Porträts

Ein Gespräch mit der Künstlerin Anne Seibold

Bei einem Besuch ihrer saarländischen Heimat traf ich Anne Seibold am 27. Juni 2008 in ihrem ehemaligen Heimatort Bexbach, wobei ich von den vielfältigen, »Phantasie übersprudelnden« Arbeiten, die mir die junge Künstlerin zeigte, tief beeindruckt wurde.

Anne Seibold, Selbstporträt © Anne Seibold Anne Seibold, Pink Flower, Fotografie  © Anne Seibold Anne Seibold, Gulli, Fotografie  © Anne Seibold Anne Seibold, Airline, Fotografie  © Anne Seibold
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Neben fotografischen Werken, Collagen, Frottagen und Mischtechniken gewährte mir Anne Seibold außerdem Einblick in ihre frühen filigranen Goldschmiedearbeiten, sowie die aktuellen farbenfrohen Maquetten, die demnächst als größere Plastiken umgesetzt werden. Voller Ideen und mit großer Begeisterung berichtete mir die Künstlerin von ihren ersten künstlerischen Gehversuchen, der spannenden Studienzeit in Heidelberg und ihrem ganz persönlichen Zugang zur Kunst. 

Biografie

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Anne Seibold, Selbstporträt
© Anne Seibold

Anne Seibold wurde 1983 in Aalen geboren. Nach dem Abitur 2002 und einer parallel dazu abgeschlossenen Ausbildung als Fleischerin begann sie ihr Studium an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg in den Fächern Mensch und Umwelt, Deutsch und Kunst. 2006 machte sie erfolgreich ihren Abschluss. Während der Studienzeit nahm sie an verschiedenen Fachtagungen teil und war Tutorin im Bereich Textilwissenschaften. Seit Anne Seibold das Referendariat an der Gregor-Mendel-Realschule in Heidelberg in diesem Jahr beendet hat, ist sie Lehrerin an einer katholischen Privatschule in Heilbronn.

Ihre erste große Ausstellung hatte Anne Seibold gemeinsam mit Peter Köcher in »Wir spielen miteinander«, die von Februar bis April 2007 im temporären Schauraum in Bexbach gezeigt wurde. Von Mai bis Juli 2007 folgte die Präsentation »Solodebüt« in der CreaArtGalerie Weiß in Mannheim. Mit der Einzelausstellung »Lebenslinien«, die von Oktober bis Dezember 2007 im Martin-Niemöller-Haus in Frankenholz zu sehen war, kehrte die Künstlerin in ihre saarländische Heimat zurück. Von November bis Dezember stellte sie gemeinsam mit anderen Homburger KünstlerInnen in der groß angelegten Jahresausstellung »Mutationen« im Saalbau Homburg aus.

Bereits während des Studiums veröffentlichte Anne Seibold Fachaufsätze in verschiedenen Publikationsorganen. Zuletzt erschien ein Beitrag Seibolds in dem von Karin Mann herausgegebenen Buch »Mode und Kunst. Grenzgänge aus mode- und textilwissenschaftlicher Sicht«. 

»Kunst bedeutet für mich, sich von Zwängen zu befreien«

Paul: Ihre Arbeiten wurden in verschiedenen Galerien im Saarland, aber auch in Mannheim und Heidelberg gezeigt und so konnten Sie bereits während der Studienzeit viele Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln. Doch wie wurde Ihr Interesse an Kunst überhaupt geweckt und wer hat Sie in Ihren beginnenden künstlerischen Bestrebungen geprägt und bestärkt?

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Seibold: Seit ich denken kann spielt Kunst in meinem Leben eine Rolle. Seien es nun meine Eltern, die sich für Kunst, Design und moderne Architektur interessieren und dieses Interesse an mich weiter gaben oder meine Großeltern, die Kunstobjekte sammeln und mich oft zu Ausstellungen oder in Kirchen, Klöster, Burgen und Schlösser mitnahmen... Was mich besonders an der Kunst faszinierte, war die handwerkliche Komponente. Ich selbst stamme aus einer Familie, die im Metzgerhandwerk tätig ist und dieses bereits seit mehreren Generationen fortführt. Das Material erfahren und daraus Neues zu schaffen, dies liegt wohl jedem Handwerk zu Grunde. Neben vielfältigen Erfahrungen, die ich im familiären Betrieb sammeln konnte waren es vor allem die sehr praxisorientierten Jahre meiner Schulzeit und verschiedenste Praktika, unter anderem in einer Goldschmiede, die mir im Nachhinein das HAND-werk begreiflich machten. Ich bin eben jemand, die mit den Händen gerne etwas hervorbringt - aktiv handelt und zupackt. [Bei diesen Worten muss Anne Seibold lachen, fährt aber mit ernsten Worten fort...] Was mich während des Studiums ungemein fasziniert hat war, dass viele meiner Professoren in Heidelberg wahnsinnig anregend über Kunst sprechen konnten. Als Studentin genoss ich es, die vielen multimedialen Präsentationen, die gespickt waren mit Bildern und Fachwissen, einfach aufzusaugen – die große Welt der Kunst aus der fachwissenschaftlichen Sicht kennen zu lernen. KünstlerInnen wie Niki de Saint-Phalle, Mimo Rotella und Hanne Darboven begeistern und bezaubern mich durch ihre klaren, künstlerischen Vorstellungen, ihr unglaubliches Potential an Kreativität und ihren Mut, mit der eigenen Kunst die Welt festzuhalten und gleichzeitig zu verändern.

