Buchrezensionen

Dommuseum Hildesheim (Hrsg.): Stern über Bethlehem. Die Große Münchner Krippe aus dem Diözesanmuseum Freising, Schnell + Steiner 2016

Wir bringen Sie mit Kitsch und Heimattümelei in Verbindung: Weihnachtskrippen. Doch die Darstellungen der Weihnachtsgeschichte können durchaus kunsthandwerkliche Kleinode sein, die auch außerhalb der Weihnachtszeit den Betrachter beeindrucken. Zugleich bieten sie einen Blick auf die Kulturgeschichte des Weihnachtsfestes. Walter Kayser hat im Katalog »Stern über Bethlehem« der Krippentradition nachgespürt – ganz jenseits von Weihnachtskitsch.

Friedrich Schiller hat ein etwas anderes Verständnis von dem, was wir heute gemeinhin als »naiv« ansehen. Ein differenziertes. Denn er grenzt im Jahre 1796 in seinem berühmten, für die ästhetische Philosophie der Klassik kaum zu überschätzenden Aufsatz naiv vom Gegenbegriff des »Sentimentalischen« ab. Ist der sentimentalische Künstler idealistisch gesonnen, hin und her gerissen zwischen der Wirklichkeit und der Idee als etwas Unendlichem, ist er voll reflektierter Spannung zu sich selbst und entfremdet von der Natur, die er gestaltet, so ist der naive Künstler im besten Sinne intuitiv und unreflektiert: »Das Objekt besitzt ihn gänzlich, sein Herz liegt nicht wie ein schlechtes Metall gleich unter der Oberfläche, sondern will wie das Gold in der Tiefe gesucht sein.«

»Naiv« in diesem Sinne ist die Liebe zu Weihnachtskrippen, ja die Krippenkunst selbst. Die Darstellung des Weihnachtsgeschehens ist, wenn man eine Trennung zwischen hoher und niederer Kunst, »E und U« oder die scharfe Unterscheidung von ambitionierter Könnerschaft und kunsthandwerklichen Produkten heutzutage überhaupt noch akzeptieren will, Ausdruck gut gemeinter und einfacher Volkskunst. Hinter ihr steht im Sinne Schillers »nicht Unverstand, nicht Unvermögen, sondern eine höhere (praktische) Stärke, ein Herz voll Unschuld und Wahrheit«.

Das liegt sicherlich daran, dass sich kaum etwas Berührenderes denken lässt als diese Geschichte vom hilflosen Kind auf Heu und auf Stroh. Der Neugeborene in der Futterkrippe ist ein Opfer der arroganten Macht, er wurde tragisch abgewiesen und liegt nun irgendwo draußen zwischen den Tieren, umgeben vom »niederen Volk«, dem er, merkwürdig genug, als Verheißung von tröstlichem Licht, Frieden und Hoffnung erscheint.

Der Evangelist Lukas, allem Anschein nach ein hellenistischer Intellektueller, hat mit seiner Kindheitsgeschichte im zweiten Kapitel literarische Muster synthetisiert, die in der antiken Welt bestens als Mytheme erprobt waren. Nicht zuletzt der Freud-Schüler Otto Rank hat das in seinem Buch über die »Geburt des Helden« herausgearbeitet.

Es ist nicht so, dass erst im 19. Jahrhundert, als die bürgerliche Weihnachtsidylle um den Tannenbaum erfunden wurde, diese Geschichte ergreift. Die enge kleinfamiliäre Intimität von Vater, Mutter Kind (mit dem Problem der unklaren Vaterschaft), die atmosphärischen Requisiten von nächtlichem Sternenhimmel und morgenländischen Gästen, die Glanz und Pracht in den Stall bringen, Traum und Flucht – diese ganze Mixtur ist schier unüberbietbar.

