Buchrezensionen

Dorothée King: Kunst riechen. Duftproben zur Vermittlung olfaktorisch bildender Werke, Athena Verlag 2016

Dorothée King, Kunstdidaktikerin und Kommunikationsdesignerin beschäftigt sich in »Kunst riechen« mit Fragen nach Rezeption und Vermittlung olfaktorischer Kunst. Den gedanklichen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bilden künstlerische Strategien und Werke der zeitgenössischen bildenden Kunst, die Aroma und Geruch bewusst einsetzen. Längst fällige Überlegungen zum Thema, jedoch deutlich ausbaufähig, findet Andrea Richter.

Olfaktorische Kunst gibt es seit etwa 100 Jahren. Am 11. August 1913 veröffentlichte der italienische Futurist Carlo Carrà »La Pittura dei suoni, rumori, odori: Manifesto futurista« (Die Malerei der Töne, Geräusche, Gerüche: Futuristisches Manifest), das erste Künstlermanifest, in dem auch der Geruch Erwähnung findet.

Marcel Duchamp zeigte 1938 mit »Künstlerraum« auf der Exposition Internationale du Surréalisme in Paris das erste auch olfaktorisch zu rezipierende Kunstwerk. Bei der Arbeit handelte es sich um eine multisensorische Inszenierung, die das Visuelle, den Ton, Haptik und Geruch miteinbezog. An den Wänden des Raums hingen Gemälden und Skulpturen befreundeter Künstler, an der Decke 1200 leere Kohlensäcke. Auf dem Boden lag welkes Laub und aus einem kleinen Teich tönten Schreie, die angeblich in einem Irrenhaus aufgezeichnet worden waren. Alles roch in einer durchdringenden Art und Weise nach gerösteten Kaffeebohnen.

Auch wenn sich die Idee der Multisensorik in der zeitgenössischen Kunst langsam durchsetzt, der Geruch spielt in den allermeisten Arbeiten bis heute eine eher marginale Rolle.

Die Ursachen dafür finden sich möglicherweise in kulturellen Paradigmen. Der Geruchssinn galt lange als minderwertig, als animalisch und gefährlich. Descartes bezeichnete ihn als den derben Sinn. Für Platon und Aristoteles war Riechen weniger wert als Sehen und Hören. Und Freud meinte gar, dass der Geruchssinn minderwertig, da er ein »Tiersinn« sei. Die Zivilisation des Menschen, seine Entwicklung, so Freud, habe mit dem aufrechten Gang ihren Anfang genommen. Das Bedürfnis des erwachsenen Menschen, sich als höherwertige Art zu begreifen, habe womöglich zur Folge, dass dieser Sinn, der untrennbar mit dem animalischen verbunden sei, unterdrückt würde.

Die französische Anthropologin, Philosophin und Historikerin Annick Le Guérer forscht seit fünfzig Jahren zu Gerüchen. Die Abwertung des Geruchssinnes, so die Französin, sei bei Kulturen, die sich der Natur stärker verbunden fühlten, unbekannt. So verfügten zum Beispiel die Jahai auf Malaysia über einen äußerst differenzierten Wortschatz nur für Gerüche.

All diese kulturtheoretischen, psychologischen und philosophischen Aspekte werden im ersten Teil der als Promotionsarbeit an der UdK Berlin vorgelegten Arbeit Kings bedauerlicherweise lediglich gestreift. Die Autorin gibt, nach einigen allgemeinen einführenden Überlegungen zu olfaktorischer Kunst einen groben Überblick über künstlerische Positionen und zeitgenössische Werke. Sie beschreibt Arbeiten von Duchamp, Laib, Gallaccio, Höller, Mihaltianu, Margolles, Tolaas, Eliasson, Black, Naumann, DeCupere, Sabotage Communications, Marketou, Paterson und Georgsdorf. Über ihre Auswahlkriterien lässt uns die Autorin im Dunkeln. Hermeneutische Betrachtung und Interpretation umfasst pro Arbeit maximal eineinhalb Seiten, dabei wird nicht deutlich, ob es sich um persönliche Notizen zu den Arbeiten in Ausstellungen oder zitierte Eindrücke und Überlegungen handelt. So entsteht eine zwar vielfältige, doch scheinbar willkürliche (allerdings chronologisch geordnete) Aneinanderreihung von geruchsbasierten Kunstwerken. Dieser Eindruck der Beliebigkeit wird noch verstärkt durch eher flüchtige und teilweise befremdliche Interpretationen derselben.

