Rezensionen

Die Heiligen Drei Könige. Mythos, Kunst und Kult

Ob Patron der Kaiser und Könige oder Namen von Hospizen – die Heiligen Drei Könige sind tief in den Alltag der Menschen des Mittelalters eingedrungen. Nun jährt sich die Überführung ihrer Reliquien von Mailand nach Köln zum 850. Mal. Zum Jubiläum werden im Museum Schnütgen bis zum 25. Januar 2015 hochkarätige Kunstwerke aller Gattungen präsentiert, die sich mit dem facettenreichen Thema der Weisen aus dem Morgenland beschäftigen. Walter Kayser hat sich der Ausstellung und ihrem Begleitband aus dem Hirmer Verlag gewidmet.

Wenn der Beginn einer großen Geschichte im trüben Urdunkel des Mythos verschwimmt, muss man sich Daten schaffen, an die man sich halten kann. Das Jahr 1164 zum Beispiel, genau genommen der 23. Juli dieses Jahres. Damals, vor 850 Jahren, kamen Reliquien der Heiligen Drei Könige in Köln an. Das dortige Museum für mittelalterliche Kunst, das in der ehemaligen romanischen Klosterkirche St. Caecilien beheimatete Museum Schnütgen, nicht weit vom Neumarkt gelegen, zeigt nun die Bedeutung der Weisen aus dem Morgenland für die Stadt und die gesamte christliche Kunst mit einer großen Ausstellung.

Rainald von Dassel war nicht irgendwer. Erzbischof von Köln und zugleich kaiserlicher Reichskanzler in Italien, – das kommt in etwa einem Jean-Claude Juncker gleich, der bekanntlich in Europa und in Luxemburg zugleich die erste Geige spielt.

Das Geschlecht der Grafen von Dassels aus Südsachsen hatte sich eng an den Aufstieg der Staufer angeschlossen. Rainald war Barbarossas rechte Hand jenseits der Alpen, eine Hand, die auch mal in den Nachwehen des Investiturstreits gelegentlich mit aller Härte den Papst und seine Truppen schlagen konnte. Seine größte Tat liegt aber wohl genau 850 Jahre zurück. Es ist die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln: im Grunde ein Raubzug nach gelungener Strafaktion gegen die damaligen Steuerhinterzieher des Lombardenbundes. Hatten die doch gewagt, den „honor imperii“ zu missachten. Es ist nicht nur diese Translation der Reliquien, die Köln Reinhald zu verdanken hat. Dieser folgte ein schier unendlicher Strom an Pilgern - und mit ihnen ergossen sich nicht versiegende Einnahmen. Noch größer freilich war die Welle an künstlerischen Produktionen, die damit ausgelöst wurden.

Die Heiligen Drei Könige erst machten aus dem einstigen römischen oppidum und späteren Kurfürstentum die »heilige Stadt«, wie sie sich gern selbst bezeichnete. Die drei Kronen der drei Könige, wie sie jetzt genannt wurden, wanderten sogar in das Stadtwappen Kölns ein.

Rainhald also sorgte für den Dreischritt, den der Untertitel dieses Katalogs andeutet: Der Mythos stiftete einen Kult, und dieser befruchtete immer neu die Kunst. Denn ohne Zweifel ist die Darstellung der drei Weisen aus dem Morgenland, die ihre Referenz vor dem Kind erweisen, ein so zentrales Motiv der christlichen Kunst geworden wie die Kreuzigung oder die Verkündigung.

Das ist auch kein Wunder. Soviel geballte Macht, die mitten in der Nacht wie aus dem Himmel geschneit daherkommt wie die Heiligen Drei Könige, gibt es nur selten. Deshalb waren sie auch in der bildenden Kunst bis ins 18. Jahrhundert bevorzugt ein Anlass, exotische Pracht und überbordenden Luxus aufzufahren. Rein exegetisch betrachtet geht man hier freilich auf hauchdünnem Eis, will sagen: der freien Fantasie und Projektionskraft waren bei diesem Motiv von Anfang an Tür und Tor geöffnet.