Paul: War das Studium somit ein roter Faden für das eigene künstlerische Wirken?

Seibold: Ja, beispielsweise war das Fach Textilwissenschaft für mich ein wichtiger Wegweiser, der mir andere Facetten der Kunst aufzeigte. Hier verbanden sich Kunsttheorien mit der Alltagswelt. Wie stark Künstler und Kunstströmungen ganze Epochen beeinflussten, ist für mich ungemein faszinierend. Gerade der Dialog zwischen Kunst und Mode ist ein sehr spannendes Gebiet. Dass Modedesigner zu Beginn des vergangen Jahrhunderts sich von der Kunst der Surrealisten inspirieren ließen und sogar bei Modeschauen zusammen gearbeitet haben, ist wohl nur den wenigsten Leuten bekannt. In meinem Artikel »Art goes fashion. Surrealismus«, der vor kurzem in dem Buch »Mode und Kunst« erschienen ist, habe ich versucht, Parallelen zwischen Mode und Surrealismus aufzuzeigen. Es ist eine intensive Spuren- und Inspirationssuche, welche die enge Verwobenheit von Mode und Kunst aufzeigt.

Paul: Wie aber gehen Sie an eine Arbeit heran: Gibt es zunächst eine noch verschwommene Idee, die sich erst im Arbeitsprozess konkretisiert oder haben Sie von Anfang an eine genaue Vorstellung dessen, was als Endprodukt entstehen soll? Welche Rolle spielen dabei Spontaneität und Emotionalität?

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Anne Seibold, Pink Flower, Fotografie
© Anne Seibold


Seibold: Es gibt zwei Spuren bei mir: Einerseits finde ich vielfältige Inspirationsquellen im Alltag, indem ich mit offenen, wachen Augen durch die Welt gehe, beobachte und sammle – sowohl mit Hilfe meiner Kamera als auch reale Gegenstände. Andererseits stelle ich mich selbst immer wieder vor verschiedene Aufgaben, beispielsweise Blumen meiner näheren Umgebung im Bild einzufangen, durch eine Straße zu gehen und alle Fenster zu fotografieren oder ich habe auch mal ein Video gemacht, bei dem ich nachts die Fenster eines Bürogebäudes aufgenommen habe, wo Menschen arbeiten, rein- und rausgehen. Gerade was die Spontaneität anbelangt, ist die (Foto-) Kamera für mich das perfekte Medium, weil ich mit ihr alles in Windeseile aufnehmen kann und noch dazu in großen Mengen, so dass ich mich am Ende entscheiden kann: »Das find ich gut, das gehört zu einer Bildreihe, einem Thema, einer Aufgabe – oder eben nicht.« Es sind diese zwei miteinander verbundenen Seiten, die bei mir letztendlich zum Ziel führen – zielgerichtetes Arbeiten und spontane Eindrücke beziehungsweise Experimente!

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Paul: In Ausstellungen zeigen Sie immer wieder eine überraschend neue Seite Ihrer künstlerischen Tätigkeit, wobei Sie zwischen Techniken wie Fotografie, Frottage, Zeichnung, Mischtechnik und Collage changieren. Ist es die Freude am Entdecken, am Ausreizen der verschiedenen Materialien oder interessiert Sie der unterschiedliche Zugang zur Realität, die ja besonders in der Fotografie ein – seit deren Erfindung – spannungsgeladenes Thema darstellt?

Seibold: Ich kann mich wirklich nicht auf eine Technik festlegen! [Lacht.] Ich versuche alles auszuprobieren und so würde ich auch jeder Zeit gerne wieder in der Goldschmiede arbeiten, wenn ich die Zeit dazu fände... Der handwerkliche Umgang mit jeder Technik stellt mich immer wieder vor neue Anforderungen und es reizt mich, meinen künstlerischen Ausdruck auf unterschiedlichste Weisen zu erproben, etwa wenn ich Materialien und Arbeitsweisen miteinander kombiniere.

