Ausstellungsbesprechungen

Der Westen leuchtet, Kunstmuseum Bonn, bis 24. Oktober 2010

Die Ausstellung stellt zum einen die wichtigsten Künstlerinnen und Künstler der älteren Generation (von Richter bis Gursky) mit jeweils neuen Arbeiten vor und verknüpft diese zum anderen mit zentralen Werken der jungen Nachwuchskunst zu einer Gesamtübersicht von mehr als 30 Positionen. Günter Baumann hat sich die interessante Ausstellung angesehen.

Dass der Westen so leuchten kann, muss man sich schon im Museum anschauen. Im Kunstmuseum Bonn lässt man den Westen sogar in Farben strahlen, als ob es darum ginge, den grauen Alltag zu betören, und obendrein bringt es – das heißt in diesem Fall: die Künstlerin Ursula Neugebauer – sieben rote Taftkleider über computergesteuerte Elektromotoren zum Tanzen, um dem Titel besonderen Nachdruck zu verleihen. Bevor man fragen kann, ob der Anspruch exklusiv gilt und der Osten deshalb automatisch auf die dunkle Seite dieser Welt verbannt worden ist, und man vage darüber nachsinnt, wo heutzutage überhaupt der Westen beginnt oder der Osten aufhört, ist man auch schon mittendrin in einer fulminant bunten, bildsatten Schau, die schier nicht mehr enden will, die ein Wunderwerk an das andere reiht (von der gemalten Küchensilhouette von Thomas Arnold über die Flugzeugfragmentobjekte eines Michail Pirgelis und Albert Oehlens informeller Malerei bis zu Andreas Gurskys Megaprints usw.), Räume in Schwingung versetzt (Neugebauer), unnahbare Fiberglasmonster (Tony Gragg) vor dem Besucher aufpflanzt, Grenzen über Bildschirme (Simon Denny) oder verkohlte Hütten (Gereon Krebber) hinweg überwindet.

Allmählich dämmert es einem dann auch, dass der Titel, der entfernt Thomas Manns vielzitiertes »München leuchtete« heraufbeschwört, weniger dem Osten, welchem auch immer, als Berlin im Besonderen das Leuchtfeuer aus den Lampen zieht: Jahrelang schon zündet die Galerien- und Museumsszene dort ein Feuerwerk nach dem anderen, als würde woanders keine Kunst gemacht. Doch bekommt das Kunst-Mekka Kratzer: Die Mieten wachsen, das Angebot wird inflationär unübersichtlich, die Zeitschrift »art« verlegte jüngst sogar die Szenehoheit nach Wien – und das kleine Bonn trotzt der goliath’schen Großstadt: Auch wir können Kunst! Eine nette, recht gewitzte Idee war es, den bekannten Teilnehmern nach Wahl einen Jungkünstler an die Seite zu stellen, was in der Praxis dann wohl nicht so gelungen ist, wie man sich das ausmalte (die einen V.I.P.s wollten gar nicht, die anderen stellten sich wenig inspiriert einfach einen Jüngeren an die Seite). Aber egal: Der Westen hat offenkundig viel Potenzial bis in den Nachwuchs, obwohl auch hier ein »Ja, aber« angefügt werden kann: Taugen die Koordinaten West/Ost, Zentrum/Region überhaupt noch? Sind nicht längst die Berliner Künstler bundesweit unterwegs, und machen sich nicht regelmäßig Künstler (und Galeristen) von sonstwo auf, um den Berlinern zu zeigen: Heute hier, morgen dort – bin kaum hier, muss ich fort… Kurzum: eine großartige Kulisse musste als Negativprojektion herhalten, um auf der anderen Seite der Republik diese glanzvolle Seiten aufzuziehen und die rheinischen Saiten anzuschlagen: Beuys, Knoebel, Palermo, Polke, Richter und Rückriem lassen grüßen (da verstummt die Berliner Schnauze). Was zählt ist das Ergebnis, und das gehört zum schönsten, was man derzeit sehen kann – auch wenn diese Ausstellung genauso gut hätte in Berlin gezeigt werden können, als Gastschau sozusagen unter welchem leuchtenden Stern auch immer.

Die Künstlerliste der Meister(innen) ist mehr als beachtlich: Bernd und Hilla Becher, Anna und Bernhard Johannes Blume, Tony Cragg, Isa Genzken, Andreas Gursky, Georg Herold, Jürgen Klauke, Marcel Odenbach, Albert Oehlen, Ulrich Rückriem, Thomas Schütte, Katharina Sieverding, Rosemarie Trockel und Timm Ulrichs geben sich die Ehre. Dazu kommen die ihnen zugesellten jüngeren Kolleg(inn)en: Thomas Arnolds, Martina Debus, Simon Denny, Chris Durham, Claudia Fährenkemper, Natascha Sadr Haghighian, David Hahlbrock, Benjamin Houlihan, Bernd Kastner, Christian Keinstar, Erinna König, Gereon Krebber, Ursula Neugebauer und Michail Pirgelis. Unterm Strich sind das nicht so viele Positionen, knapp über 30, aber wenn man sie großzügig auf den 3500 Quadratmetern Ausstellungsfläche in Szene setzt – endlich, so will man ausrufen, kann Katharina Sieverding in einer Gemeinschaftsschau ganz für sich bleiben, auch die weniger bekannten David Hahlbrock oder Benjamin Houlihan haben es verdient, in gebührender Größe präsent zu sein. So flaniert man denn durch die Ausstellung, ohne sich getrieben zu fühlen, ohne einen Trend aus den Bildthemen puhlen zu müssen. Zur Nachbereitung kann man diesen genussvollen Schritt und das interesselose Wohlgefallen beim Blättern des Katalogs beibehalten, der einen üppigen Essay von Jürgen Harten zur rheinländischen Kunstszene und darüber hinaus parat und auf rund 400 Seiten die Erinnerung an die gezeigen Werke wach hält.

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