Ausstellungsbesprechungen

Die niederländische Savanne. Alte Meister – Neue Kunst, Staatliches Museum Schwerin, bis 5. Februar 2012

Zu einer ganz besonderen Begegnung kommt es derzeit in Schwerin: Alte Meister treffen auf Künstler der Gegenwart, niederländische Portrait- und Landschaftskunst begegnet zeitgenössischer Farbmalerei. Zehn Dialoge hat das Museum arrangiert, zehn Mal lässt es Künstler unserer Zeit mit neuen oder auch älteren Arbeiten auf Anregungen der großen Alten reagieren und ihre eigenen Positionen formulieren. Stefan Diebitz hat sich die sehr empfehlenswerte Ausstellung angeschaut.

Der merkwürdige Titel – wer kennt denn eine »niederländische Savanne«? – geht auf einen Vortrag zurück, den Frank Stella 1984 in Harvard hielt und in dem er die für manche vielleicht etwas anstößige Behauptung aufstellte, dass die abstrakte Kunst in der gegenständlichen Malerei wurzelt. Eine »niederländische Savanne« entdeckt er in Paulus Potters »De Stier« von 1647, einer der Kleinodien des 17. Jahrhunderts, in dessen rechter Bildecke sich eine große grüne Fläche erstreckt, deren illusionistischen Charakter Stella bestreitet - die Illusion hat hier, sagt er, »an keiner Stelle mehr Tiefe als die Lasur.« Er sieht also nicht allein von dem gegenständlichen Bezug des Bildes ab, indem er sich ganz auf dessen sinnliche Qualitäten bezieht, sondern er bestreitet – und auch hierauf zielt der Titel der Ausstellung – die Einheit des Bildes, denn eine Savanne erstreckt sich ins Unendliche, bis zum Horizont und noch ein wenig weiter, und sprengt damit den Rahmen eines jeden Bildes.

Eben eine solche Unendlichkeit besitzen auch die meisten der modernen Arbeiten, die schlicht wesentlich mehr Platz benötigen als die oft ganz bescheidenen Gemälde der Alten Meister, ja die tatsächlich Räume gestalten, nicht etwa bloß abbilden wollen. Die Farbmalerei hat schließlich auch die abstrakte Kunst und mit ihr das Tafelbild hinter sich gelassen und kennt eigentlich nur noch die Farbe.

Potter, so sieht es Stella, gab gerade mit den Schwächen seiner Bilder wertvolle Anregungen zu einer die figürliche Darstellung überwindenden Kunst. Wegen ihrer wenig plausiblen Bildräume und mangelnden Einheit erlauben Potters Bilder einen Übergang zu einer Betrachtung, welche von dem Dargestellten absieht und die Aufmerksamkeit auf die Farbe und ihren Auftrag lenkt.

So kommt es also, dass auf die Darstellung eines Großfeuers aus der Hand von Aert van der Neer (»Große Feuersbrunst«) Miro Zahra antwortet, die ohnehin damit begonnen hatte, sich mit dem Rotspektrum auseinander zu setzen. Eine in düsteren Rottönen glühende Feuersbrunst konnte ihr also nur recht sein. Auf Emanuel de Wittes »Inneres einer Renaissance-Kirche« mit ihren mächtigen Pfeilern und der verschwimmenden Atmosphäre reagiert Elisabeth Sonneck mit Arbeiten, deren vertikale Streifen die Strukturen der Kirche auf den von ihr gestalteten Raum übertragen. Und natürlich – das ist der Hauptaspekt der Ausstellung – entsprechen einander die Farben, was eigentlich für alle Dialogpartner gilt, denn die Jüngeren gehen allesamt sehr seriös auf die großen Alten ein. Leichtfertig scheint mir keine der aktuellen Arbeiten.

In Schwerin werden insgesamt zehn jüngere und zehn ältere Künstler ausgestellt; zu Ersteren zählen Andreas Barth, Gotthard Graubner, Herbert Hamak, Ute Heuer, Regine Schumann, Elisabeth Sonneck, Rainer Splitt, Günter Umberg, Icke Winzer und Miro Zahra. Das vielleicht spektakulärste Paar bilden Rachel Ruysch (»Girlande mit Blumen«, 1683) und Regine Schumann, die mit fluoreszierenden Kunststoffen einen äußerst effektvollen Raum geschaffen hat, dessen strahlende Farben in der Dunkelheit auf die leuchtenden Blumen des schönen Bildes reagieren. Ungewöhnlich für das 17. Jahrhundert ist, dass das alte Bild nicht das eines Meisters ist, sondern das Bild einer, zudem noch sehr jugendlichen, Meisterin. Rachel Ruysch schuf dies wahrscheinlich bereits mit neunzehn Jahren. Dieser Dialog scheint mir deshalb besonders gelungen, weil an der »Blumengirlande« die Farben das Entscheidende sind, selbst wenn den einzelnen Blumen eine ikonologische Bedeutung zukommen mag. Schumann gelang es, die Ästhetik des Blumengebindes in eine andere Sphäre zu übertragen.

