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Die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum im Porträt: »Campusmuseum«, »Situation Kunst« und Max Imdahl

Von dumpfen Klängen der Betonplatten auf seinem Weg begleitet, taucht der Besucher in die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ein. Interaktion ist das Stichwort, was Campusmuseum und Situation Kunst (für Max Imdahl) kennzeichnet – ob als Gegenüberstellung antiker und moderner Künstler oder in Form einer Wechselwirkung zwischen Exponat und Raumarchitektur. Ursula Siepe hat die Ensembles für PKG analysiert.

Während des Kulturhauptstadtjahrs »RUHR.2010« wurde die ehemalige Industrieregion nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der »Kohlenpott« inzwischen zu einem modernen Dienstleistungs- und Kulturstandort mutiert ist. Unter den zahllosen Museen zwischen Lippe und Ruhr finden sich allein zwanzig Kunstmuseen. Die meisten von ihnen wurden in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründet. Diese vergleichsweise junge und im Kern bürgerliche Sammlungsgeschichte spiegelt sich im Bestand: Hier im Ruhrgebiet findet sich tatsächlich die weltweit dichteste Konzentration an Präsentationen moderner und zeitgenössischer Kunst.

Auch die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum mit ihren beiden Standorten »Campusmuseum« und »Situation Kunst (für Max Imdahl)« verdanken sich privaten Stiftern und Förderern. Die erste Schenkung (Sammlung Schulze Vellinghausen, 1967) enthielt avantgardistische Malerei und Grafik der Nachkriegszeit; und 1971 stiftete das Wuppertaler Ehepaar Funcke seine gesammelten antiken Keramiken.

Weil die Stifter bestimmt hatten, dass ihre Sammlungen auch öffentlich zugänglich sein sollten, mussten Ausstellungsräumlichkeiten gefunden werden. Also entschied man sich für das Souterrain der im Bau befindlichen Universitätsbibliothek, das eigentlich als Cafeteria geplant war. 1975 wurden diese Räumlichkeiten als »Campusmuseum« geöffnet und bald – dank einer Förderung Paul Dierichs‘ – weiter bestückt, und zwar mit einer stattlichen Reihe antiker Porträtbüsten, aber auch mit bedeutenden Plastiken der Moderne wie z.B. Richard Serras »Right Angle Prop« (1969) und Alberto Giacomettis »Diego« als Bronzeguss von 1959. Diese Büste ist das einzige im »Campusmuseum« ausgestellte figürliche Werk der Moderne.

Das Ende der 1970er Jahre – vom Archäologen Norbert Kunisch zusammen mit dem Kunsthistoriker Max Imdahl etablierte – Konzept, die antiken Exponate und die modernen Kunstwerke kontrastiv-dialogisch einander gegenüberzustellen, bestimmt das Gesicht des »Campusmuseums« bis heute. Gleich im Eingangsbereich hängt Frank Stellas Wandrelief »Arpoador II« (1975) in räumlicher Nähe zur gewaltigen hellenistischen Skulpturengruppe »Blendung des Polyphem«.

Freilich haben inzwischen Modifikationen und Fortschreibungen stattgefunden. Beispielsweise wird die Gründungssammlung Schulze Vellinghausen derzeit nur exemplarisch gezeigt, während etwa eine andere Gattung Einzug gehalten hat, die der künstlerischen Fotografie: Zahlreiche Arbeiten von Bernd und Hilla Becher sowie ihrer Schüler (A. Gursky, Th. Struth, Th. Ruff) sind gegenwärtig ausgestellt.

Die 1965 gegründete Ruhr-Universität Bochum entstand aus der Idee der »Bildung für alle«. Diesen antielitären Geist demonstriert das »Campusmuseum«, indem es sich mit seiner Glasfront allen öffnet. Jeder Passant kann den »Polyphem«, Günther Ueckers »Sandmühle« (1968) und viele andere der Bochumer Kostbarkeiten sehen.

Wer hingegen das Ausstellungsgelände der »Situation Kunst (für Max Imdahl)« besuchen möchte, hat sich fünf Kilometer nach Westen zu begeben und steht dann zunächst einmal vor einem abweisenden Metallzaun, der auf Wunsch Alexanders von Berswordt-Wallrabe installiert worden ist. Der Galerist und Kunstförderer war mit Max Imdahl befreundet und beschloss in den 1980ern, am Rande seines Parkgeländes von Haus Weitmar einen Ort für die Ausstellung moderner Kunst zu instituieren, den er 1990 der Ruhr-Universität schenkte.

