Ausstellungsbesprechungen

Die Augen der Bilder – Porträts von Fragonard bis Dumas, Museum Langmatt Baden, bis 10. Dezember 2017

Mit Porträts ist das so eine Sache: sie scheinen einen oftmals regelrecht anzublicken. Kein Wunder, dass das Museum Langmatt seine Ausstellung »Die Augen der Bilder« übertitelt. Darin stellt sie Porträts des 18. und 19. Jahrhunderts zeitgenössischen Werken gegenüber. Eigentlich ein interessantes Konzept. Walter Kayser ist aber nicht ganz überzeugt von der Umsetzung.

Man versucht das Wunder unserer Augen gern und häufig metaphorisch mit der Formulierung zu erfassen, dass sie mehr als Sehorgane seien, »Fenster« oder »Spiegel der Seele«. Gemeinhin wird diese Formulierung mit Shakespeare oder Leonardo in Verbindung gebracht, aber schon Hildegard von Bingen gebrauchte dieses Sprachbild, welches dann im Barock zu einer geläufigen Emblematik geworden ist. Jedenfalls trumpft das Liebessonett »Die Augen« des Daniel Caspar von Lohenstein im Abgesang mit dem Vergleich auf, dass die Augen der Geliebten geradezu über die unendliche Weite des Meeres hinweg als Waffe eingesetzt werden könnten: »Sie zünden übers Meer entfernte Seelen an«. Die Augen als gefährliche »Brennspiegel«, die das Feuer der Liebe entfachen – diese Vorstellung greift eine in Vergessenheit geratene Sage um Archimedes auf: Der geniale Physiker und Ingenieur soll im zweiten Punischen Krieg gegen die römischen Schiffe, die seine Heimatstadt Syrakus angriffen, große Parabolspiegel als Vernichtungsmittel eingesetzt haben. So seien die quasi mit magischer Pyrotechnik entzündet und versenkt worden.

Dass es sich bei dem Gesichtssinn um keinen passiven, sondern einen äußerst aktiven und zugleich intimen Fernsinn handelt, weiß auch die Sprache: Blicke kann man sich »zuwerfen«; sie können »stechen«, »blitzen«, »brennen« und wie die verletzenden Umschreibungen sonst noch lauten mögen. Auch Gemälde, zumal Porträts, geben den Blick frei in die Tiefenschichten eines Malers, eines Modells, einer Zeit. Auch sie sind Fenster, die nicht nur Ausblicke im Sinne Leon Albertis gewähren, sondern auch tiefe Einblicke in die Archäologie der Seele oder einer Epoche. In dem überdauernden Kunstwerk stehen wir als Betrachter einem völlig fremden oder längst verblichenem Menschen gegenüber, der in der Kunst der Zeit für immer enthoben scheint, und fühlen uns von ihm immer noch angeschaut und nach unserer eigenen Identität befragt.

Das Museum Langmatt ist ein kleines Kunstmuseum in Baden im Kanton Aargau in der Schweiz. Der Charme solcher ehemaligen Privatsammlungen ist einzigartig. Man begegnet einem Lebensstil, einer individuellen Note, die doch gleichzeitig etwas Typisches an sich hat. Denn zum einen sind fast alle diese Häuser gewissermaßen harmonische Gesamtkunstwerke: eine mondäne Fabrikantenvilla mit entsprechendem Park, Möbeln, etlichen Relikten der Bewohner und eben wertvollen Bildern, die den Duft einer vergangenen Zeit atmen. Auch in der Schweiz prägten auf diese Weise die reichen Sammler (man denke an Oskar Reinhart oder die Villa Flora in Winterthur oder Emil Georg Bührle in Zürich) einen wohltuenden Gegenpol zu den großen Museen in öffentlicher Hand. Denn die erlesenen Kostbarkeiten sind immer überschaubar, intim, märchenhaft. Man fühlt sich als bevorzugter Gast für kurze Zeit in ein fremdes Leben geladen, der womöglich abends noch zum Diner bleiben darf.

Typisch für all diese Schweizer Industriemagnaten der Jahrhundertwende ist auch ihre frankophile Orientierung. Die haute noblesse, ihre Weltläufigkeit und ihre diskrete Kunst des savoir-vivre blieben auch in der eidgenössischen Großbourgeoisie der Gründerzeit maßgebliches Ideal. Ein Hauch von Prousts versunkener Welt ist in den Räumen hängen geblieben. Man sammelte die großen Pariser Künstler von Watteau bis (höchstens) Cezanne, vor allem Impressionismus und Jugendstil und folgte auch in der Salonmalerei weitgehend dem gehobenen Geschmack der Belle Époque.

Das alles gilt auch für das Sammlerehepaar Sidney und Jenny Brown-Sulzer. 1901 ließen sie sich von den Architekten Karl Moser und Robert Curjel ihre Villa Langmatt in Baden erbauen, die mit erlesenem Fachwerk eine Mischung aus englischem Landsitz und bescheidenem französischem Château darstellt. Seit gut 25 Jahren ist die ehemalige Privatsammlung öffentlich zugänglich.

