Ein kleiner Streifzug durch Galerien in Stuttgart April/Mai 2010

Günter Baumann hat sich diesen Monat für PKG in der Stuttgarter Galerienszene umgeschaut und seine Höhepunkte für Sie zusammengestellt.

Kunst in Stuttgart
Kunst in Stuttgart

Die Galerienszene in Stuttgart ist lebhaft wie eh und je. Dass man hier markante Zeichen setzen kann, zeigt kaum einer so deutlich wie Rainer Wehr, der dieses Jahr das 30jährige Bestehen seiner Galerie feiert: mit einer bis an die Wandkanten gefüllte Präsentation des Galerieprogramms, das sich über die Jahrzehnte durchaus gewandelt hat. Die »Petersburger Hängung« im Titel ist freilich eine ironische Wendung (was einzelne Besucher am Eröffnungsabend nicht wahrgenommen haben, die die mehr oder weniger großen Zwischenräume an der Wand monierten): Wo die Fürsten einst mit ihrem Besitz protzten ohne Rücksicht auf inhaltliche Plausibilität, nimmt sich der rührige Galerist nur sein Jubiläum zum Anlass, um möglichst viele seiner künstlerischen Weggefährten zu zeigen. Die einen oder anderen Namen überraschen dabei, so der steinalte Karl-Otto Götz, den man heute gar nicht mehr als Wehr-Künstler kennt, oder den Galeristen selbst, der seine Karriere als Kunststudent in Düsseldorf u.a. bei Joseph Beuys (und Götz) begann und später die Seiten wechselte. Als beidseits agierender Insider nimmt Wehr seine oftmals gerade aus der Akademie »entlassenen« Künstler(innen) ernst genug, um ihnen die Zukunft nicht allzu rosig zu malen, zugleich ist er einer der wackersten Streiter für die Kunst, der unermüdlich durch die Kunsteinrichtungen streift, um die Talente der Zukunft zu finden: Sein größter Erfolg ist sicher Tim Eitel, der seine ersten Ausstellungen in der Galerie Wehr hatte. »Zur Statistik« listet er nun 153 Ausstellungen mit 174 Künstlern auf – aktuell vertritt er nach eigener Auskunft noch 27 davon. Bei seiner aktuellen »Revue« sind u.a. dabei: Jens Braun, Holger Bunk, Peter Dreher, Jörg Eberhard, Emel Geris, Peter Holl, Andreas Ilg, Julius Kaesdorf und Romane Holderried-Kaesdorf, Michael Munding, Thomas Raschke, Rosalie, Bianca Schelling.

Auch Hans Pfrommer gehört zu den Namen, die man aus dem Wehr-Programm kennt. Seine schrullig-skurrilen Szenen aus dem »vertrackten« Leben sind – zusammen mit den akribisch-jazzigen Zeichungen Matthias Beckmanns – in der Galerie Merkle zu sehen. Ganz unterschiedlich in Form und Inhalt, zeigen sich die beiden doch in trauter Freundschaft: Beckmann taucht in Pfrommers Bildern auf (»Superbeckmann rettet den Nahverkehr«), ebenso zeigt Beckmann seinen Kollegen in diversen Ateliersituationen. Inspiriert sind beide vom Trickfilm, wobei sich dies bei Pfrommer in Karikaturen niederschlägt, deren erzählerischer Witz ziemlich tief reicht und vor kafkaesker Komik nicht Halt macht, wenn etwa ein Zug aus dem Mauseloch braust. Sympathisch ist auch die spöttische Haltung, die weniger auf Kosten anderer geht (Superbeckmann wirds mit Fassung tragen) als auf die eigene Nase zielt. Bei Beckmann äußert sich dies in paneelartigen Bildern, meist in Serien entwickelt, die tatsächlich aktuell zu einem Animationsfilm führten, der anlässlich des 17. Internationalen Trickfilmfestivals in Stuttgart (4.-9. Mai) grade recht kommt. Sein hintergründiger Humor lugt immer wieder hinter den bevorzugt nüchtern linearisierten Interieurs hervor. Gleich nebenan im Galerienhaus wartet Jörg Mandernach, präsentiert von der Galerie Naumann, mit Bildern auf, die farbiger, mutiger und erfindungsreicher sind denn je. »Von vielen Stimmen bewohnt« heißt die Schau. Diese werden laut, wenn man sich die in Enkaustik-Technik geschaffenen Bilder etwa aus der Romy-Schneider-Serie betrachtet: Die Schauspiel-Ikone, die nie nur auf ihr Sissi-Image reduziert werden wollte, wird in ihrem Rollenverständnis problematisiert; zugleich wird die Kunst selbst zum Thema, wenn Romy sich selbst (be)malt, wie es Mandernach illusionistisch inszeniert. In einem anderen Großformat spielt Mandernach mit der Materialität des Wachses, indem er es mit glutschweren Rottönen unterlegt, die die Enkaustik zumindest in Gedanken weich werden lässt. Weiter im Tritt geht es zur dritten Station im Galerienhaus: Die Galerie 14-1 hat aktuell drei Künstler auf dem Parkett und an den Wänden: Katja Davar hat auch Videos mitgebracht in Form von regelrecht bewegten Zeichnungen, die Wandarbeiten tragen die Linie in die Malerei bzw. das Aquarell hinein. Ihr Raum überspannt elegant die Virtualität des Bildschirms und den Illusionismus der klassischen Gattungen. Ihr kreatives Netzwerk tritt in Nachbarschaft mit den japanisch-schwäbischen, vulgo scherzhaften Verstrickungen von Ulrike Flaig, die rhythmisch Wort, Titel und Bild in Szene setzen. Als dritter im Bunde ent- und verpuppt sich Gereon Krebber, der mit seinen banal scheinenden Objekten aus Frischhaltefolie und Styropor oder Gelatine und Wachs mit der Wahrnehmung und Wahrnehmbarkeit präsenter, aber eben unscheinbarer Materialien umgeht.

