Ausstellungsbesprechungen

Die Poesie der venezianischen Malerei. Paris Bordone, Palma il Vecchio, Lorenzo Lotto, Tizian, Hamburger Kunsthalle, bis 21. Mai 2017

Mit Paris Bordone kann man in diesen Wochen einen der weniger bekannten venezianischen Maler des 16. Jahrhunderts entdecken. Stefan Diebitz hat eine interessante, reich bestückte Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle besucht.

Es kling vielversprechend, wenn man einem der Künstler begegnet, die den liegenden Akt in die Malerei einführten, und die Sinnlichkeit Paris Bordones wird schon deshalb, zusätzlich aber noch wegen des für ihn typischen warmen Inkarnats gerühmt. Vielleicht sind es aber doch andere Aspekte seines künstlerischen Werkes, die dem Besucher der Ausstellung im Gedächtnis bleiben werden. Denn besonders seine Architekturbilder sind überaus eindrucksvoll.

Bordone, um 1500 in Treviso geboren, war Schüler des sicherlich bedeutendsten venezianischen Malers jener Zeit, Tizian, aber er war es nur für kurze Zeit, muss später eher als Rivale oder Konkurrent des Älteren angesehen werden und ist ohnehin einen eigenen Weg gegangen, in seinen Schwächen wie seinen Stärken. Es gibt allerdings mehr als nur einen Punkt, in dem sich die beiden großen Maler trafen. Einer war, wie die Kuratorin Sandra Pisot betont, die »träumerische Stimmung«, ein anderer die Farbe, die in ihren Bildern wie überhaupt in der venezianischen Kunst jener Jahre gefeiert wurde. Manche Bilder springen dem Besucher schon auf eine große Entfernung hin in die Augen, so spektakulär ist ihre Farbgebung.

Seinerzeit kaufte man in Venedig (und nur dort!) die Farben nicht mehr in Apotheken, sondern bei »vendecolori«, Farbenhändlern, und das Ergebnis kann man jetzt in Hamburg bewundern. Die Farben der meisten Bilder – nicht allein Bordones – leuchten prachtvoll. Pisot schreibt dazu: »Die Nutzung neuer, oft hochgiftiger Farbpigmente wie Auripigment und Realgar sorgte für eine neue Intensität des Kolorits. Um die Brillanz der Farben zu unterstützen, wurde oftmals pulverisiertes Glas beigemischt.«

Es gibt noch einen zweiten Aspekt, der die venezianische Malerei dieser Jahre auszeichnet und der bereits im Titel der Ausstellung anklingt: es ist die Bedeutung der Literatur. Bereits seit 1505 wurden in Venedig Bücher gedruckt und waren in der Folge Klassiker der römischen Literatur in italienischer Übersetzung zu kaufen, von denen einige in dieser Ausstellung in Vitrinen ausgestellt werden. Auch deshalb traten mythologische Themen mehr und mehr in den Vordergrund, und zusätzlich konnten Vitruv und andere für Künstler und Architekten wichtige Autoren rezipiert werden. In ihrem Katalogbeitrag über die Architekturbilder kann Andrea Gottdang den Zusammenhang mit Entwürfen anderer Künstler zeigen, aber – und das ist im Ergebnis noch interessanter – auch den mit zeitgenössischen Bühnensprospekten. Tatsächlich sind manche von Bordones Bildern sehr theatralisch, und ihre Figuren agieren wie auf einer Bühne.

Die Spontaneität Bordones, die in vielen Artikeln über diese Ausstellung sehr stark und vielleicht über Gebühr betont wird, relativiert sich hier von selbst, denn ganz selbstverständlich ließen sich so große Bilder mit einer derart komplizierten und anspruchsvollen Thematik nur nach sorgfältiger Planung in Angriff nehmen. Trotzdem ist Bordones Spontaneität ein Faktum, das auch heute noch ablesbar ist. Den Katalog beschließt ein lesenswerter Beitrag von Lena Bühl und Silvio Castro, in dem über die Einblicke der Restauratoren in den Entstehungsprozess der Hamburger Bilder berichtet wird. Die Malweise des Meisters wird als »rasch und versiert« geschildert, und Bordone hat oft »nass-in-nass« gemalt.

Wer die Ausstellung betritt, begegnet zunächst Bordones Frauenakten in der freien Natur, die unter seinen Arbeiten nicht am besten gefallen können. Zwar besaß der Künstler ein gutes Auge für den Raum, aber kaum Interesse an der Darstellung von Landschaft oder Pflanzen, die wenig mehr als den Hintergrund für die Frau darstellen, die sich deutlich, ja häufig sogar zu deutlich davon abhebt, weil sie sich im Kolorit nicht in die Landschaft einfügt. Im Katalog betont Anna Heinze, dass die meisten dieser Bilder demselben Schema folgen: »Von links kommend, erhellt das Licht vor allem den nackten Frauenkörper, während die unmittelbare Umgebung dunkler gehalten ist, um den Kontrast zwischen Figur und Landschaft zu verstärken.« Bei manchen Bildern hat man deshalb fast den Eindruck, der Akt sei auf das Bild geklebt.

