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Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen – Arbeiten der »Fotogruppe« der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Noch bis zum 31.7.2010! Im Kulturbetrieb sind die Boote nicht voll, sie sind groß – und statt alle vereinzelt im Meer des Kommerzes oder gar versiegender Geldquellen auszusetzen, tun sich immer öfter Kunst- und Kulturschaffende zusammen und suchen ihre eigenen Wege durchs Fahrwasser. So haben sich das Galerienhaus mit den Galerien Merkle, Naumann und 14-1 und die Kunstakademie ein Projekt ausgedacht, das sich prächtig in den diesjährigen Stuttgarter »Fotosommer« einfügt. Günter Bauman hat sich die Schau angesehen.

Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen

Kuratiert wurde diese Fotoschau auf rund 600 Quadratmetern von zwei jungen Kunsthistorikerinnen, Christina Reusch, Mitarbeiterin der Galerie Merkle, sowie Lea Dannenhauer, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Akademie Solitude.

Weil Stuttgarts Akademie keine eigene Klasse für Fotografie besitzt, haben die Studentinnen und Studenten 2008 ihre eigene »Fotogruppe« ins Leben gerufen, die mittlerweile von den Professoren gefördert und von der Akademie auch finanziell unterstützt wird. Initiatorin der Gruppe war Ülkü Süngün, Studentin der Bildhauerei. Um den Foto-Enthusiasten ein öffentliches Podium zu geben, auf das Manko an der Kunstakademie hinzuweisen und den Schulterschluss zwischen Kunstmarkt und Produktionsstätte bzw. Kunstinstitution zu demonstrieren, zeigt das Galerienhaus für eine Woche die ganze Bandbreite der rund 25 Künstlerinnen und Künstler, an deren Ende das traditionelle Sommerfest der hier zusammengeschlossenen Galerien stattfindet. Das Motto der Ausstellung ist Schillers Drama »Wallensteins Tod« entnommen: »Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit. / Leicht beieinander wohnen die Gedanken, / doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.« Für Christina Reusch soll es auf den Raumbezug der Arbeiten hinweisen, sowohl was die tatsächlichen Lebensräume des Menschen als auch die Auseinandersetzung mit dem mathematischen Raum angeht. Mit ihrer Kollegin hat sie unter Berücksichtigung der individuellen Ausrichtung der beteiligten Galerien einen äußerst kurzweiligen Parcours gestaltet, der alle Positionen berücksichtigt, die das Medium heute bietet.

Kathrin Schneider (*1982) geleitet den Betrachter in einer kleinen, formalästhetisch durchkomponierten Bildfolge motivisch von außen nach innen, womit auch schon signalisiert wird: Für den Rest der Schau sind die Betrachter und Fotografen unter sich. Lena Münch (*1980) bietet schwarzweiße Variationen »mit Kopf«, die die Bauhaus-Inszenierungen eines Moholy-Nagy zitieren. Adrianna Liedtke (*1987) erkundet Zeichen im Alltag. Simone Eckert (*1978) blickt nüchtern auf die Traumfabrik von Las Vegas, sozusagen »by day«. Andrea Drechsel (*1982) spürt »Unorte« in Stuttgarter Randbezirken auf. Nicolas Lang (*1983) verunsichert den Betrachter mit verängstigt dreinschauenden Spielpüppchen, die dem Kinderzimmer entrissen scheinen. Mona Zeiler (*1989) spielt mit verschiedenen Bildschichten und Geschichten, die sie am Beispiel einer Tätowierung zu »Geschichtungen« verknüpft. Gabriel Hensche (*1986) lässt sich von der grellbunten Farbwelt des Alltags in Bangladesh bezaubern. Alex Kern (*1982) inszeniert ein wenig appetitliches Schlachtfeld, indem er akribisch Gehacktes fürs Fotoshooting drapiert und einen Silvesterkracher dazwischen legt. Valentin Leuschel (*1989) zeigt dagegen eine nicht minder inszenierte, aber hochkonzentrierte zweiteilige Tanzsituation, die in Verbindung seiner Polaroid-Serie »Sorry Sarajewo« am anderen Ende der Ausstellung noch eindringlicher wirkt. Thomas Zubrod (*1981) lichtet ein schmuckloses Objektensemble ab, zeigt in einer anderen Arbeit aber auch schickbunte, modische Torsi.

Jenny Bruch (*1985) verfremdet architekturbezogene Details und schafft spannungsreiche Zaun- und Gitterimpressionen. Judith Hettler (*1984) sucht in einer gewitzten Serie »das verbindende Element« mit guten Lichteffekten. Daniela Wolf (*1975) konfrontiert Menschen in ihrer Paris-Serie mit kuriosen, teils komischen, teils banalen Situationen. Saskia Groneberg (*1985) präsentiert einmal formelhafte Grünflächen, ein andermal zeigt sie die Grenzen von »Heimatbildern« auf. Gitta Bertram (*1980) lässt den Betrachter aktiv Minibilder sortieren und kommentieren. Sven Weber (*1988) stellt geheimnisvolle Nachtbilder unter famosem Lichteinfall dar, in einer anderen Arbeit überzeugt er mit einem ausschnitthaften Doppelporträt. Natasa Marjanovic (*1970) hält wunderbare, sensibel beobachtete Naturphänomene oder irrlichternde Raumbilder experimentell fest.

Christine Schönherr (*1985) experimentiert mit langgestreckten Fotos auf LKW-Plane, beweist aber auch mit einem Bild »o.T. (New York, Rollstuhljunge)«, dass sie auch die sozial engagierte Fotodokumentation beherrscht. Peter Strehle (*1979) hat eine eigene, eher ironisch-kriminalistische Sicht auf die »Apokalypse«. Ülkü Süngün überzieht ein tiefschwarzes Bild, aber auch Schwarzweiß-Porträts mit einer Rillenzeichnung, die den bildhauerischen Hintergrund der Künstlerin verrät. Yasmin Senkal (*1986) schaut reichlich illusionslos über »no man’s land«. Andreas Bauer (*1981) zeigt in »bädmintös« die monumentale Hinterlassenschaft einer ausgeräumten Wohnung. Nicole Adis (*1987) bringt dem Betrachter mit ihrer Serie »Baumgrenze« die Schemen seiner eigenen Existenz nahe.

Ergänzt wird diese in der Vielfalt einheitliche Ausstellung durch eine Performance von Min-Soeb Ji. Ein Besuch der Finissage am 31. Juli sei wärmstens empfohlen – um 19 Uhr findet eine auch eine Führung statt, und als Highlight tritt die amerikanische Jazzerin Melva Houston & Band (!) auf, die zur Zeit durchs Ländle tourt.

Öffnungszeiten

Dienstag - Freitag 14 - 19 Uhr, Samstag 11 - 16 Uhr

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