Ausstellungsbesprechungen

Dystopia. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx, Kunstsammlung Jena, bis 12. August 2018

An ihm kommt man wohl kaum vorbei in diesen Tagen: Karl Marx. Was er uns heutigen mit seinen ökonomisch-politischen Gedanken noch zu sagen hat, aber auch welche Folgen seine Gedanken hatten, wird vielfältig thematisiert. Die Kunstsammlung Jena präsentiert künstlerische Positionen, die sich kritisch mit unserer Gegenwart auseinandersetzen. Stefanie Handke hat sie sich angesehen.

Den direkten Bezug zu Karl Marx und seinem »Kapital« findet man nicht gleich im Eingangsbereich der Ausstellung, nein, er folgt erst im Verlauf des Rundgangs ganz offensichtlich. Vielmehr stehen künstlerische Statements zur ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Gegenwart im Raum, ganz einem Gedanken der Philosophin Ágnes Heller folgend, dass das Klammern an Utopien (etwa wie sie Marx entwarf) allzu oft in dystopische Welten führt.

Gunter Reskis »Raumjournal für Schweinezyklen« (2017) begrüßt den Besucher mit unzähligen Adaptionen aus der Nachrichten- und Medienwelt, alle mit Bezug zum Finanzwesen, das auch die Allgemeinheit seit 2008 beschäftigt wie kaum ein anderes Thema. Ganze Texte finden sich da, prägnante Sprüche wie »Eine Brieftasche, die Körpertemperatur hat, funktioniert einwandfrei als Petrischale für über 90 Bakterienarten« oder ein Gemälde mit einem Patienten auf dem OP-Tisch. So entsteht ein Netzwerk, das höchst instabil ist und zusammenbricht, sobald ein Faktor wegbricht – ganz so wie wir alle die Verwerfungen an den internationalen Börsen spüren können.

Nicht minder nachdenklich zeigen sich die Arbeiten von Inci Eviner und Julian Röder. Die türkische Künstlerin ist mit zwei Arbeiten vertreten, deren eine »Parliament« (2010) sich auf das EU-Parlamentsgebäude bezieht und in diesem zahlreiche Handlungen ansiedelt. Zwitterwesen graben Tunnel, um in das Gebäude zu gelangen, doch schaffen es im Laufe des Videos nicht, während die Gestalten im Gebäude Reden halten oder Akten durch die Gänge tragen – ein Reigen aus Stereotypen, der in dem starren Gebäude der Macht kaum Entfaltungsmöglichkeiten bietet und so die europäische Idee eines freiheitlich-friedlichen Raumes ad absurdum führt. Der Fotograf Röder hingegen zeigt Bilder aus der Reihe »The Summits«, für die er Gipfeltreffen bereist und die Ereignisse rund um Globalisierungsgegner und Polizisten vor Ort festhält. Zu sehen sind etwa vermummte Demonstranten auf dem für seine beiderseitigen Gewaltexzesse bekannt gewordenen G8-Gipfel, aber auch schlafende Demonstranten in Heiligendamm. Auch hier manifestiert sich eine Realität, die gar nicht so utopisch-optimistisch anmutet, wie man sich das einmal erhofft haben mag.

Mit Christin Lahrs Installation »Macht Geschenke: Das Kapital«, die sich auf ganze zwei Räume verteilt, entdeckt der Besucher Marx wohl am intensivsten. Hier präsentiert die Künstlerin ihre Aktion, bei der sie Geld verschenkt. Genauer gesagt überweist sie seit dem 31. Mai 2009 jeden Tag einen Cent als zweckgebundene Spende auf das Konto der Bundesrepublik Deutschland – zum Abbau der Staatsverschuldung, jedes Jahr 3,65€. Im Betreff jeder Überweisung findet sich der fortlaufende Text aus Karl Marx’ »Kapital«, jeweils 140 Zeichen, sodass in 43 Jahren der komplette erste Band überwiesen sein wird. In Jena zeigt Lahr nun ihre Dokumentation des Vorgangs (sie verzeichnet jede Überweisung mit Text und Seitenangabe für sich), aber auch andere Werke, die in der Auseinandersetzung mit Marx entstanden sind. So entstand aus ihrer Beschäftigung mit Bilanzen die Idee einer Münze, die so kein Münzgraveur herstellen würde: Auf der einen Seite ist »Schuld« graviert, auf der anderen erhebt sich der Begriff »Haben« aus dem Münzbild. Und aufgrund dieses Gewichtsunterschieds fällt sie stets so auf die Seite, dass die »Schuld« die Oberhand behält. Bestandteil jeder Ausstellung, an der die Künstlerin teilnimmt, ist dabei stets der Bürostuhl des jeweiligen Bürgermeisters, der für den Verlauf der Ausstellung in ihren Besitz übergeht. Derzeit gehören ihr die Stühle von Hamburg, Trier und nun auch Jena. Freilich steht der Stuhl an einem kapitalen Schreibtisch, auf dem sich wiederum verschiedene Ausgaben des marx’schen Kapitals befinden.

Das sind aber nicht die einzigen Bezüge zum Vater des Kommunismus: Der Jenaer Künstler Sebastian Jung hat die stadtinterne Diskussion um die Wiederaufstellung der Marxbüste zum Anlass genommen, selbige in einem örtlichen Einkaufszentrum zu platzieren und hier einen Tag zu verbringen. Als Ergebnis präsentiert er 36 Zeichnungen, eine Aufnahme der Büste vor dekorativer Wand und eine Zeitung, in der er seine Erlebnisse während seines Tages im Einkaufszentrum festhält und dort zum Beispiel Karl und Jenny Marx im Café begegnet. In Elodie Pongs Video »After the Empire« (2008) wiederum ist der Ökonom Teil eines Symposiums zahlreicher Figuren, das die großen Fragen des Lebens diskutiert.

Mit den gewählten Arbeiten gelingt es der Kunstsammlung Jena ein breites Spektrum an oft düsteren Visionen der Gegenwart zu zeigen. Man könnte meinen, dass der auf den ersten Blick ein wenig gewollt wirkende Aufhänger Karl Marx dazu führt, dass die Ausstellung inkonsistent wird. Dem ist aber glücklicherweise nicht so; stattdessen versammelt sie kritische und nachdenkliche künstlerische Positionen, die einen Besuch absolut wert sind.

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