Ausstellungsbesprechungen

Doug Aitken, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, bis 27. September 2015

Bewegung und Beschleunigung, Wandel und stetiger Wechsel, kurz: die Erfahrungen unserer Gegenwart sind Doug Aitkens Themen, denen er mit eindrucksvollen Bildern und intensiven Installationen nachgeht. Wie eindrucksvoll, das hat Anna Quintus erfahren.

Ist man dieser Tage auf dem historischen Römerberg in Frankfurt am Main unterwegs, sollte man sich nicht nur der charakteristischen Treppengiebelfassade des Rathauses widmen. Vielmehr sollte man seiner Neugier nachgeben und sich locken lassen von den mancherorts zart vernehmbaren Wassertropfengeräuschen. Lässt man diese Verlockung gewähren, gelangt man zur Rotunde der Schirn Kunsthalle. Hier erhebt sich in einem zylindrisch überdachten Raum ein Hügel(chen) aus Bauschutt ähnlichen Elementen, in dessen kraterförmiger Öffnung sich ein Wasserbassin befindet. Richtet man seinen Blick nach oben, lüftet sich sogleich das Mysterium über die rhythmischen Tropfengeräusche, die an dicke Regentropfen oder eine Tropfsteinhöhle erinnern. Sie werden künstlich und wohlbedacht von einer Mechanik kreiert, welche direkt über dem Becken montiert ist. Diverse programmierte Düsen lassen Wassertropfen in das Becken fallen. Die aufkommenden Tropfen werden über Lautsprecher verstärkt und ähnlich wie bei elektronischer Musik verfremdet. Es entsteht ein sich permanent wiederholendes Rhythmusmuster. Zart und beinah melodisch wird man als Besucher von dieser Installation »Sonic Fountain II« (2013/2015) — die scheinbar Regentropfen rhythmisch auffängt — zum Hören, Betrachten und Aufnehmen veranlasst.

Diese Soundinstallation und vier weitere raumfüllende Videoinstallationen wurden geschaffen von dem Amerikaner Doug Aitken (geb. 1968 in Kalifornien), welchem in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt nun eine Art Retrospektive gewidmet wird, die eine Schaffensphase von rund 20 Jahren umspannt. Aitken könnte man ganz neuzeitlich als einen Allround-Künstler der Medien beschreiben: Sein künstlerischer Kernbereich umfasst Film, Musik, architektonische Installationen, Skulptur, Performance, Fotografie und er ist zusätzlich tätig als Produzent von Happenings sowie Herausgeber von Büchern. Hier in der Schirn Kunsthalle tritt er hauptsächlich als Schöpfer architektonischer Videoinstallationen auf, denen auch verschiedene seiner popartig leuchtenden Skulpturen zur Seite gestellt werden.

Ein immer wiederkehrendes Augenmerk auf die globale sich stetig beschleunigende Gegenwart ist zu verzeichnen, aber auch auf das Zusammentreffen von Menschen an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeitpunkten, die scheinbar in der Gegenwart keine funktionierende Kommunikation mehr zwischen sich stattfinden lassen können und somit scheint auch kein harmonisches zwischenmenschliches Miteinander mehr möglich. Für das Jetzt bleibt einzig und allein die Sehnsucht nach Nähe und Entschleunigung, die nicht erfüllt werden kann. Alles spitzt sich auf den Punkt der Rastlosigkeit in der heutigen Gesellschaft zu, welche bei den unterschiedlichsten Protagonisten zu Selbstzweifeln, Entfremdung und der Fragen nach dem eigenen Sinn des Lebens zu führt.

