Ausstellungsbesprechungen

Die Nacht und ihre Kinder

Nach dem großen Erfolg der Berliner Ausstellung „Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst“, hüllt nun auch Weimar sein Neues Museum in Dunkelheit. Nach der aufwendigen Sanierung des Neorenaissance-Gebäudes zum Kulturstadtjahr 1999 und dem bisher leider nur mäßigen Erfolg der vergangenen Ausstellungen, hofft die Stadt Weimar nun auf größeres Interesse und steigende Besucherzahlen. In Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen zu Berlin entstand im Rahmen des „pèlerinages“ Kunstfest Weimar die Ausstellung „Die Nacht und ihre Kinder“.

Bis zum 5. November werden mehr als 200 Exponate präsentiert. Darunter auch Dürers „Melencolia I“ (1514) und Francisco de Goyas „Caprichos“ (1797/98).

 

Den Kern der Ausstellung bildet die Frage nach der künstlerischen Schaffenskraft. Wodurch wird ein Künstler wie beispielsweise Edvard Munch zu seinen Meisterwerken inspiriert? Welche Rolle spielt der Zufall, und muss ein Künstler wahnsinnig sein oder im Drogenrausch? Permanent werden von Künstlern Grenzen in Frage gestellt und überschritten. Irrungen und Wirrungen, Dramen und Tragödien - schlichtweg mystisch ist der künstlerische Schaffensprozess. In der namensgebenden Kreidezeichnung von Asmus Jacob Carstens (1795) sind sie alle versammelt: das vermummte Schicksal und die drei Parzen im Hintergrund - im Vordergrund sitzt links Nemesis und rechts hält die Nacht schützend ihren Umhang um Schlaf und Tod.

 

Keiner geringeren Aufgabe, als den Ursprung der künstlerischen Idee zu finden, haben sich die Kuratoren gestellt. In der Ausstellung wird die Nacht mit all ihren Kindern untersucht. In ihr, so die Kuratoren, sind Künstler am produktivsten.

Als Grundlage überhaupt einen erfolgreichen künstlerischen Werdegang einzuschlagen, gilt allgemein eine melancholische Grundverfassung. Mit seinem berühmten Kupferstich „Melencolia“, schuf Albrecht Dürer 1514 einen neuen Bildtypus. Mit dem Kopf in der Hand, einem trüben Blick und allerhand Bildgegenständen ausgestattet, wurde vielfach versucht die Graphik zu entschlüsseln. Genauso rätselhaft führten Jean Duvet, Johann Heinrich Füssli oder Adolf Menzel diese Tradition fort, und auch Goethe veranschaulichte seine innere Zerrissenheit und den allseits angestrebten Genietypus nicht nur in seinen Tragödien, sondern auch in den so genannten Mondschein-Zeichnungen.

 

Auch das 19. Jahrhundert wird in der Ausstellung ausgiebig beleuchtet. In keiner anderen Zeit übte die Nacht als Motiv eine stärkere Anziehungskraft auf Künstler aus. Allen voran Caspar David Friedrich, der mit seinen düsteren und melancholischen Bildern seiner Seele Ausdruck verleihen wollte. Schlaf und Tod galten als Motive der Erlösung. Erst sie eröffneten neue Horizonte.

 

Mit der Ära Sigmund Freud, kam auch dem Traum mehr Bedeutung zu. Das Unbewusste, das Fantastische, aber auch deren Verwirklichung im Schutzraum der Nacht thematisierten Künstler wie Grosz, Franz von Stuck oder Otto Dix.

Ein ganzer Raum der Ausstellung ist Friedrich Nietzsche gewidmet. Fotos, Bilder und Aufzeichnungen zeugen von seiner Ansicht, dass „der Mensch das Wonnegefühl des Daseins im Traum und im Rausch“ erreicht. Der Mythos Nietzsche ist gekennzeichnet von seinem Image als psychisch Kranker, welches ihn bis in den Tod begleitete.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zog dann zum einen die Popkultur in die Kunst ein. Andererseits werden mit Werken von Arnulf Rainer, Anselm Kiefer und Gerhard Merz die Wurzeln der Kinder der Nacht zurückverfolgt. Mit ihren Bildern unternehmen sie den Versuch, Licht ins Dunkle zu bringen und arbeiteten das finstere Kapitell des dritten Reiches auf.

 

Heute, so suggeriert es die Ausstellung, sind die Kinder der Nacht nicht mehr die melancholisch sinnierenden Genietypen, sondern die am Rande der Gesellschaft lebenden Punks. Überlebensgroß thront über allem Rock\'n\' Roll Lifestyle Nina Hagen. Als „Queen of the night“ (2004) von Clemens Gröszer auf Leinwand gebannt.

 

Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Ausstellungsräume Zitate von Künstlern, Literaten und Wissenschaftlern. Diese veranschaulichen mit Worten das Ungesagte. So auch Caspar David Friedrich, dessen Zitat „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ für die gesamte Ausstellung als Leitsatz steht. Bei einem Rundgang durch die Ausstellung fallen einem unweigerlich die Parallelen zu der noch nicht lang zurückliegenden Berliner Ausstellung auf. Doch in so verdichteter Form und in so schönem Ambiente kann man als Besucher nur in Weimar einige der großartigsten Werke bildender Kunst betrachten.

 

Zu der Ausstellung selbst ist leider nur ein schmales Heft erschienen. Es gibt mit kurzen Texten und vielen farbigen Abbildungen einen kompakten Überblick über die Motivgeschichte der Nacht. Leider meldet der Verlag Hatje Cantz bereits drei Monate nach der Berliner Ausstellung den Katalog, der dort als das „Standardwerk“ zum Thema angepriesen wurde, als vergriffen. Dieser hätte, vor allem weil ein wichtiger Aspekt der Ausstellung, die Melancholie, im Katalog ausführlich dargestellt wurde, den Gesamteindruck vervollständigt.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:

11-18 Uhr

 

Eintrittspreise:

Erwachsene: 5,50 Euro / Ermäßigt: 3,50 Euro 

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