Buchrezensionen

Die Luther-Bibel von 1534, Taschen 2017

Es ist eine verlegerische Großtat: Der wohlfeile Nachdruck einer Lutherbibel aus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar in zwei ebenso schönen wie schweren Leinenbänden. Stefan Diebitz hat sich an einer wunderbaren Edition erfreut.

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Die Bibel? Rezensieren? Ich erntete ungläubige Blicke, als ich vorab meine Absichten kundtat, aber als das schwergewichtige Werk tatsächlich gekommen war, hat niemand mehr die Stirn gerunzelt. Denn natürlich werde ich nicht die Bibel besprechen, wohl aber diese Edition, bei der es sich um den seitengetreuen Nachdruck einer Ausgabe von 1534 handelt, die sich in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar befindet; der Bibliotheksstempel gehört deshalb ebenso zu dieser Edition wie einige Flecken und andere kleine Beschädigungen des ansonsten sehr gut erhaltenen Originals.

Es sind zwei Bände, gebunden in dunkelbraunes Leinen mit dem erhaben gesetzten, weiß und schwarz eingefärbten Titel »Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deutsch. Mart. Luth. Wittemberg.« Die Seiten sind in einem hellen Ocker, auf denen sich die großen schwarzen Lettern gut abheben. Darüber hinaus ist die Bibel farbig mit zahllosen Holzschnitten und den ebenfalls eingefärbten Initialen an den Anfängen der Bücher und Kapitel. Schon allein dieser Abbildungen wegen ist der Foliant ein Augenschmaus.

Gesetzt wurde diese Edition nicht wie spätere Ausgaben oder auch handschriftliche Exemplare des Mittelalters in zwei Spalten, sondern nur in einer einzigen. Über die Geschichte der Bibel-Ausgaben des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit wie über die nicht seltenen Versuche einer Übersetzung in Volkssprachen der Zeit informiert in sachlich-gedrängter Form der Buchwissenschaftler Stephan Füssel. Seine »kulturhistorische Einführung« ist das dritte, großzügig illustrierte und auf Kunstdruckpapier gedruckte Buch dieser Edition, ein Paperback, aus dem wir auch manches über die Übersetzungsleistung Luthers erfahren.

Luther hat keinesfalls die ganze Bibel auf einmal übersetzt, sondern zunächst in einem Schwung das Neue Testament, um dann insgesamt zwölf Jahre und nicht ohne die Hilfe von Freunden und Kollegen wie Philipp Melanchton mit dem Alten Testament zu kämpfen. Bevor die erste Gesamtausgabe der Bibel erschien, veröffentlichte er nach und nach Ausgaben der einzelnen Bücher. »Zwischen 1522 und 1546«, schreibt Füssel, »kann man 430 Teil- und Gesamtausgaben nachweisen, so dass mit etwa einer halben Million (!) Lutherbibeln bis zur Jahrhundertmitte gerechnet werden kann.« Die Gesamtausgabe von 1534 kostete übrigens zwei Groschen und acht Gulden, und das muss für den einfachen Mann oder einen Pastor außerordentlich viel Geld gewesen sein. Angesichts dieses Preises und der im Vergleich zu heute so viel kleineren Bevölkerung war die Auflage geradezu unfassbar groß und hat Füssels Ausrufezeichen mehr als verdient.

Immer wieder verblüffend ist die überwältigende Schönheit der ältesten aller gedruckten Bücher. Das gilt bereits oder sogar besonders für die lateinische Gutenberg-Bibel, deren ästhetisch ansprechende Gestaltung schon fast legendär ist. Von Füssel kann man erfahren, dass »Gutenberg und seine Zeitgenossen« nicht nur den Text von alten Handschriften übernahmen, sondern auch deren Form. So findet sich in ihr die »gotische Buchschrift, die Textura«, die Seiten sind ebenfalls in zwei Kolumnen geteilt, und schließlich wurden in beiden Fällen die Initialen und Randleisten in einem zweiten Arbeitsgang hinzugefügt.

Die Lutherbibel verzichtet auf die Aufteilung in zwei Textspalten, und dass die farbigen Holzschnitte über den Satzspiegel hinausstehen, ist zweifellos ein Schönheitsfehler, fällt aber bei der Lektüre kaum auf. Weil kein Geringerer als Lucas Cranach an der Produktion dieser Bibel beteiligt war (aber die Mehrzahl der Holzstiche scheint von anderen, zum Teil unbekannten Künstlern verantwortet zu werden), sind die Holzstiche durchweg von ebenso hoher künstlerischer wie handwerklicher Qualität.

Füssel verweist darauf, dass die Stricheltechnik bereits so weit fortgeschritten war, dass man gut auf die Einfärbung der Bilder hätte verzichten können. Denn die Stiche konnten auch so Tiefe des Raumes und damit Perspektive vermitteln. Aber bei der Weimarer Ausgabe, die dem Verlag als Vorlage diente, wurden »nicht nur die Holzschnitte, sondern auch die Initialen gleichbleibend kräftig übermalt«, so dass der dankbare Leser eine ausgesprochen farbenfrohe Bibel in Händen hält.

Und was ist nun mit der Lektüre? Birgt das Frühneuhochdeutsche im Verein mit der gebrochenen Schrift und einer gewöhnungsbedürftigen Rechtschreibung größere Schwierigkeiten? Als halbwegs moderner Mensch habe ich den Text der Lutherübersetzung von 1545 seit vielen Jahren auf CD und zitiere immer danach – einfach der größeren Kraft und Schönheit der Sprache wegen. Kein gerechtes Deutsch, und auch nicht so blass und langweilig wie andere moderne und wahrscheinlich korrektere Übertragungen.