Lediglich bei einem einzigen der Evangelisten, bei Matthäus nämlich, ist im 2. Kapitel, Vers 1-12, kurz von gewissen »Magi« die Rede. Aber was heißt das? »Magi« – sind das »Magier«, Astronomen, weise Philosophen? – Einem Traum folgen, sein Land hinter sich lassen, weil irgendwo im Abseits ein kleiner Junge geboren wird; sich von einer außergewöhnlichen Lichterscheinung führen lassen, die über einem ruinösem Stall stehen bleibt, – ist das nicht alles ein reichlich merkwürdiges Gebräu, Motivtraditionen, aus dem die großen mythischen Stoffe gewebt werden?

Schon dass es drei waren, darauf kann man nur kommen, wenn man Gold, Weihrauch und Myrrhe zusammenzählen kann. Alles andere ist Legende und Allegorese, fromme Kombinatorik mit dem stillen Vergnügen an heilsgeschichtlich stimmigen Korrespondenzen. Umso reicher wurde dieses Thema fortgesponnen, typologisch ausgeschmückt und auch künstlerisch in alle erdenklichen Richtungen ausgestaltet. Denn die Macht der Bilder, die in der Gegenwart immer wieder konstatiert wird, war verhältnismäßig in der Zeit des Mittelalters noch größer.

Erst ab dem 10. Jahrhundert waren die drei »Magi« zu Königen mutiert. Aus den Repräsentanten fremder unterworfener Völker, die, etwas merkwürdig mit Röcken über den Hosen und phrygischen Zipfelmützen bekleidet, auf Sarkophagen oder Pyxeis der Spätantike herbeigeeilt kommen, werden christliche Monarchen, die von Christus ihre Legitimation als Herrscher empfangen. Dazu musste aus dem Säugling ein Kleinkind werden, das mit Würde aufrecht sitzen kann und mit dem Gestus des Diktatalos oder Weltenherrschers auf dem Schoß Mariens wie auf einem Thron Davids thront.

Die Ausstellungskuratoren des Schnütgen-Museum betonen, es sei ihnen nicht »um die Dokumentation einer motivgeschichtlichen Entwicklung [gegangen], sondern mehr darum, Fenster auf Sinnzusammenhänge und Bildfindungen zu öffnen«. Etwa 130 Leihgaben aus 70 Museen und Sammlungen in aller Welt hat das Museum für seine große Schau zusammengeholt. Fast ausschließlich Spitzenwerke, die im Ausstellungskatalog versammelt sind. Dieser, in der bewährten Abbildungsqualität vom Hirmer Verlag ediert, ist insofern ungewöhnlich, als es nur einen informativ-dichten Basisartikel der beiden Museumsdirektoren Moritz Woelk und Manuela Beer gibt. Schon mit der Seite 23 beginnt der Katalogteil.

Weltbekannte, einzigartige Kunstwerke zum Thema ließen sich einfach nicht ins Museum holen – sie sind in Köln (und anderswo) jederzeit zu sehen: allen voran der von mehreren Werkstätten in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts angefertigte Dreikönigsschrein des Nikolaus von Verdun. Er ist mit seinen Treibfiguren, seinen emaillierten Säulchen, seinen 1700 Edelsteinen und 304 eingearbeiteten Gemmen einzigartig. Wenn man es genau nimmt: Ohne Dom wäre Köln nicht denkbar, ohne Schrein kein Dom, denn was ist der bis ins 19. Jahrhundert allein aufragende Domchor mit Kapellenkranz anderes als ein monumentales Reliquienbehältnis für diesen Sargkiste?

Natürlich mussten auch die romanischen Türen von St. Maria im Kapitol, ungezählte gotische Fensterscheiben an ihrem Ort bleiben. Aber sie sind wie der Dreikönigs-Altar, den wohl 1442 einige Stadtpatrone für ihre Domkapelle bei niemandem Geringeren als Stefan Lochner in Auftrag gaben, in den Katalog unter der Überschrift »Ergänzend zur Ausstellung« mit aufgenommen. Die enge Verbundenheit von Stadt und den Heiligen kommt auch in Fotografien zum Ausdruck, welche die Prozession zeigen, die zum 700-jährigen Domjubiläum durch die Ruinen der zerbombten Stadt führte.