Nun legt die Titulatur »Situation Kunst (für Max Imdahl)« sehr wohl den Gedanken nahe, dass hier eine ideale Präsentationsgelegenheit zur Ermöglichung der, wie Max Imdahl es nannte, »spezifisch ikonischen Anschauungsweise« geschaffen werden sollte. »Thema der Ikonik«, hatte der Bochumer Kunsthistoriker 1988, kurz vor seinem Lebensende, geschrieben, »ist das Bild als eine solche Vermittlung von Sinn, die durch nichts anderes zu ersetzen ist. Über diese Unersetzbarkeit läßt sich nicht abstrakt diskutieren.«

Zwar basiert die Ikonik als Methode auf der minuziösen Analyse und einer quasi geometrischen Herausarbeitung der dem jeweiligen Kunstwerk inhärenten Bildstruktur; doch ist diese anscheinend kalte und distanzierte Vorgehensweise letztlich bloß der Weg zum Ziel: zu einer Veränderung in der Bewusstseins- und Seelenstruktur des Betrachters.

Um diesen Imdahlschen Gedanken am Beispiel von Gotthard Graubners »Farbraumkörper mesas II« (1973/74) zu exemplifizieren: Die Analyse des – objektiv – konstitutiven Widerspiels von Farblichkeit und Körperlichkeit mündet in der – aufs Subjekt gewendeten – Erkenntnis, dass es »um den Beschauer« geht, »um seine Befreiung aus allen Zwängen einer mechanisierten Lebensregelung und Weltbeherrschung und damit um seine Befreiung zu sich selbst.«

Eine derartige Kunstbetrachtung, die ebenso auf rationaler Analyse wie auf existentieller Kontemplation beruht, verlangt geradezu nach einer adäquaten Rezeptionsumgebung, wie sie in der »Situation Kunst (für Max Imdahl)« geschaffen wurde. Die Anlage als Ganzes ist zweigeteilt: Die untere Ebene komponiert vier fenster- und ornamentlose Pavillons zu einer planmäßigen Struktur. Einer dieser Bauten dient der sich den Kunstwerken Norbert Krickes, Gotthard Graubners, Jan J. Schoonhovens und Arnulf Rainers anschmiegenden Darbietung. Die Achitektur der anderen drei Häuser ummantelt Objekte (von David Rabinowitch, Richard Serra und Maria Nordman) jeweils so, dass Äußeres und Inneres untrennbar erscheinen.

Dahinter erhebt sich die zweite Ebene, die anfänglich (qua Blumenwiese und Solitärbäumen) kontrastiv Naturbelassenheit suggerieren wollte. Seit 2006 steht hier ein weiteres Gebäude, etwas weniger asketisch-reduktiv als seine Pendants unten und vielleicht auch ein wenig sakraler.

Der Eingangsbereich ist dem Holländer Piet van Daalen gewidmet. Er lädt zum Durchatmen ein, und man liest an der Wand: »Wenn Kunst glückt, schenkt sie die Erfahrung der Existenz, aber als Krise.« Der Erweiterungsbau spielt auf vielfältige Weise mit Polaritäten: Höchstrangige Exotika alter Kulturen Afrikas und Asiens in dunklen Zimmern weiten unseren Modernitätshorizont. Ein vertikales und ein horizontales Neonlicht-Objekt Dan Flavins strahlen hingegen vor taghellen Wänden; und eine Schöpfung des Koreaners Lee Ufan gestaltet den Gegensatz »Sichtbar versus Unsichtbar«.

Im Innenhof steht Richard Serras Plastik »TOT«, eine mächtige quadratische Stahlplatte, die sich auf einer Seite kaum merklich in die Erde senkt und dergestalt, so Max Imdahl, »das Geradestehen evoziert als das ausgesetzte, verlassene Normative«. Auch dies ist eine Utopie: das Nicht-mehr-Sein als die Befreiung vom Zwang des In-der-Ordnung-sein-Müssens. Die Seitenhöfe aber öffnen sich dem grünenden Leben der wachsenden Flora.

Fazit: Die Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum bieten Exklusives, ohne jemanden auszuschließen, und geben ihr Allerbestes für alle. Niemand muss Eintritt zahlen. Man wird diesen feinen Gestus wohl wahrhaft »kultiviert« nennen dürfen.

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