Krippen als Ausdruck eines »naiven«, intuitiven und ungebrochenen Sinns für diesen Zauber der Heiligen Nacht kamen spätestens im 16. Jahrhundert auf. Ein Ausgangspunkt dabei ist die Inszenierung, die Franziskus von Assisi im Jahre 1223 in Greccio, einem Nest in den Sabiner Bergen, veranstaltet hat. In einem echten Stall soll er in einer Felsgrotte mit echtem Ochs und Esel und einer strohgefüllten Krippe die Geburt Christi der bäuerlichen Bevölkerung Latiums anschaulich vermittelt haben.

Das Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg ist leider immer noch wegen Umbauarbeiten geschlossen. Hier und vor allem im Keller des Bayerischen Nationalmuseums in der Münchner Prinzregentenstraße sind wohl die weltweit schönsten historischen Krippen zu sehen. Neben den großartigen neapolitanischen Königs- und Adelskrippen wird dabei vor allem die alpenländische Tradition berücksichtigt. Ein herausragendes Beispiel des 19. Jahrhunderts wird in diesem Buch vorgestellt. Die Krippe war ursprünglich eine Münchner Familienkrippe und gehörte zu denen, die etliche Bürger als Besuchsanlass nahmen, um zwischen Advent und Mariä Lichtmess (2. Februar) anderen Bürgerstuben einen Besuch abzustatten. Sie umfasst nicht weniger als 419 Figuren, in Teilen geschnitzt (oder auch geformt) und dann liebevoll mit Textilien bekleidet. Sie wurde von der Ernst-Siemens-Kunststiftung erworben und dem Freisinger Diözesanmuseum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt; dieses lieh es wiederum für eine Ausstellung dem Dommuseum in Hildesheim aus.

Geschickt hat die dortige Direktorin Claudia Höhl um die Krippe herum alles Mögliche an Ausstellungsstücken herum gruppiert, was sich motivisch aus ihrer reichhaltigen Sammlung an Kostbarkeiten mit dem Thema Menschwerdung Christi in Beziehung bringen ließ: der Typus verschiedener Madonnen, Anna Selbdritt, Heimsuchungs-Szenen. Auch unterschiedlichste Kunstgattungen werden vorgestellt: von mittelalterlichen Handschriften und Holzdrucken über Skulpturen bis hin zu Goldschmiedearbeiten wie den Schließen eines Pluviales, der Krümme eines Bischofsstabs oder einer Monstranz. Die Vielfalt wird also ikonographisch zusammengebunden. Auf diese Weise ist auch dem Laien vor Augen zu führen, welche Schätze das Hildesheimer Museum besitzt. Bekanntlich erlebte das Bistum unter den Sachsenkaiser mit den berühmten Bischöfen Bernward (993–1022) und Godehard (1022–1038) seine absolute Blütezeit, aber die Exponate reichen bis in die Gegenwart.

Der Katalog ist liebevoll und verlegerisch bestens gemacht, zudem geschickt aufgebaut, nähert er sich doch in konzentrischen Kreisen vom Allgemeinen her dem Besonderen. Zunächst geben zwei grundlegende Aufsätze einen kulturgeschichtlichen Einblick in das Entstehen des Weihnachtsfestes und dann werden, was selten genug und verdienstvoll ist, alle Texte abgedruckt, die sich in der Bibel mit der Geburt des Gottessohnes in Verbindung bringen lassen - alttestamentarische Prophezeiungen ebenso wie apokryphe Evangelien.

Die eigentliche Krippe wird nicht als Ensemble abgebildet, sondern markante Figuren sehr wirkungsvoll vereinzelt und ganzformatig vor weißem Hintergrund abgelichtet. Die Besonderheit der Münchner Krippentradition wird deutlich vor Augen geführt, etwa in den ephebischen Aktfiguren der im Himmel schwebenden Engel, im liebevollen Ausmalen eines großen Königgefolges oder in dem ausufernden Reichtum an exotischen Tieren, auf welche die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten stößt. Hier tobte sich die Phantasie der Krippenbauer aus. Und gerade hier, im erfindungsreichen Fortspinnen von Genreszenen und abenteuerlichen Hybridbestien, zeigt sich, was im besten Sinne ungebrochen und »naiv« bedeutet.

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