf diesen Vorfall.

Carl Spitzweg, Der ewige Hochzeiter, 1858-60, © Arche Noah Museum Hohenems / Wikimedia Commons
Carl Spitzweg, Der ewige Hochzeiter, 1858-60, © Arche Noah Museum Hohenems / Wikimedia Commons

Dass eine Gruppe im Hintergrund über das seltsame Verhalten der Hauptprotagonisten tuschelt, ist ein Duktus, den wir auch in »Die Angebetete« (gegen 1840) finden: inbrünstig bittet ein Schreiber hier um ein Rendezvous. Dafür hat er sich sogar hingekniet. Seine Offerte bleibt indes unbeantwortet, denn es handelt sich bei der Angebeteten um eine Kleiderpuppe. Dies hat der kurzsichtige Galan allerdings nicht bemerkt, trotz warnendem Gebell seines kleinen Hundes.
Die Liebe beschäftigt den zeitlebens unverheirateten Spitzweg wie kein anderes Thema. Verborgene Sehnsüchte und geheime Begierden verstecken sich in Liebesbriefen, Blumensträußen oder schnäbelnden Tauben. Kuratorin Andrea Fromm macht den roten Schirm der Hochzeitslader zum Leitmotiv der Schau. Vermutlich stach er dem Künstler 1835 bei den öffentlichen Feierlichkeiten zur Silberhochzeit Ludwig I. auf der Theresienwiese in München ins Auge und fand im gleichen Jahr Eingang in seine Malerei.

Ausstellungsansicht © Kunsthaus Apolda Avantgarde / Frankfurt
Ausstellungsansicht © Kunsthaus Apolda Avantgarde / Frankfurt


Doch isoliert Spitzweg ihn aus seinem herrschaftlichen Kontext und öffnet den Deutungshorizont, macht ihn zum Begleiter bei Spaziergängen, Reisen und Wanderungen und setzt ihn auch beim Arbeiten in der Schreibstube oder im Studierzimmer in Szene. Folgt man der Schirmspitze trifft man auf mannigfaltige Drolerien und Anomalien.
Ein weiteres wiederkehrendes Sujet ist nämlich die ironische Behandlung von Individualisten und Intellektuellen. Bekannt sind etwa »Der arme Poet« (1839) oder »Der Bücherwurm« (1850). Der »Naturforscher (Der Mineraloge in der Grotte)« (um 1880) zeigt einen Entdecker inmitten einer dunklen Tropfsteinhöhle, geradezu winzig wirkt ein Hammer in seinen Händen. Genau hinschauen muss man auch, um einen kleinen Frosch im Vordergrund zu erkennen, der den Naturwissenschaftler anblickt. Ein roter zusammengefalteter Schirm, den in dieser Umgebung niemand vermuten würde, zeigt auf das Tier. Doch wird man nicht erwarten können, dass es hier eine märchenhafte Verwandlung geben wird. Stattdessen sehen wir einen Sonderling, der sich ganz seinen Interessen verschrieben und darüber die Welt vergessen hat, wie die verspiegelten Brillengläser verraten.

Carl Spitzweg, Der Naturforscher, zwischen 1875-80. © Milwaukee Art Museum / Wikimedia Commons
Carl Spitzweg, Der Naturforscher, zwischen 1875-80. © Milwaukee Art Museum / Wikimedia Commons


1815 stellte der Wiener Kongress die alte Ordnung vor Napoleon wieder her und sicherte die Macht der Fürsten. Die Karlsbader Beschlüsse 1819 und deren Verschärfung einige Jahre später schränkten die Rechte der Bürger weiter ein. Viele Menschen wandten sich enttäuscht ab und zogen sich daraufhin ins Private zurück.
Es ist ein Verdienst der Ausstellung, Spitzweg nicht als braven Maler dieser bürgerlichen Idylle darzustellen, als der er lange Zeit galt. In seinen Arbeiten verbinden sich Gegensätze wie Heimat und Fernweh, Idylle und Subversion, Tradition und Moderne. Und es sind gerade diese Widersprüche, die die Betrachtung seiner Gemälde und Zeichnungen zu einer reizvollen und auch vergnüglichen Angelegenheit machen.


So entlarvt er in »Der « (um 1844) Stereotypen des Liebes- und Ehebegriffs. Der Herr in Schwarz, der scheinbar trauernd auf der Bank in einem Park sitzt, scheint mehr den eigenen unerfüllten Liebesträumen nachzutrauern als seiner verblichenen Ehefrau: zwar hält er ihr Abbild in Händen, doch blickt er tatsächlich zwei äußerst lebendigen jungen Frauen hinterher, die an ihm vorbei flanieren.

Carl Spitzweg, Der Witwer, um 1844 © Städel Museum Frankfurt / Wikimedia Commons
Carl Spitzweg, Der Witwer, um 1844 © Städel Museum Frankfurt / Wikimedia Commons

Viel ehrlicher scheint dagegen die Freundesliebe, die der vielreisende Künstler in »Jugendfreunde (Besuch auf dem Lande)« (um 1860) darstellt. Hier trifft soeben ein älterer Herr ein. Dieser wird vom Gastgeber, der auf der Treppe zur Eingangstür seines Hauses steht, freudestrahlend mit erhobenen Händen begrüßt. Ein Hund läuft ihm, dem Gast, schwanzwedelnd entgegen, während ein Kutscher im Hintergrund das Reisegepäck auslädt. Es hat etwas Rührendes an sich, wäre da nicht die Agave im Vordergrund. Als studierter Pharmazeut weiß Spitzweg, dass aus ihren Blättern eine Arznei gegen Syphilis gewonnen wird. »Thematisiert der Schelm Spitzweg hier gar eine homoerotische Beziehung?«, fragt Andrea Fromm im Katalog zur Ausstellung.

Ausstellungsansicht © Kunsthaus Apolda Avantgarde / Frankfurt
Ausstellungsansicht © Kunsthaus Apolda Avantgarde / Frankfurt


Die Libido älterer Männer ist eine Thematik, die Spitzweg u.a. in Plätscherbildern in Szene setzt, wo ein dürftiger Wasserstrahl aus einem Brunnen oder ein krummer Kaktus von den Protagonisten mit heimlicher Sorge betrachtet werden (»Der Brunnengast« (um 1850), Der Kaktusliebhaber«(um 1865)).


Es darf also herzhaft gelacht werden, wenn im Werk dieses malerischen Autodidakten Tragisches und Dramatisches in Komik und Absurdität, Anstand und Sitte in Unmoral und Anstößigkeit umschlagen. Jeder Rundgang durch die Schau dürfte sich mit Sicherheit als ein Sonntagsspaziergang der ganz besonderen Art erweisen. Versprochen!

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