Ein weiterer Grundzug solcher Sammlungen besteht nun aber auch darin, dass sie in ihrer Zusammenstellung von Werken zeitverhafteter geblieben sind. Kein Wunder, besaßen sie doch keine staatlich angestellten Kuratoren, die in die Depots verbannten, was nicht dem allgemein anerkannten Standards der international großen Gemäldegalerien entsprach. So besteht für den heutigen Besucher ein besonderer Reiz darin, mit einem gewissen historisierenden Interesse die Zugeständnisse an die Konventionalität zu beobachten und sich mit dem konfrontiert zu finden, was nicht immer als »erste Wahl« gilt und dem abgewogenen Urteil einer schlaueren Nachwelt zufolge als Zugeständnis an den Zeitgeschmack gesehen wird.

Diese beiden Aspekte, einerseits die zeitbedingte Atmosphäre einer privaten Kunstsammlung, und andererseits, dass besonders hier, wo die in intimeren Rahmen an Eigentümlichkeit gewinnen und beginnen können, den Betrachter »mit Augen« ansprechen, scheinen die Kuratoren als besondere Aufgabe empfunden zu haben. Sie versuchten die ein für alle Mal überschaubaren Möglichkeiten des Hauses zu erweitern, indem sie das taten, was heute als eine innovative Konzeption gilt: Den Sammlungsexponaten sollte von außen sozusagen Frischblut zugeführt werden, indem man sie mit Kunstwerken der Gegenwart konfrontierte. Konkret wurden die angestammten Porträts mit denen folgender Gegenwartskünstler konfrontiert: die Belgier Michaël Borremans (* 1963) und Luc Tuymans (* 1958), die Schweizer Maya Bringolf (* 1969), Marlene Dumas (* 1953), Klodin Erb (* 1963), Alexandra Meyer (* 1984) und Uwe Wittwer (* 1954) sind vertreten. So sollten sich spannungsvolle Korrespondenzen und unverhoffte Bezüge ergeben. So weit, so gut.

Allerdings hat man sich bei einer solchen Konfrontation von Alt und Neu konzeptuell einer ganz besonderen und größeren Herausforderung zu stellen. Diese besteht in der Vermittlung, also darin, den Unterschied zu verdeutlichen und die spezifische Eigenart der jeweiligen Porträts herauszuarbeiten. Das ergibt sich nicht von selbst, sondern bedarf der Erläuterung; genaue Analyse und exaktere zeitliche Bestimmung sind unabdingbar. Misslingen muss das Unterfangen, wenn die Qualität der Bilder nicht genug hergibt oder sie nicht den Anspruch erheben können, über alle Konventionalität hinaus repräsentativ zu sein. Und das gilt leider sowohl für einige Bilder der Sammlung Langmatt als auch für einige Beispiele der zeitgenössischen Porträtkunst.

Die Begegnung der Bilder kann also nicht glücken, wenn die Bezüge sich in vagen Äußerlichkeiten erschöpfen oder oberflächlich und wie an den Haaren herbeigezogen wirken. Natürlich kann man sehr vage eine gewisse Dichotomie aufmachen: Vor hundert Jahren stand die Porträtkunst noch überwiegend im Zeichen der Auftraggeber. Diese wollten ihre mehr oder weniger konventionellen Erwartungen erfüllt sehen, sich oft in idealisierten Konterfeis wiederfinden oder eben aus Prestigegründen mit einem süßlichen Renoir aufwarten, wie es der standesgemäße Nachbar auch tat. Die zeitgenössischen Porträts dagegen wirken distanzloser, direkter, die dargestellten Personen verwundbarer, haltloser und gleichzeitig sich selbst durch und durch fragwürdiger. Der Stil ist nicht mehr unvoreingenommen, sondern weiß sich eingeschrieben in vielfach verschlungene postmoderne Traditionslinien. – Aber das müsste sich in der Konfrontation erschließen und zum beiderseitigen Nutzen erhellend zeigen. Das geschieht im genauen Hinschauen und objektivierenden Herausarbeiten.

Zumindest die im Katalog abgedruckten Texte der Basler Kunstwissenschaftlerin Isabel Zuercher bleiben solche Erkenntnisse schuldig. Was da als dialogische Befragung oder Selbstgespräch daherkommt, wirkt wie hilflose Poesie und verflüchtet sich in unverbindlicher Subjektivität. Ein, höchstens zwei Momente des Bildes werden aufgegriffen, in banalen Fragen und noch banaleren Antworten hin und her gewendet. Oft wirkt das nur anbiedernd und unfreiwillig komisch. Und am Ende mündet das regelmäßig wie das Amen in der Kirche in einer äußerst matten, krampfhaften Pointe. So weit, so mäßig.

Leonardo, der vielleicht nicht das Sprachbild von den Augen als »Fenster der Seele« erfand, sagte an anderer Stelle: »Die Malerei ist stumme Poesie, die Poesie blinde Malerei.«

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