Paul: Würden Sie also heute ausschließen, sich später einmal auf eine Technik zu spezialisieren?

Seibold: Ich glaube momentan ist mein Spektrum noch überschaubar, aber es spielt bei mir auch die Stimmung eine sehr wichtige Rolle, z.B. die Stimmung für »Collagen« – das würde nicht immer funktionieren. Aber wenn ich erst einmal in einer solchen Stimmung bin, dann mit Leib und Seele! Ich suche dann meine Umgebung penibel auf Dinge ab, die in meine Arbeit Eingang finden könnten. Und so lösen sich bei mir die Techniken mit dem unterschiedlichen Befinden ab – auf Collage kann Malerei, auf Malerei Fotografie folgen usw.

Paul: Bleiben wir vielleicht einmal bei den Fotoarbeiten: Gibt es hier für Sie ein Prinzip, nach dem Sie vorgehen? Was fasziniert Sie am meisten, wenn Sie mit diesem Medium arbeiten?

Seibold: Ich suche in meinen Fotografien Strukturen und versuche haptische Spuren festzuhalten. So habe ich beispielsweise viele Experimente mit Kornfeldern gemacht, weil diese aus der Nähe betrachtet eine filzartige Oberfläche besitzen, wenn man aber über das ganze Kornfeld blickt, dann ist das wie ein zartes Meer von Grün oder Gelb.

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Anne Seibold, Airline, Fotografie
© Anne Seibold

Auch der Wechsel des Blickwinkels, z.B. aus einem Flugzeug heraus zu fotografieren, stellt sich für mich als eine äußerst spannende Sache heraus und gleichzeitig ist es ein Überwinden der vermeintlichen Grenzen.

Im Allgemeinen finde ich es einfach toll, wenn man Kunst ertastend erfahren kann! Und auch bei meinen Fotoarbeiten kann man – etwa bei der Serie »Lebenslinie« – beobachten, wie aufgebrochen, porös oder rau die Erde ist. Daneben finde ich aber auch die klaren Strukturen von Architekturen spannend, die ich dann in meinen Fotografien in streng geordneten Formen einzufangen versuche.

Paul: Könnte man sagen, dass Ihre bisweilen fabulierfreudigen Collagen – ich denke da gerade an diese »Medusa« in der Ausstellung »Mutationen« – so eine Art Gegenpol zu den klar strukturierten Fotografien bilden? Streben Sie manchmal vielleicht sogar bewusst diese Gegensätzlichkeiten an?

Seibold: Collage macht bei mir wirklich Meditation aus, etwa als ich an der Collage »Civitella« in Italien gearbeitet habe. Dabei bin ich morgens aufgestanden und wenn es mir danach war, bin ich einfach ins Atelier und habe mich hingesetzt, Musik im Hintergrund laufen lassen und angefangen zu arbeiten. Zunächst hatte ich aber die Gegend erkundet, um einen Eindruck zu gewinnen, wo man sich eigentlich befindet, wie die Atmosphäre ist. Ich habe Dinge gesammelt, um Stücke dieser vermeintlich fremden Welt Italiens, die »außerhalb« liegt, mit ins Atelier nehmen zu können.

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Paul: Also ging es Ihnen um das Einschmelzen von Wirklichkeit in der Collage?

Seibold: Ja, richtig. Und eigentlich hatte ich mir bei diesem Studienaufenthalt vorgenommen zu malen und keine Collagen zu fertigen... Collage lebt bei mir einfach davon, dass ich frei sein kann, denn es gibt niemanden, der mir Vorgaben macht, dass ich diesen oder jenen Formatrahmen einhalten muss, weshalb es bei meinen Collagen meist auch keine Rahmen gibt – die Collage muss für sich selbst leben!

Paul: Sie sprachen vorhin im Bezug auf Ihre Collagen von »Meditation«. Wie weit reicht diese kontemplative Versenkung, sehen Sie in Ihrer Arbeit möglicherweise auch eine Verbindung zum eigenen Glauben?

Seibold: Ja, unbedingt! In der Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt finden sich für mich immer wieder Bindeglieder zum Glauben. Meditation oder Versenkung in eine Sache sind dabei genau so wichtig, wie mit offenen Augen und einem wachen Geist seine Umwelt aufzunehmen.

Paul: Gibt es – neben diesem sehr betont emotionalen Arbeiten – konkrete Vorbilder für Ihre Arbeiten? Oder haben Sie sich – vielleicht auch während des Studiums – mit einem Künstler oder einer bestimmten Kunstströmungen intensiver auseinandergesetzt?