Die Sprache Luthers ist nicht immer und sofort zu verstehen, aber lange braucht man nie – schließlich ist doch eine moderne Übersetzung notfalls immer schnell zur Hand. Jetzt las ich als erstes das kürzeste aller Bücher des Alten Testaments, die Erzählung von Ruth, der Moabiterin, die fremd ist unter den Juden. Dieser Satz zum Beispiel ist sehr leicht zu verstehen (Ruth 2, 10): »Wo mit hab ich die Gnade funden fur deinen augen / das du mich erkennest / die ich doch Frembd bin.« Es gibt gewiss schwierigere Passagen, aber lesbar sind sie eigentlich alle.

Das Buch Ruth hatte ich mir vorab vorgenommen, seiner Kürze und Thematik wegen. Eigentlich ist es ja gar keine religiöse Erzählung, sondern eine moralische, die dem Leser den Anstand, das Mitgefühl und die Herzensgüte einfacher Menschen vor Augen führt. Die Apokalypse dagegen lockte mich in dem Moment, in dem ich das Buch in Händen hielt und »Die Offenbarung Sanct Johannis« besonders reich illustriert fand: jedes Kapitel mit einem fast die Hälfte der Seite einnehmenden Holzstich, der den verschiedenen Offenbarungen Gestalt verleiht, und natürlich wunderbaren Initialen, in diesem Fall (wie auch sonst sehr häufig) in einem leuchtenden Blau:

»DJs ist die Offenbarung Jhesu Christi / die jm Gott gegeben hat / seinen Knechten zu zeigen / was in der kürtz geschehen sol / Vnd hat sie gedeutet / vnd gesand durch seinen Engel / zu seinem knecht Johannes / der bezeuget hat das wort Gottes / vnd das zeugnis von Jhesu Christo was er gesehen hat. Selig ist / der da lieset / vnd die da hören die wort der Weissagung / vnd behalten was darinnen geschrieben ist / denn die zeit ist nahe.« Wie man sieht, fehlt in der Ausgabe von 1534 noch die Zählung der Verse, die sich erst in der Ausgabe letzter Hand von 1545 findet.

Was nicht fehlt, ist die »Vorrede auff die Offenbarung Sanct Johannis«, also die Erläuterungen Martin Luthers. Die Apokalypse galt ja immer und zu allen Zeiten als ein besonders fragwürdiger Text, und so sah sich der Reformator zu einigen Deutungen und Verständnishilfen genötigt, die natürlich nur aus seiner Zeit heraus zu verstehen sind und nicht ganz unerwartet einige passende Kernsprüche über das »bepstliche Keiserthum vnd keiserliche Bapstum« enthalten. »WEil wir aber dennoch gerne die deutung oder auslegung gewis hetten / wollen wir den andern vnd höhern Geistern vrsachen nach zudencken geben / vnd vnser gedancken auch an tag geben / nemlich also. Weil es sol eine Offenbarung sein künfftiger Geschicht / vnd sonderlich künfftiger trübsaln vnd vnfal der Christenheit / Achten wir / das solte der neheste vnd gewisseste griff sein / die Auslegung zu finden /«

Egon Friedell hat in seiner »Kulturgeschichte der Neuzeit« viele lobende Worte über Luther gefunden; Luther, schrieb er, sei es »gelungen, mit seiner in jederlei Sinn verdeutschten Bibel das deutscheste Buch der deutschen Literatur zu schreiben.« Aber er hat auch deutlich gemacht, dass er ihn für einen Ignoranten hält, was sein Verhältnis zu Literatur und Poesie angeht. Und es ist ja wirklich wahr, dass wir moralisierende Fabeln und wüste Polemiken nicht mehr unter Literatur abheften. Kein Mensch unserer Zeit erwartet wie Luther und seine Zeitgenossen, dass ein Dichter ihm Moral näherbringt, vielleicht gar in didaktischer Weise. Aber es scheint ungerecht, das Luther vorhalten zu wollen, denn es war das Vorurteil der Zeit, nicht sein persönlicher Irrtum.

Doch, Luther verstand viel von Dichtung. Die Kraft der Sprache, das Feilen am Stil, das Suchen nach lebhaften, anschaulichen, bildkräftigen Ausdrücken gehört ebenso zur Literatur, und eben auf diesem Gebiet hat sich der Reformator im Wortsinn unsterblich gemacht und im Schweiße seines Angesichts und dank seiner Offenheit für die Sprache des Volkes unzählige Redewendungen und Neologismen geschaffen. Dazu kommt noch etwas anderes: Für seine Übersetzung charakteristisch ist, wie Füssel erläutert, die »Einfügung modaler Partikel wie ‚allein, doch, eben, nur, nun, schon‘ usw.«, die mit anderen Stilmitteln zusammen den Text rhythmisieren, ihn der gesprochenen Sprache angleichen und so seine Wirkung immens verstärken. Auch der heutige Leser kann sich dem Sog einer so sprachgewaltigen Übersetzung kaum entziehen.

Auf die Frage nach dem wichtigsten Buch der Weltliteratur antwortete ein gewisser Stückeschreiber: »Sie werden lachen, die Bibel!« Das ist eine Antwort, die Kunsthistoriker ebenfalls geben müssen, sie mögen fromm sein oder so wenig fromm wie Brecht. Auch der Rezensent ist nicht fromm, aber die Bibel hat er schon oft gelesen und wird es jetzt wieder tun. Und dank dieser wunderschönen Ausgabe sicherlich mit größerem Vergnügen als je zuvor.

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