Ausstellungsbesprechungen

Der Struwwelpeter. Ausstellungen zum 200. Geburtstag seines Schöpfers Heinrich Hoffmann

Struwwelpeters Vater. Heinrich Hoffmann wird 200, Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, bis 15. August 2009; Heinrich Hoffmann – Peter Struwwel Frankfurt a. M., Historisches Museum, bis 26. September 2009; Struwwelpeters Welt, Nürnberg, Nationalmuseum, bis 30. September 2009; Der Struwwelpeter, Salzburg, Spielzeug Museum, bis 15. November 2009.

Generationen haben sich geschworen, ihn aus der Erziehung herauszuhalten, Heerscharen von Kritikern, Satirikern und Parodisten haben an seinem Stuhl gesägt – aber der Struwwelpeter trotzt noch immer der Brandung des widerstrebenden Geistes, der noch kläglich einwerfen kann, dieser zottelige Tunichtgut sei doch noch nicht mal gut gezeichnet. Dennoch bleibt er unverwüstlich oder besser: unverbesserlich. Überhaupt: Unser Gedächtnis gaukelt uns etliche gar schreckliche Bilder vor (den abgeschnittenen Finger obenauf), hat aber ganz verdrängt, dass die Titelfigur grade mal das Eingangsbild füllt und sonst in der Geschichte nicht auftritt. Und selbst das ist relativ, denn ursprünglich rangierte der zunächst »Struwwel- und Nagelkind« genannte Bengel weiter hinten, arbeitete sich – zum Liebling der jungen Lesegemeinde avanciert – im Entstehungsprozess nach vorne und nahm dem Daumenlutscher auch noch den Namen Peter ab (der hieß fortan Konrad). Geschichten kamen hinzu, wurden hin und her verschoben, der Struwwelpeter verwandelte sich vom ungekämmten Lausejungen zum langmähnig-waldschrathaften Trotzkopf und schließlich zum allseits bekannten »Gegenkind« mit strahlenkranzförmigem Haargebüsch. 1859, also vor 150 Jahren, ist die ganze Geschichte zurecht gebürstet worden – seit der Erstfassung von 1845 gab es da schon 28 Auflagen, und die Erfolgsgeschichte setzte sich fort in mittlerweile unzähligen Auflagen und in nahezu flächendeckenden Übersetzungen weltweit. Da der Schöpfer, Heinrich Hoffmann, in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, ist das Grund genug, die struwwelige Geschichte zu würdigen. Die Verlage mischten weitere ungezählte Ausgaben unters Volk, als ginge es um die Vita eines Popstars, und allüberall begegnet uns das Struwwel-Kind und sein geistiger Vater in groß angelegten Ausstellungen, von denen manche Künstler nur träumen können.

Kaum dass man sich mit Hoffmanns »Struwwelpeter« genauer befasst, sitzt man seinem Reiz auch auf. Das hat Peter von Matt im Nachwort der von ihm herausgegebenen Ausgabe souverän auf den Punkt gebracht: »Er ist unsterblich. Das weiß jeder. Und keiner weiß warum.« (H. Hoffmann, Der Struwwelpeter, Stuttgart 2009) Mit feinfühliger Psychologie rückt von Matt dem rot bewamsten Kinderbuchhelden, den der Frankfurter Arzt für seinen dreieinhalbjährigen Sohn erfand, auf den Pelz. Die Ausstellungen in Frankfurt, Karlsruhe, Nürnberg und Salzburg – um nur die großen zu nennen – sorgen in diesem Sommer, und teilweise bis in den Herbst hinein dafür, den Boden ordentlich durchzupflügen, auf dem dieser Struwwelpeter gedeihen konnte. Im Zentrum steht überall Heinrich Hoffmann, dessen Vita ja auch für Überraschungen gut ist. Geboren 1809 in Frankfurt am Main, studierte der Architektensohn in Heidelberg, Halle und Paris Medizin. Der Praktische Arzt, Geburtshelfer und Mitarbeiter an der Armenklinik beginnt  1842 zu dichten. Seinen literarischen Neigungen traut er selbst nicht recht, versteckt sich hinter einem Pseudonym – den ersten Struwwelpeter-Band 1845 publizierte er als »Reimerich Kinderlieb«. So sehr er hierbei um seinen Ruf als Mediziner bangte, ist sein Auftritt als Politiker für ihn kein Problem: 1848 ist er Delegierter in der Frankfurter Paulskirche. Er brauchte bis 1858, bis er – mittlerweile Irrenarzt – seine endgültige Fassung des Struwwelpeter herausbringt und namentlich dafür einsteht. 1876 wird die 100. Auflage gefeiert. Nach seiner Pensionierung 1888 beginnt Hoffmann mit seinen Memoiren. Am 20. September 1894 stirbt er in seiner Heimatstadt.

Karlsruhe folgt in seiner sympathisch überschaubaren Schau den vielen biographischen Facetten des Autors, der immerhin für vier Kinderbücher verantwortlich zeichnet. Frankfurt stellt Hoffmann in seiner dagegen opulenten Präsentation in einen grandiosen Zusammenhang mit der damaligen Kulturgeschichte. Das gewichtige Begleitbuch macht den interessierten Besucher fit für den »Networker« Hoffmann. Und Nürnberg stellt den »Struwwelpeter« selbst in den Mittelpunkt – das Nationalmuseum besitzt das Original der Urfassung, die zwar zur Zeit nach Frankfurt entliehen wurde – aber in Reproduktionen kann sich der Leser ein Bild von der Fassung machen, während ein Einblick in die Rezeptionsgeschichte zeigt, dass es sich um ein erkennbar autodidaktisch angeeignetes, aber keineswegs um ein dilettantisches Werk handelt. Höchst verdienstvoll ist die Reprintausgabe des sogenannten »Urmanuskripts« von 1844.
Aus einem österreichischen Blickwinkel begegnet Hoffmann uns in Salzburg, wo unter anderem auch »Der ägyptische Struwwelpeter« zu sehen ist, der in Wien entstand. In den teils umfangreichen Katalogen und Begleitbüchern kann man sich vertiefen, bis keine Frage mehr zu Hoffmann und seiner berühmtesten Schöpfung offen ist, oder besser: bis wir überhaupt eine solche Fülle an Material über den »unbekannten Bekannten« unter Frankfurts Bürgern haben, dass wir ganz neue Fragen stellen können. Denn die einzigartige Wirkungsgeschichte des Struwwelpeters, dessen Reichweite bis nach China reicht, bleibt ein Rätsel. Selbst wenn man das Opus magnum heute nicht mehr zur Erziehung heranziehen mag, haben sich die klinische Psychologie und die Jugendpsychiatrie der Unterthemen des »Zappelphilipp« oder des »Hans-Guck-in-die-Luft« angenommen, die mit Hyperaktivitäten zu tun haben. Und nicht zuletzt wird man sich weiterhin mit dem Klassiker des Kinderbuches kunsthistorisch auseinandersetzen müssen.
 

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