Ausstellungsbesprechungen

Double Vision. Albrecht Dürer & William Kentridge, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, bis 8. Januar 2017

Eine doppelte Vision von Sehen, Wahrnehmen, Sichtweisen und vielem mehr ist noch bis Anfang Januar in der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe zu sehen. Die Ausstellung vereint in einer permanenten Gegenüberstellung Vergangenheit und Gegenwart. Genauer gesagt: Albrecht Dürer und William Kentridge. Anna Quintus hat sich das Ganze angesehen.

Rund 500 Jahre trennen die beiden Künstler Albrecht Dürer (*1471 Nürnberg - † 1528 Nürnberg) und William Kentridge (* 1955 Johannesburg). Dürer als Unterstützer des imperialen Systems, der Macht des Hauses Habsburg und Kaiser Maximilians I. und Kentridge als Sohn einer jüdischen Familie, aufgewachsen in Südafrika und Kämpfer gegen die Apartheid. Gleich im zweiten Ausstellungsraum treffen sie mit monumentaler Überwältigungsästhetik aufeinander: die »Ehrenpforte« Dürers (1515-18, ca. 357 x 309 cm) und »Remembering the Treason Trail« (2013, 196 x 180 cm) von Kentridge. Diese sind theatralisch potenziert an den jeweiligen kurzen Endwänden eines langen schmalen Raumes positioniert und zur vergleichenden Betrachtung freigegeben.

Gezeigt werden im Ausstellungsverlauf nicht ausschließlich der Antagonismus zweier Künstler in Abhängigkeit ihrer Herkunft, ihrer kulturellen, politischen und regionalen Hintergründe, sondern eben auch die trotz der trennenden Faktoren erkennbaren Gemeinsamkeiten: die Auseinandersetzung mit den Sehgewohnheiten ihrer Zeit, mit Perspektive, mit Wahrnehmung und mit formalen Ausdrucksmöglichkeiten. Die vergleichende Basis wird dabei in ihrer Schwarz-Weiß-Technik gesetzt. Insgesamt 110 Werke haben die Kuratoren unter dieser Prämisse zusammengetragen. Dabei stammen die Werke Dürers zu einem großen Teil aus den eigenen Beständen des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle und wurden komplimentiert aus den Sammlungsbeständen Kentridges und weiterer Leihgeber. Nun liegt es am Rezipienten der Ausstellung, welche in sieben Themenbereiche gegliedert ist, ihr Werk auf inhaltlicher, medialer und auch ästhetischer Ebene zu vergleichen.

Beim Gang durch die Räume wird schnell gewahr, wo die Gegensätze in den Arbeiten Dürers und Kentridges zu finden sind. Ging es dem einen mehr um das Begreifen und später in seinen Lehrbüchern um das Greifbarmachen von Perspektive, vom hochkomplexen Sehvorgang, von Wahrnehmung, so operiert, spielt der andere mit diesen Erkenntnissen, ja fordert sie geradezu heraus. Arbeitet Dürer in seinen Formen der Darstellung mit normativen Methoden, nutzt Kentridge apparative Hilfsmittel, wie das Stereoskop oder Spiegelglaszylinder, um den Sehvorgang per se zu thematisieren. Kentridge fordert den Betrachter auf, über den automatisierten natürlichen Sehvorgang zu reflektieren. Er macht ihm seinen Anteil an Seherfahrungen deutlich.

Beide Künstler zeigen die Abhängigkeit der Wahrnehmung vom individuellen Standpunkt auf und führen den Rezipienten so zu einer bewussten Reflexion des eigenen Blickwinkels. Besondere Intensivierung erfährt dieser Vorgang im dritten Ausstellungsraum »Perspektiven eröffnen«. Hier erlebt der Besucher in praktischer Umsetzung wie Sehen funktioniert. Während man durch ein Stereoskop auf zwei identische Fotogravuren Kentridges blickt, verschmelzen diese innerhalb unserer Wahrnehmung nach einem kurzen Moment des Innehaltens und Verarbeitens zu einem (z.B. »Eine Katze im Fleischgeschäft«, Kentridge 2007). Vor dem inneren Auge eröffnet sich ein räumliches Bild, bei dem sich die dargestellten Gegenstände eindeutig voneinander abheben.

Dürer beschäftigte sich 500 Jahre zuvor ebenfalls mit der Thematik der visuellen Wahrnehmung und der Frage nach der Konstruktion von Bildperspektive. So veröffentlichte er 1525 ein Lehrbuch mit Grafiken für humanistische Künstler. »Unterweisung der Messung« enthielt seine Theorie zum Sehvorgang, deren Ansätze bis in die Antike zurückgehen. Dürer selbst lernte sie bei einer Italienreise kennen, verfeinerte sie und sorgte schlussendlich für ihre Verbreitung nördlich der Alpen. Der grundlegende Inhalt bestand darin, dass das Auge als zentrales Medium fungiert, indem sich die verschiedenen Sehstrahlen bündeln. Dürer unterwies Künstler über korrekte Darstellungsformen der sichtbaren Welt und stellte verschiedene Zeichenmethoden vor. Innerhalb der Ausstellung verweisen Grafiken wie »Der Zeichner des weiblichen Modells« (1538), »Der Zeichner der Kanne« (1538) u.a.m., mit welchen technischen Hilfsmitteln – wie Glasplatte oder Raster – man Zentralperspektive konstruieren kann.

Doch kann man sich stets sicher sein bei dem, was man sieht? Ist das Gesehene eineindeutig? Bekommt das gleiche Sehbild beim zweiten Hinblicken eine zusätzliche oder gar ganz differente Bedeutung? Diese Thematik wird ebenfalls von beiden Künstlern behandelt und im Raum für »ungewisses Sehen« dem Besucher offenbart. Bei Albrecht Dürer zeigt sich die Möglichkeit der Doppeldeutigkeit innerhalb konkreter Formen. So können im ersten Blick verwitterte Felsen sich ebenso zu zerknautschten Kissen umformen oder zu pausbäckigen Grimmassen werden (z.B. »Der weise Hieronymus in der Wüste«, um 1496). William Kentridge hingegen nutzt die Unbestimmtheit seiner Formen, um beim Betrachter Assoziationen auszulösen. Daher ist man sich bei den Werken »Drei Schatten« (2003) oder »Lastentransport« (2000) unschlüssig, ob es sich bei den schemenhaften schwarzen Gestalten ausschließlich um Formen oder doch Menschen bzw. menschenähnliche Gestalten handelt.

Festzuhalten bleibt, dass Kentridges Arbeitsmethode stark an die technischen Möglichkeiten der Neuzeit gebunden ist, was im besonderen Maße an seiner Verwendung der Stopp-Motion-Technik sichtbar wird. Diese nutzt er sowohl in seinen Bildfolgen, wie »Ubu sagt die Wahrheit« (1996/97), als natürlich auch im Medium des Films selbst, aus dem sie herrührt und das ebenfalls ein von Kentridge oft genutztes Verfahren ist, um mit der menschlichen Wahrnehmung zu experimentieren. Im Rahmen der Ausstellung findet man diese im Animationsfilm »Felix im Exil« (1994). Dürer hingegen, seinerzeit freilich noch nicht im Bewusstsein der Möglichkeiten von bewegten Bildern, widmet sich mit beinah unfehlbarer Akribie den ungemein vielfältigen Hell-Dunkel-Schattierungen. Mit einer Mannigfaltigkeit an geschwungenen, kurzen und langen, dickeren und dünneren Linien und variablen Abständen derer zueinander fordert er unsere Wahrnehmung heraus.

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