Mein Lieblingsbild in dieser Ausstellung ist Anthonie de Lormes »Die große Laurentius-Kirche in Rotterdam« von 1658, das in grauen Tönen gehaltene Bild einer protestantisch kahlen, wahrscheinlich spätgotischen Kirche. Einige wenige Figuren verdeutlichen die Dimensionen des Innenraumes, ohne unser Interesse zu gewinnen. Vielmehr ist es zunächst der Raum, der den Betrachter fesselt und seinen Blick in die Tiefe zieht. Aber das Spektakuläre des auf den ersten Blick ganz bescheidenen Bildes sind die Lichtreflexe. Das Sonnenlicht bricht sich in den für uns unsichtbaren Fenstern links oben und fällt von dort aus auf mächtige Pfeiler. Die Darstellung dieses irisierenden, flirrenden, unsteten Lichtes geschieht mit großer Virtuosität.

Es mag sein, dass es dem Maler wirklich um diese Reflexe ging, denn dass er Sinn für sie besaß und Freude an ihrer Abbildung, ist deutlich zu sehen. Aber die Lichtspiele können nur einer der vielen Aspekte dieses vielschichtigen Werkes sein, das ja auch etwas darstellt, nämlich die strenge Atmosphäre einer fast leergeräumten protestantischen Kirche. Deshalb sind die Lichtreflexe viel mehr als bloß ein ästhetisches Phänomen und der weite Raum verleiht ihnen schon seiner Schmucklosigkeit wegen ein ganz anderes Gewicht, als es irgendein profaner Raum oder das barocke Innere einer katholischen Kirche je tun könnten.

Auf Jan Asselijn »Bruch des Antoniusdeiches bei Amsterdam« (um 1651) antwortet Rainer Splitt mit einem ästhetisch zweifellos reizvollen »Farbguß (türkis)«. Graulich schreibt im Katalog, dass Splitt sich für »die Wahrnehmung von Farbe und ihre immanente und auch äußerlich ablesbare Entfaltung« interessiert. Ähnlich wie auf den Bildern des Alten Meisters werde »die Horizontale thematisiert«.

Ich glaube, dass sich Asselijn sehr gewundert hätte, hätte er eine solche Umschreibung seines Bildes gelesen oder gehört. Hat er denn nicht das Bild einer existentiellen Bedrohung der Menschen gemalt? Bei Aert van der Neers Bild der Feuersbrunst kann man noch sagen, dass die Distanz und die tiefe nächtliche Dunkelheit es zu einem ästhetischen Phänomen machen oder besser: es darauf reduzieren und uns helfen, den Schrecken zu vergessen. Aber trotzdem gehört in seinem Bild das Geschehen noch dem Leben an, dem des Künstlers wie dem seines Publikums. Und nun erst der Bruch des Deiches! Das ist ein für Holländer traumatisches Geschehen.

Alle, Betrachter wie Künstler, hatten notwendig bei dem Bild eine unmittelbare Gefahr wenn nicht für ihr Leben, so doch für Hab und Gut vor Augen. Schließlich kannten sie die Gefahr, die von den im Koog stehenden Wassermassen ausging, und haben sicherlich auch die Not und die schwere Arbeit gefürchtet, die notwendig einer solchen Flut folgen müssen. Niemand hätte sich an ästhetischen Valeurs erfreut! Nun, vielleicht hat der Virtuose im Künstler sich an den Schwierigkeiten gelabt, die ein solches Szenario des Schreckens seinem Pinsel bot, und er hat es ja auch mit Bravour bewältigt. Aber vor und über allem war dieses Gemälde ein Bild, das er aus der Tiefe und Fülle des Lebens schöpfte, und so ist dieses Werk eines alten Niederländers von tiefem Ernst geprägt.

Man wird fragen dürfen, ob eine abstrakte Kunst je diese Intensität und Lebensnähe erreichen kann; und man muss auch fragen, ob eine künstlerische Antwort, die das dargestellte Leben so vollkommen und absolut ausblendet, überhaupt Teil eines Dialoges sein kann oder will. Andererseits muss ich zugeben, dass nicht alle zeitgenössischen Arbeiten tatsächlich auf das Partnerbild reagieren – einige waren schon zuvor fertig, wurden dann aber von Künstler und Kurator gemeinsam als geeignet für diese Ausstellung erkannt. Kann man dann noch von einem Dialog sprechen?

Oder ist die Frage nach einer Bedeutung außerhalb einer autonomen Kunst von vornherein falsch gestellt? Liegt diese einfach nur noch im Bild, ohne dass es einen Bezug zu einer Welt da draußen gibt?

Es ist der große Verdienst dieser überaus anregenden Schau, zu diesen und anderen Fragen anzuregen. Also auf nach Schwerin!

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