Eine der wichtigsten genannten Künstlerinnen ist zweifelsfrei Teresa Margolles. Die mexikanische Pathologin installiert in »Vaporización« einen Diffusor, der Nebelschwaden aus Leichenwaschwasser erzeugt, in einem ansonsten leeren Raum. Die Ausstellungsbesucher*in kann sich dieser olfaktorischen Penetration nicht entziehen, es sei denn, sie verlässt die Installation. Die Besucher*in erfährt in den Begleittexten zur Ausstellung, dass die nicht identifizierten Toten, deren vaporisiertes Leichenwaschwasser sie einatmet, möglicherweise Opfer von Gewalttaten in Mexikos Drogenkrieg geworden seien. King schlussfolgert, auf der Grundlage von allgemeinen kunsttheoretischen Überlegungen zu Empathie und Kunst, »Vaporización« »könne die Rezipienten über diese ganz besondere Form der körperlichen, olfaktorischen Wahrnehmung-möglicherweise in eine tiefe, geistige und körperlich empfundene Anteilnahme mit den Verstorbenen und ihren Schicksalen führen.« Wie sie zu dieser Einschätzung gelangt, bleibt nebulös. An dieser Stelle hätte vielleicht ein Quäntchen mehr Empirie geholfen.

Etwas differenzierter wird es im vierten Teil der Arbeit, »geruchsbasierte Kunst rezipieren« in dem es um partizipative Kunst und Immersion geht. Die Behauptung, das geruchsbasierte Kunst einen immersiven Charakter habe, der dazu führe, dass die Dichotomie zwischen Werk und Betrachter*in aufgehoben wird, hätte einen möglichen Ausgangspunkt für weitere Forschung bilden können. Als Kunstdidaktikerin legt King jedoch den Fokus auf den Künstler als »Erfahrungsingenieur« und die Steuerung von Rezeptionsprozessen. Der dieser Vorstellung zu Grunde liegende Kunstbegriff wird leider nicht genauer ausgeführt, geschweige denn hinterfragt. Anstelle dessen folgen teilweise sehr pragmatische Betrachtungen zu kuratorischen Prozessen und ein eigenes Konzept der Autorin für eine geruchsbasierte Ausstellung.

So bleibt es zweifelsfrei der große Verdienst der Autorin einen Überblick zu geruchsbasierter Kunst und dem aktuellen Forschungsstand zu Olfaktorik in den Kunst- und Kulturwissenschaften gegeben zu haben. Die Behauptung, geruchsbasierte Kunst verändere unsere Rezeptionsgewohnheiten und unsere ästhetische Erfahrung, ist auf 128 Seiten leider nicht wirklich schlüssig untermauert. Die Methode bleibt unklar, es wird nicht erläutert, welche kunstwissenschaftlichen Diskurse ihren Ansatz tangieren und welchen Theoretiker*innen sich die Autorin verbunden fühlt. Problematisch auch, dass der zentralen These, wonach geruchsbasierte Kunst sehr subjektive und persönliche Erfahrungen ermögliche, mit ein wenig Feldforschung nicht Rechnung getragen wurde. Neben der fehlenden theoretischen Tiefenschärfe fallen leider auch die übermäßig vielen Rechtschreibfehler auf. Der amerikanischen Autorin wäre ein sorgfältiges Lektorat zu wünschen gewesen. Zudem hätte zur Illustration des Themas die eine oder andere Abbildung sicher gutgetan. Zur Erweiterung der ästhetischen Erfahrung beim Lesen, gerne auch in Form von Duftproben auf Riechstreifen.

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