Typisch für die Akte dieses Malers ist das helle, rötlich schimmernde Inkarnat. Aber alle diese Frauen sind keinesfalls ätherische Engelsgestalten, sondern ganz im Gegenteil eher handfeste Damen mit auffällig kräftigen Schultern, Armen und Händen, von denen man kaum den Blick lösen kann. Diese starken Frauen und Mädchen befinden sich oft vor Säulen und Pfeilern, die ihre Stärke auch symbolisch betonen. Ein wenig im Gegensatz dazu steht zunächst die schöne Weichheit der Haut, durch welche Bordone gern das pulsierende Blut schimmern lässt – eine Spezialität des Malers, für die er bekannt war und die man unter anderem auf »Junge Dame mit Spiegel und Magd« bewundern kann.

Es scheint, dass dieser vor Gesundheit und Kraft strotzende Frauentyp dem Geschmack der Zeit entsprach, also nicht auf eine Eigenart des Malers zurückzuführen ist. Auffällig ist hier wie auch bei anderen Themen die Ambivalenz der Darstellung, denn bei vielen dieser Bilder ist ihre Funktion nicht ganz sicher: »Kurtisanen oder Hochzeitsbilder?« heißt deshalb die Überschrift über dem entsprechenden Kapitel. Eine andere Ambivalenz begegnet uns bei einem mythologischen Bild – »Allegorie« –, das Venus und Flora zeigen soll und bei dem man nicht mit letzter Sicherheit zu sagen weiß, welche der beiden Schönheiten nun wer ist: Für beide Deutungen lassen sich Argumente beibringen. Vielleicht ist dies ein Ausweis der Modernität eines Malers, der den spätmittelalterlichen Hang zur Allegorie endgültig überwunden hat?

Im Mittelalter hätten insbesondere die Architekturbilder unmöglich geschaffen werden können. Sie sind für diesen Maler insofern weniger typisch, als in ihnen die Farbe eine weniger bedeutende Rolle spielt. Vielmehr ist hier die Freude des Künstlers an der Perspektive geradezu mit Händen zu greifen – er lässt die Räume fluchten, betont nämlich die Tiefe des Raumes durch Arkaden, sich aneinanderreihende Pfeiler und Gebäude und noch zusätzlich durch Schachbrettmuster auf den Böden. Bordone ging nicht so weit, für die Gebäude Grisaille zu wählen, aber die Farbe ist doch wie bei der Landschaft deutlich zurückgenommen. Während die wenig spektakuläre Farbgebung dort die Bilder auf die Darstellung des Frauenaktes focussiert, hebt es hier die Tiefendimension des Raumes hervor. Diese Bilder sind einfach fantastisch!

Besonders spektakulär muss es sein, wenn sich von einem solchen Hintergrund farbige Figuren abheben wie auf »Die Übergabe des Rings an den Dogen« oder auf einer Verkündigung, in der Maria in ein rotes Seidenkleid gewandet ist – man glaubt fast, es knistern zu hören. Auf beiden Gemälden setzt sich die Szene noch weit hinten in die Tiefe hinein mit Innenhöfen und Pfeilern fort, vorne aber agieren die durch die Farbe herausgehobenen Figuren.

Ein eigener Raum ist den zahlreichen Spiegel-Bildern gewidmet. Der Spiegel war natürlich schon zuvor bekannt, aber erst in diesen Jahren setzte er sich bei einer breiten Bevölkerung durch, und seine symbolische Bedeutung wurde von den Künstlern sehr schnell erkannt und genutzt. Im Katalog findet sich dazu ein instruktiver Artikel von Sabine Poeschel, die herausarbeitet, in welcher Weise der »gemalte Spiegel […] zum Insignium des Sehens von Malerei, von Kunst und Kennerschaft« wird, aber auch zeigen kann, dass und wie das Thema »zwei Motive höchster malerischer Virtuosität: die Reflexion und den weiblichen Akt bzw. Halbakt« miteinander verbindet. Auch hier findet sich wieder eine Ambivalenz, insofern die Spiegel einerseits die Klugheit des sich selbst reflektierenden Menschen, andererseits seine Eitelkeit symbolisieren. Allerdings scheint die Handhabung des Spiegels – sowohl die dargestellte Figur als auch der Betrachter sollen ja hineinschauen: das ist schwierig genug – noch nicht befriedigend gelöst.

Die sehr empfehlenswerte Ausstellung wird noch ergänzt durch eine Reihe von Holzschnitten sowie durch ein Kapitel über Venedig. Auch werden zusätzlich Werke etlicher anderer Künstler präsentiert, unter denen natürlich seines Ruhmes wegen die von Tizian hervorragen. Hervorheben möchte ich aber ein von Jakob Seisenegger geschaffenes Porträt, auf dem der unbekannte Bürgerliche eine ganz unerhörte physische Präsenz und Lebendigkeit besitzt.

Der Katalog mit seinen wertigen Aufsätzen und schönen Abbildungen entspricht dem Niveau der Ausstellung.

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