Ausstellungsbesprechungen

Dirk Hupe & Karsten Danuta, Sprachzeichen - Raumzeichen

[…] Der Zufall und natürlich auch die Ausstellungskonzeption der Galeristin wie der Künstler wollen es, dass Danuta Karsten den realen Raum im Eingangsbereich der Galerie mit konstruktivistisch anmutenden, von weißen Linien überzogenen und damit künstlerisch und kunstvoll aufgewerteten Folien verhängt hat. Doch anstatt den Raum wie mit blickdichten Vorhängen zu zerteilen, hebt das transparente Material ihn in eine andere Dimension. Eine zarte Zeichnung scheint die Luft zu rhythmisieren und obendrein sind wir genötigt, fast schon Slalom zu laufen.

Doch der Blick, dem kein Einhalt geboten wird, geht weiter Richtung Fenster, wo erkennbare Buchstaben den nunmehr imaginierten Raum versprachlichen. Aber auch hier ist kein Ende in Sicht, denn die Buchstaben von Dirk Hupes Hand lassen uns nicht bei einem schlüssigen Wort verweilen. Zunächst irritiert, springt der Blick von Zeichen zu Zeichen, deren Buchstabenhaftigkeit sich verwandelt in Bilder, Kunstwerke, die sich als Leerstelle zwischen einem lichten Rot entpuppen. Diese Farbe – wir kennen das von der Farbpsychologie her – tritt optisch nach vorne, auf uns zu, verfremdet, manipuliert gewissermaßen dadurch den Raum. Schließlich endet der von der Fiktion der Kunst geführte, ja verführte Augen-Blick draußen, im Alltag der Straße, der Stadt. Und wir dürfen uns fragen: Wo streifte uns die Kunst, wo nahm sie uns mit, wo wies sie über sich hinaus auf die Realität? Wo entstand die Kunst, vor uns oder doch erst in unsrem Kopf? […]

 

[…] Danuta Karsten wurde 1963 im polnischen Ma³a S³oñca bei Danzig/Gdañsk geboren und lebt nach dem Besuch des Kunstlyzeums in Gdynia und einem Studium der Bildhauerei in Gdañsk seit 1986 in Deutschland […]. Während ihres Aufbaustudiums an der Düsseldorfer Kunstakademie arbeitete sie bei Günther Uecker, worauf ich noch eingehen werde, und wurde Meisterschülerin bei dem Konzeptkünstler Klaus Rinke. Dieser spürt den räumlichen, zeitlichen und individuellen Grenzen nach und erkennt seiner Kunst eine Dolmetscherfunktion für humanistisches Gedankengut und für den uns umgebenden Realismus zu. […]

 

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Dirk Hupe, geboren 1960 in Essen, studierte 1980 bis 1986 Germanistik und Philosophie in Düsseldorf. Ab 1986 schloss sich ebenda eine Studium des Kommunikationsdesigns bei Hermann Sturm, dem Initiator der Designwissenschaft, sowie bei László Lakner, an. Dessen Kunst der betonten und doppelbödigen Missverständlichkeiten machte er sich zu Eigen. […] Im Zentrum seines Schaffens steht letztlich die kritische Auseinandersetzung mit dem Diktum Ludwig Wittgensteins, man müsse über dasjenige schweigen, wovon man nicht reden könne. Genau da setzt Hupe an: Als Anwalt sozusagen verbal aussichtsloser Fälle macht er das Unsagbare sichtbar. Als Grenzgänger zwischen Sprache, Schrift und Bild sensibilisiert er uns für den Zauber des Wortes mit Hilfe der Kunst.

 

Zauber erfüllt auch die Installationen Danuta Karstens. Von den Folienarbeiten war bereits die Rede. Mit der Stringenz archaischer Beschwörungsrituale und zugleich mit dem Bewusstsein für das Erbe der nüchternen Konkreten Kunst und eines neogeometrischen Stils zieht sie ihre Linienspirale auf den durchsichtigen Bildträger, als zeichne sie in den Raum selbst hinein. Die mit Lackstift aufgetragene Farbe –streng genommen die Nicht-Farbe Weiß –, ist nicht mit dem Lineal gezogen und erfüllt so sogar eine Minimalforderung an die Malerei. Doch mit diesen grafisch-malerischen Raumzeichen erschöpft sich ihr Werk keineswegs. Zur stringenten Arbeitsweise gesellt sich eine Akribie, die ihresgleichen sucht, ich möchte fast sagen, mit der sie ihren einstigen Lehrer Uecker noch weit übertrifft. […]

 

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Für Göppingen hat Danuta Karsten etwa 270 widerhakelnde Triebe von Weinranken in weiße Farbe getaucht und in ein abstraktes Muster einkomponiert, indem sie sie auf kaum sichtbare Nylonschnüre aufgezogen hat. In Augenhöhe vollführen diese wurzelhaften Kobolde einen lautlosen Tanz. Den hat Frau Karsten in einer kleinformatigen Wandarbeit schon vorweggenommen, die zahlreiche Fäden in Reih und Glied, aber als Einzelfiguren höchst wuselig konserviert. Dabei spielt sie mit dem natürlichen Material, das in der Bemalung zum künstlerischen Kleinobjekt wird; über die Hängung evoziert sie undurchdringbare, mithin märchenhafte Zauberwälder und gibt doch die grundsätzliche Transparenz nicht auf, die wesentlich vom lichterfüllten Weiß abstrahiert werden kann.