Seibold: Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich »Fan« von einem bestimmten Künstler bin, sondern ich informiere mich, beispielsweise durch Fachzeitschriften, breit gefächert über das aktuelle Kunstgeschehen. Auch als Lehrerin habe ich den Anspruch, Unkonventionelles in den Unterricht einzubinden, wie etwa Jonathan Meese, der u.a. auch ein Märchenbuch veröffentlicht hat. Künstler und ihre Geschichten begeistern mich, so nutze ich Filme, Zeitschriften, Biografien und auch persönliche Kontakte, um mehr zu erfahren. Bei Niki de Saint-Phalle oder Tamara de Lempika war es so, dass ich ihre Biografien gelesen hatte, mir dann mehrere Kunstbücher dazu kaufte und mich auf diese Weise in ihr Leben »eingelesen« und »eingefühlt« habe. Diese Eindrücke von einem Menschen/einem Künstler verbleiben. Einzige Voraussetzung: Ich muss deren Werk spannend finden! [Die Künstlerin lacht.]

Paul: Gibt es solche Werkeindrücke auch im Bezug auf Ihre Collagen?

Seibold: Ja! Mimo Rotella, der Anfang der 50er Jahre den ästhetischen Reiz von Filmplakaten zu entdecken begann – er hat sie abgerissen und in seinen Collagen eingearbeitet. Ihm ging es eben auch darum, ein Stück Wirklichkeit, ein Stück Alltag mit ins Bild zu nehmen. Er hat viele Collagen gemacht und ich finde es eine reizvolle Arbeit, den Alltag auf diese Weise festzuhalten, denn Plakate - wie die gesamte Medienwelt - sind sehr schnelllebig und vergänglich. Sie halten Leben, Situationen, Menschen im Bild fest. Das reizt mich an der Arbeit Rotellas und genau diese Integration des persönlichen, alltäglichen Erlebens nehme ich mit in meine Collagen hinein. Jedes Kunstwerk hat eben seine ganz eigene Geschichte!

Paul: Könnten Sie mir Arbeiten zeigen, die Sie selbst als markante Einschnitte in Ihrem Schaffen empfinden? Vielleicht sind es Werke, die sich von allem bis dato Entstandenen radikal abkehren und dass gerade durch diesen Antagonismus die künstlerische Weiterentwicklung forciert wurde...

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Seibold: Es gibt in meinem Werk stets einen roten Faden, wo ich mich immer wieder selber sehe, ob das nun eine Fotografie ist, eine Momentaufnahme irgendeines Gegenstandes oder eines einfach dahingeworfenen Objektes – es sind Erinnerungsstücke, die mich inspirieren und die absolut unabhängig von irgendwelchen Kunstströmungen sind.

Paul: Heißt das, dass in Ihrer Arbeit »Brüche« und kontinuierlich fortlaufende »Spuren« nebeneinander bestehen?

Seibold: Auf jeden Fall! Es ist aber einfach von der Stimmung abhängig, was ich gerade entwerfe. An manchen Tagen geht es mir richtig gut und ich laufe mit meiner Kamera stundenlang herum und suche nach passenden Objekten und an anderen Tagen, ziehe ich mich lieber mit einer Tasse Tee und einer kleinen Bleistiftzeichnung zurück... Dennoch bleibt ein roter Faden das Verbindungselement meiner Arbeit.

Paul: Abschließend noch eine Frage: Was bedeutet für Sie Kunst?

Seibold: Für mich ist Kunst manchmal wie ein Kind – man ist mit ihr verbunden, mit ganzem Herz dabei! Kunst bedeutet für mich, sich von Zwängen zu befreien und sich die Freiheit zu nehmen, das zu tun, worauf man gerade Lust hat. Goethe verweist in einem kurzen Vers darauf, dass man Kindern, wenn sie klein sind, Wurzeln geben soll, eben diese Wurzeln habe ich in meiner Familie, meinem Glauben, meiner Schul- und Studienzeit, aber auch darüber hinaus im Umgang mit vielen lieben Menschen erfahren dürfen und wenn diese Kinder dann groß sind, so soll man ihnen [den Kindern] Flügel schenken – das ist mit der Kunst wohl ganz genauso...

Paul: Das ist wirklich ein sehr schöner Schlusssatz und in diesem Sinne möchte ich mich bei Ihnen für die Einblicke in Ihre Arbeit und dieses spannende Gespräch bedanken!

Sämtliche Abbildungen und Fotos wurden von Anne Seibold zur Veröffentlichung im Portal Kunstgeschichte freigegeben.

Publikationsbeitrag von Anne Seibold in:

Mann, Karin (Hrsg.): Mode und Kunst. Grenzgänge aus mode- und textilwissenschaftlicher Sicht, Schneider Verlag, Hohengehren 2008.

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