Ausstellungsbesprechungen

Eberhard Havekost – Retina. Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main, bis 14. 3. 2010

Man muss es sich selbst einflüstern: Eberhard Havekost ist ein gegenständlich, figurativ arbeitender Maler. Dass er in der Schirn ganz anders auftritt, nämlich als rein abstrakter Künstler, ist nur der vordergründigen Wahrnehmung geschuldet. Denn ganz im Gegenteil, hier ist er dem Gegenstand regelrecht und bildlich gesprochen auf die Pelle gerückt und damit ins Dauer-Spannungsfeld zwischen Malerei und Fotografie getreten. Unser Autor Günter Baumann hat sich die Ausstellung für PKG genauer angesehen.

Stellen wir uns vor, wir nähern uns einem beliebigen Motiv, sagen wir, zum Beispiel Schnappschüssen aus Zeitschriften, und nähern uns ihnen bis die Nase draufstößt. Was sehen wir? Verschwimmende Konturen, nichts weiter, oder vielmehr: immer noch dasselbe Motiv, das vom Gehirn nur nicht mehr als solches erkannt wird. Vollzieht man den Weg vom Bild zum Nicht-Bild nun nicht physisch, kann man ihm auch auf technischem Wege nachgehen. Extrem unscharfe Fotos verlieren sich irgendwann hinter dem Schleier der wiedergegebenen Wirklichkeit. Havekost verwendet Digitalaufnahmen auf dem Flachbildschirm, aus diesem Grund nennt er eine der aktuellen Serien »Flatscreen«. Offenbar ist dort etwas zu sehen, und lakonisch könnte man dies konkretisieren: und zwar nichts!

In der Welt der Pixel und großen Auflösungen steckt freilich der Teufel im Detail, das bis zur Entmaterialisierung manipuliert werden kann. Wer vermag beim heutigen Stand der Technik zu erkennen, welche Bilder der Bearbeitung anheim gefallen sind und welche nicht. Dass es Havekost um derartige blinde Flecken und verfremdende Eventualitäten geht, die interpretatorisch offen sind, ahnt man dann, wenn er es für völlig unerheblich hält, ob der Bildschirmhintergrund real benennbar ist oder nicht. Wichtig ist ihm vielmehr die Erkenntnis, dass sich »Etwas« und »Nichts« als Kehrseite derselben Medaille betrachten lassen. Technische Störungen bei der Datenübermittlung, zufällige Netzhautreizungen (der Ausstellungstitel »Retina« lässt keinen Zweifel daran, dass die Wahrnehmung als biologischer Prozess, als Nervenimpuls gesehen wird), qualitative Fehldeutungen usw.: Was konkret der Künstler dabei sieht oder zu sehen glaubt, will Havekost gar nicht erst thematisieren. Dadurch gibt er den Weg frei, die Frage nach der Wirklichkeit der Malerei und der Fotografie bzw. nach dem seit der Antike erhobenen Vorwurf der Lügenhaftigkeit der Kunst unvoreingenommen zu stellen. Eberhard Havekosts faszinierenden Arbeiten der jüngsten Zeit geben preis, was das Auge mutmaßlich aufnimmt, bevor es die Information an das Gehirn weitergibt – der Rest ist Spekulation.

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