 

Einen Realitätsbezug kann die Künstlerin aus dem Arbeitsprozess heraus reklamieren: Der Tage dauernden Installation gehen Monate mühseliger Vorbereitungen voraus. Meist entsteht das Werk mit Blick auf den dafür bestimmten Raum, den sie dann auf Zeit nachhaltig bewusst macht – ob sie nun in Kirchen arbeitet oder in Galerien. Dass sich am Ende der dreidimensionale reale Raum wieder aus dem fingierten Raum aus Flächen und Linien befreien kann, markiert die Gedankengrenze zwischen Kunst und einer Wirklichkeit. Im Idealfall geht diese mittels künstlerischer Eingriffe deutlicher hervor, als sie zuvor wahrgenommen worden ist.

 

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Dass auch Dirk Hupe den Raum künstlerisch gestaltet, formend auf ihn einwirkt, habe ich bereits angedeutet, aber ich scheue mich, auf kürzestem Weg an die künstlichen Welten Danuta Karstens anzuschließen: Er geht einen anderen Weg, bleibt buchstäblich bei der Sprache. […] Als Mensch des 20. und 21. Jahrhunderts stellt er sich noch deutlicher die Frage nach dem Sinn, der alternativ die Urgründe bewegen soll. […] Hupe folgt dem von den Philosophen Deleuze und Guattari beschrittenen Weg jenseits einer linearen und systematischen Vernunft. Er favorisiert eine Wahrnehmung über verschiedene Ebenen beziehungsweise Plateaus, wie sie das Internet mit seinem Hypertextsystem längst erzwungen hat. […] »Das alphabet«, so Hupe in einer grundsätzlichen Erklärung, »diszipliniert das denken und bringt ordnung in etwas, das eigentlich dem chaos gehören sollte. deshalb bediene ich mich auch nicht primär der philosophie, der dichtung – sondern der kunst.«

 

Was geschieht mit der Sprache im Werk von Dirk Hupe? Die Lesbarkeit wird sabotiert, die Orthographie aufgelöst, die grammatische Logik zertrümmert. Was übrigbleibt, sind Buchstaben, die zur Zeichenhaftigkeit verschlüsselt werden, indem Hupe sie seitenverkehrt darstellt, sie kopfüber stürzt, fragmentiert oder sinnwidrig zusammenschweißt. Erst in der Hieroglyphenbildung, das heißt, in der verbildlichten Ent-Stellung, entsteht ein bewusster Umgang mit einem ansonsten völlig banalen und dadurch wie selbstverständlich hingenommenen und trotzdem hochkomplexen Vorgang. Dirk Hupe erwartet von dem Betrachter, dass er aus der Unentzifferbarkeit und Informationslosigkeit des Schriftbildes einen kreativen Dialog mit der neu zu findenden Begrifflichkeit eingeht und selbst sinnstiftend tätig wird – von daher wird sogar die faustische Letzt-Begründung in der Tat relevant. Dies wird vor allem in den gestisch aufgewühlten Arbeiten im oberen Raum der Galerie deutlich.

 

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Der hochbetagte Philosoph Max Bense hat einmal während einer Vorlesung nach der Gestalt des vollkommenen Quadrats gefragt. Wie selbstverständlich schwebt dem Befragten ein Bild vor, das er mit mehr oder weniger präzisen Hilfsmitteln veranschaulichen zu können glaubt. Bense wusste es besser: Er schrieb ein kleines a mit hochgestellter Zwei an die Tafel, als mathematische Formel, die unwiderlegbar das exakteste Quadrat in sich trägt. Dirk Hupe will jedoch den entgegengesetzten Weg beschreiten, weil die Kommunikation, unser ganzes Sein nicht allein auf mathematische Formeln zurückzuführen ist. Wovon man nicht reden kann, darüber darf man eben nicht schweigen. Wie oben erwähnt, will Hupe die Sprache und ihre Vertreterin, die Schrift, als Leerzeichen definieren. Das hört sich – zugegeben – sehr abstrakt an, doch Hupe macht sich hier zu einem Vollender des Dadaismus im Medienzeitalter, greift also Ideen auf, die das ganze 20. Jahrhundert schon im Raume standen. […]

 

Hier schließt sich der Gedankengang zum Werk von Danuta Karsten. Die Zeichenhaftigkeit von Sprache zum einen wie die des Raumes zum anderen lassen uns, die wir uns gar nicht entziehen können – denn wir und unsre Assoziationen sind Teil der hier vorgestellten Arbeiten –, zu Komplizen der Künstler machen. Wir erleben hier jeweils ein Stück Fiktion, die uns einlädt, über die reale Welt um uns bewusster nachzudenken. Es liegt an uns, dieses Angebot anzunehmen. […]

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