Ausstellungsbesprechungen

Die entfesselte Antike. Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel in Hamburg, Hamburger Kunsthalle, bis 26. Juni 2011

Mit einer kleinen, aber feinen Ausstellung würdigt die Hamburger Kunsthalle Aby Warburg (1866 – 1929) und dessen Vortrag »Dürer und die italienische Antike«, in dem der große Kunsthistoriker vor einem Lehrerkongress ein erstes Mal über die Pathosformel sprach. Pathosformel meint den formelhaften Ausdruck von Mimik und Gestik, den Warburg für die Kunstgeschichte entdeckte, als er den Verbindungen der Renaissance zur Antike nachforschte. Ihm ging es darum, die Spuren »der wandernden antiken Gebärdensprache« aufzuweisen. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angesehen.

Die kleine Ausstellung ist Marcus Andrew Hurttig zu danken, der sie praktisch im Alleingang konzipierte und nun im Saal der Meisterzeichnung präsentiert. Im Archiv der Hamburger Kunsthalle spürte er den Briefwechsel zwischen dem damaligen Direktor Alfred Lichtwark und dem Privatgelehrten Warburg auf, in dem abgesprochen wurde, welche Blätter Warburg für seinen Vortrag benutzen wollte bzw. durfte. So kann die heutige Ausstellung eben jene elf Grafiken zeigen, mit denen Warburg 1905 seine Thesen vor dem Kongress demonstrierte, ergänzt durch Blätter von zeitgenössischen Künstlern (Max Klinger und Otto Greiner), in denen sich ebenfalls Übernahmen aus der Antike im Sinne der Pathosformel finden. Im Katalog wie in der Ausstellung ist zusätzlich noch der Briefwechsel zwischen Lichtwark und Warburg dokumentiert. Dazu kommt der Vortragstext.

Albrecht Dürer galt Anfang des 20. Jahrhunderts noch als deutscher Künstler, und ihn in Zusammenhang mit der italienischen Renaissance zu bringen, hieß schon, sich gegen den Zeitgeist zu stellen. Aber anhand des frühen Kupferstichs »Der Tod des Orpheus« (1494), der zum Bestand der Kunsthalle gehörte, konnte Warburg zeigen, dass die Abwehrhaltung des Orpheus nicht nach dem Leben gezeichnet war, sondern eine Übernahme aus der Antike darstellte, nämlich auf die bekannte Darstellung des Laokoon zurückging. Daneben fand sich in seinem Vortrag noch ein weiterer Bruch mit der traditionellen Sicht auf die Kunstgeschichte – die Winkelmannsche Konzeption der stillen Einfalt und edlen Größe musste jetzt die Konkurrenz des Entwurfes von Nietzsche aushalten. Es wurden also die orgiastischen, die rauschhaften, die ekstatischen Momente der griechischen Kultur nicht unbedingt betont, aber eben auch nicht länger vergessen oder unterschlagen.

Dabei sind die Wege der Motive aus der Antike in die Kunst der Renaissance nicht immer nachvollziehbar, weil sie sehr häufig nicht aus der großen Kunst kamen, sondern eher einen Umweg über das Festwesen nahmen, um auf diesem Weg in die Kunst zu finden. Für diese These, die auf Jacob Burckhardts »Die Kultur der Renaisssance« zurückgeht, findet sich ein überzeugendes Beispiel in den Fußglocken, die sich auf einem Blatt von Andrea Mantegna finden – wahrscheinlich, weil sie zu dessen Zeit immer noch bei Umzügen und Tänzen verwandt wurden.

Die Hamburger Ausstellung ist, wie der Vortrag Warburgs selbst auch, rein kunsthistorisch orientiert; die ethnologischen bzw. anthropologischen Fragestellungen, die sich im Verlauf von Warburgs weiterem Leben immer weiter in den Vordergrund drängen sollten – bis hin zum »Bilderatlas Mnemosyne«, über dessen Fertigstellung er verstarb –, spielen hier leider noch gar keine Rolle.

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