Ausstellungsbesprechungen

Edvard Munch. Der moderne Blick, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, bis 28. Mai 2012

Rätselhaftes vor und hinter der Leinwand bietet der norwegische Maler Edward Munch den Besuchern noch bis Sonntag in Bremen. Die Frankfurter Schirn wirft den Blick auf einen modernen Künstler, der weder dem 19. noch dem 20. Jahrhundert adäquat zugeordnet werden kann. Lotus Brinkmann hat sich die Schau angesehen und klärt auf.

»Um die wichtigste Frage vorwegzunehmen, ›Der Schrei‹ ist nicht zu sehen«, so beginnt Angela Lampe, eine der beiden Kuratoren der Ausstellung, ihre Einführung. So zeigt die Schirn keine klassische Retrospektive des norwegischen Malers, sondern bleibt ihrem Ansatz treu, einen Blickwinkel zu bieten, durch den neue Aspekte auf scheinbar Bekanntes eröffnet werden soll. Man möchte Munch nicht als Künstler der Moderne, sondern als modernen Künstler betrachten. Dessen Modernität manifestiert sich in seiner Auseinandersetzung mit den zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch relativ neuen Medien Fotografie und Film, aber auch weiteren technischen Innovationen wie Röntgenbildern. Zu sehen ist ein kreativer Geist auf der Höhe der ästhetischen Debatten seiner Zeit, der sich in seinem Schaffen beständig im Dialog mit den neuesten Darstellungsformen befand.

So beinhaltet die Schau neben malerischen und grafischen Arbeiten auch rund fünf Minuten Filmmaterial sowie zahlreiche Fotografien Munchs, die hier nicht dokumentarisch gesehen, sondern als eigenständige Kunstwerke verstanden werden wollen. Der Fokus der Ausstellung liegt dabei auf dem „Spätwerk“ Munchs ab 1900, wobei dieses mehr als die Hälfte der Schaffensphase des 1863 geborenen und 1944 verstorbenen ausmacht.

Doch auch wenn der Schrei aus konservatorischen und Sicherheitsgründen nicht mehr reist, so brauchen Besucher doch nicht auf Klassiker des Munchschen Œuvres, wie beispielsweise »Mädchen auf der Brücke« oder »Vampir« zu verzichten. Denn der Norweger hat viele seiner Motive im Laufe seines Lebens wiederholt aufgegriffen, variiert und in andere Medien überführt. Dieser zweite Hauptaspekt für die Charakterisierung Munchs als modernen Maler wird direkt zu Beginn der insgesamt zehn Themenkomplexe umfassenden Ausstellung präsentiert. Die Reproduzierung eines Kunstwerks gehört nach Meinung der Macher zu den Konzepten, die für die Kunst des 20. Jahrhunderts grundlegend wurden, des Weiteren die Stellung des Betrachters sowie die autobiografische Auseinandersetzung.

Letzterem sind insbesondere der Abschluss der Ausstellung mit verschiedenen Selbstporträts in Öl, die zwischen 1909 und seinem Tod entstanden sind, sowie die beiden fotografischen Kabinette gewidmet. Das erste umfasst Aufnahmen, die überwiegend im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gemacht wurden – Munch erwarb seine Kamera 1902. Inhaltlich setzte er sich unter anderem mit seinem durch einen Nervenzusammenbruch bedingten Klinikaufenthalt auseinander. Dabei experimentierte er vor allem mit Doppel- und Langzeitbelichtungen. Bei den Bildern, die ihn vor seinen Gemälden zeigen, scheint er auf Grund der durch die langen Belichtungszeiten bedingten Transparenzeffekte mit seinen Arbeiten zu verschmelzen. Der zweite Raum zeigt Serien vom Beginn der 30er Jahre. Als Erster, soweit bekannt, fotografierte Munch sich selbst, indem er die Kamera mit ausgestrecktem Arm vor sich hielt und den Auslöser drückte.

Nur in Ausnahmen verwendete Munch seine Fotos als Vorlagen für seine Gemälde, setzte diese aber niemals als direkte Kopie um. Trotzdem fanden Bildästhetiken und Kompositionsformen, die durch Foto und Film beeinflusst waren, Eingang in seine Werke. Diese zeigen sich beispielsweise durch Figuren, die durch den Bildrand abgeschnitten werden, als handele es sich um einen Schnappschuss, oder er kontrastiert schwarze mit weißen Personen, eine Technik, die im frühen Film sehr verbreitet war. Doch werden Munchs »Pferde im Galopp«, ein rasant dem vorderen Bildrand zustrebendes Pferdefuhrwerk, den zeitgenössischen Betrachter wohl kaum mit dem selben Schrecken erfüllen wie der in den Bahnhof einfahrende Zug der Gebrüder Lumière— erstaunen uns heutzutage doch nicht mal mehr Filme in 3D. Wer Augen hat zu sehen, kann sich aber dennoch von den ausdrucksstarken Bildern und einem neuen Blickwinkel darauf verzaubern lassen.

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