Auch der Ausstellungsbesucher kann sich diesem Bann nicht entziehen. Zumindest wird er von der Bewegung mit aufgenommen und zum Nachdenken über die gegenwärtige Existenz und deren Wahrnehmung angeregt. Man schreitet teils gedankenverloren, teils leicht irritiert durch den Raum — so sollte man es zumindest tun. Denn es handelt sich nun einmal um raumfüllende Installationen, die in ihrem ganzen Wirken nicht von einem Standpunkt aus zu erfassen sind. Doch leider ist dem Besucher einer solchen raumgreifenden Videoinstallationskunst noch viel zu sehr sein cineastisches Verhalten inne und so kann er, gelockt von den unglaublich ästhetisch schönen Bilder, welche von Aitken geliefert werden, nicht wiederstehen und platziert sich meist sitzend — damit es auch schön gemütlich ist — direkt vor der Leinwand, um den Film mehr zu (be)schauen, als die filmische Installation zu erfahren. Leider gerät dabei die vom Künstler intendierte alles beherrschende Motivation von Bewegung in Stagnation. Und das ist keinesfalls dem Künstler oder der kuratorischen Arbeit geschuldet, sondern vielmehr den einzelnen Rezipienten, welche sich von den derart aufwendig produzierten Bildern, der luxushaftanmutenden Umsetzung wohl an Hollywoodfilme erinnert fühlen, so dass sie verführt werden den ästhetisch schönen Moment genießen zu wollen. Es gerät in den Bewusstseinshintergrund, dass es sich hier um eine Black Box im Ausstellungskontext handelt und nicht um einen Kinosaal! Eintauchen in diese aufwendigen Produktionen von bewegten Bildern kann der Ausstellungsbesucher in den vier Videoinstallationen, die in ihrer Unterschiedlichkeit raumübergreifend zu wirken auf diverse Art und Weise das Bewusstsein und die Wahrnehmung von uns als Rezipient anreizen.

Im Inneren der Kunsthalle beginnt der Rundgang durch die Retrospektive mit einer Mehrkanal-Videoinstallation »SONG 1« (2012/2015), welche im Loop einer 360° Leinwand gezeigt wird. Ursprünglich konzipiert und verwirklicht für die Außenfassade des Hirschhorn Museums and Sculpture Garden in Washington D.C. ist die Installation zwar für die Räumlichkeiten der Schirn komprimiert in einen Raum gefasst, aber mit minder hoher Wirkung, zu sehen. Die Bilder eines gewöhnlichen Großstadtalltages gepaart mit Bildern jedweder geometrischer Form, Lichtmustern sowie Spiegelungen ergeben kaleidoskopische Effekte, die man aufgrund der Installationsanlage mal in konvexer und mal in konkaver Form erfahren kann. Hoch emotional ist dieses Werk durch den Song »I Only Have Eyes for You«, welcher von mehreren Interpreten unterschiedlichster Professionalität eingespielt wird.

Eine zweite große Videoinstallation führt den Ausstellungsbesucher in einen schwarzen, verspiegelten quadratischen Raum mit drei großen Monitoren, deren Bilder sich wiederum in den schräg kleinteilig angeordneten Spiegeln reflektieren. Auch der Rezipient findet sich selbst gespiegelt vielerorts in diesem Raum wieder und wird so selbst zu einem Bruchteil der Installation »Black Mirror« (2011) und zu ihrem Thema der Gefangenschaft im Kreislauf der modernen Welt. Ebenso Bildstark präsentiert sich die Arbeit »migration (empire)« (2008). Angelehnt an eine amerikanische Landstraße — perspektivisch verschoben — schaut man auf drei scheinbar gekürzte, hell leuchtende Werbetafeln, welche man real selten in deiner derartigen Frontalsicht bestaunen kann. Die Billboards zeigen wilde Tiere in scheinbar menschenleeren Motelzimmern. Aus ihrer natürlichen Umgebung herausgenommen, versuchen die nicht domestizierten Tiere nun die menschliche Umgebung zu erkunden und für sich erfahrbar zu machen. Die für uns bereits zum Alltag gehörenden und für unsere Rastlosigkeit genutzten Räumlichkeiten, werden von jedem einzelnen dieser Tiere ganz neu und jungfräulich erkundet. In der letzten Installation »diamond sea« (1997) widmet sich Aitken der Kolonialisierung afrikanischer Länder und der Ausbeutung ihrer Rohstoffe.

Einladend ist diese Ausstellung und sehenswert ebenso, nur bitte in Bewegung, ansonsten nimmt man nur einen Bruchteil der von Doug Aitken präsentierten Optionen unserer Wahrnehmung im Bezug darauf den Raum zu erweitern mit nach Haus. Ist einem ein sitzendes Medium lieber und man möchte trotzdem nicht auf den Aspekt der Kunst verzichten, dann sollte man sich seinen Dokumentarfilm »Station to Station« anschauen, welcher im Frankfurter Cinema am Rossmarkt zu sehen ist.

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