Vorrang in der Ausstellung hatten also die transportablen Dinge, – kleine, Elfenbeinpreziosen, Buchdeckel und Hostiendosen aus Italien etwa, die schon Ende des 5. Jahrhunderts entstanden. Auch auf unendlich vielen mittelalterlichen Tapisserien, in Prachthandschriften, Altarbildern sind die Heiligen Drei Könige immer wieder abgebildet. Es ist müßig, aus der durchweg hochkarätigen Versammlung noch einmal herausragende Stücke hervorheben zu wollen: Grandios das berühmte Kapitell aus Autun, allein schon wegen der dichten und äußerst gewagten Waagrechtkomposition des Meisters Gislebertus. Dann aber auch wegen des unvergleichlich originellen Einfalls, die drei Heiligen in der Situation wiederzugeben, wie sie gerade, mit ihren Kronen gemeinsam unter einer Bettdecke liegend, zartfühlend durch einen Engel geweckt werden, der sie auf den Stern hinweist.

Eine besondere Hochblüte erfährt die Erscheinung der Heiligen Drei Könige im Spätmittelalter. Höfischer Prunk und reichhaltige Selbstdarstellung erleben hier nicht nur am Hof der Burgunderherzöge und in der flämisch-altniederländischen Malerei eine späte Steigerung. So kommt es, dass die Gaben, welche die Drei vor die Krippe tragen, als Ziborien, Reliquienbehälter oder Deckelpokale zu bei aristokratischen Tafeln zu einer eigenen Gattungsaufgabe für Gold- und Silberschmiede werden.

In der lateinischen Tradition tauchen schon sehr früh, nämlich in Legendendichtungen des 6. Jahrhunderts, die Namen auf, die auch noch die arme Müllerstochter im »Rumpelstilzchen« verzweifelt aus dem Gedächtnis kramt: Caspar, Melchior und Balthasar. Die Weisen aus dem Morgenland werden globalisiert, zu Repräsentanten der drei Kontinente umfunktioniert, so dass vielerorts die Statue des Afrikaners, gemeinhin Balthasar, nachträglich eingeschwärzt werden muss. Längst sind zu diesem Zeitpunkt die Heiligen zugleich zu Sinnbildern der drei Lebensalter des Mannes umgedeutet. Dabei findet in aller Regel die Begegnung zwischen dem knienden Greis (Melchior) mit dem langen, weißen Rauschebart und dem neugeborenen Kind besonderes Augenmerk. Er wird ganz nach vorn gerückt und kontrastiert das Allgemeinmenschliche noch ergreifender als den sozialen Gegensatz zwischen verschwenderischem Reichtum und der Armseligkeit der Massenexistenzen.

Einem besonderen Umstand verdankt es sich, das diese Ausstellung mit einem besonderen Schatz seinen historischen Schlusspunkt findet: Weil das Diözesanmuseum auf dem Domberg von Freising seit geraumer Zeit umgebaut wird, ist aus dem dortigen Keller die vielleicht schönste Krippe der Welt zu sehen. Es handelt sich möglicherweise um die königliche Krippe Ferdinands IV. selbst, in der die große Tradition der neapolitanischen Palastkrippen kulminiert. Hunderte von textil bekleideten Drahtgliederpuppen, etwa 35-40 cm groß, geben ein theatralisch inszeniertes und wohl sehr authentisches Bild, wie man sich auch die königlichen Karnevalsumzüge in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorzustellen hat. Die bourbonische Königsfamile selbst liebte es, in aller orientalischen Pracht mit riesiger Janitscharen-Kapelle als morgenländischer Hof eines in die Pracht verliebten Sultans und zugleich als Heilige Drei Könige mit Hofstaat aufzutreten. Neben der Geburt und den Straßenszenen, die Bethlehem stets in eine süditalienische Piazza samt Golf und Vesuv verwandelten, ist dabei der Aufzug der Könige regelmäßig der grandiose Höhepunkt der Selbstinszenierung. In summa bieten Ausstellung und Katalog gleichermaßen einen beeindruckenden und auch repräsentativen Abriss der Motivgeschichte, die nichts vermissen lässt.

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