Mysteriös im feinsten Sinne geht es bei Wolfgang Gäfgen zu, der mit seinen »Dalmatinischen Himmeln und anderen Mysterien«, wie der Titel verspricht, wie man in der Galerie Anja Rumig sehen kann Mysteriös im feinsten Sinn geht es bei Wolfgang Gäfgen zu, der in der Galerie Anja Rumig nicht nur »Dalmatinische Himmel« verspricht, wie der Titel nahelegt, sondern auch »andere Mysterien« zeigt, die dem alltäglichen Erdenleben entnommen sind. Wegen der riesigen Formate staunt man nicht nur über die technische Qualität der Holzschnitte. Auch die Zeichnungen ziehen den Betrachter in den Bann: Sind hier rein abstrakte Formen abgebildet, die umspielt werden von girlandenlangen, vorzugsweise roten Linienbändern? Oder kippt das Motiv hier und da aus der Abstraktion um in eine figurative Szene? Es tauchen immer wiederkehrende Bildelemente wie Schalen oder Gefäße auf, die jeder Perspektive ein Schnippchen schlagen, sowie aufgefädelte Perlen, die mal zeichnerisch akkurat dokumentiert sind, mal flüchtig dahinskizziert oder gar nur vage angedeutet werden.

Ein Höhepunkt der Saison könnte Till Augustin werden, der feurerverzinkte und patinierte Stahlseil-Objekte aus der Serie »Der gordische Knoten« in der Galerie Harthan präsentiert. Seine sogenannten Blockdiagramme bestehen aus einem Geflecht von Seilen, das an den Schnittkanten, welche ausgerechnet etwas von filigranen Blumenornamenten an sich haben, als massige Stahlskulptur erkennbar wird. Der autodidaktische Bildhauer versteht es meisterhaft und technisch brillant, die Leichtigkeit des geschwungenen Körpers und die Schwere des Materials in Einklang zu bringen. Die Eckpunkte der Ausstellung sind zum einen eine frühere Verbundglas-Arbeit, bei der Augustin durch partielle Patinierung eine nahezu sakral überhöhte, ins Transparent-Transzendente geöffnete und zugleich materiell verschlossene Wirkung erzielt, zum anderen mit einer ganz jungen Plastik von 2010, welche die titelgebende »Verstrickung« aufgelockerter als zuvor aus dem Blockhaften heraustreten lässt: Doch täuscht die Lockerheit angesichts der Ausmaße von 145 x 90 x 90 auch hier über das mutmaßliche Gewicht und die kontemplative Tiefe hinweg. Eine zauberhafte Aura verbreiten Augustins Papierarbeiten, die als fragile Prägearbeiten das Stahlseilmotiv wieder erkennen lassen – dabei ist es faszinierend zu beobachten, wie die senkrecht rhythmisierten Arbeiten, in die Waagrechte gedreht, Landschaftsassoziationen hervorrufen, die an Caspar David Friedrich erinnern und sich im nächsten Augenblick wieder in ihre schwarzen, mitunter grau und weiß aufgehellten Abstraktionen zurückziehen oder besser: sich selbst finden.

Damit ist freilich die Galerienszene noch lange nicht erschöpft, wie ein paar Schlaglichter am Rande zeigen. In der Galerie Hollenbach startet in Kürze eine sehr beachtliche Ausstellung: Mit verspielten Collagen und Zeichnungen, die dem Menschen und seinen Handlungsweisen auf der Spur sind, schafft Käthe Schönle hinreißende Szenerien, die vor einer hintergründigen Ironie eine melancholische Heiterkeit ausstrahlen. Eine Brücke zu den farbig lackierten Cortenstahl-Plastiken von Jörg Bach, denen er in jüngster Zeit polierte Edelstahlarbeiten an die Seite stellt, schlägt sie mit malerisch getönten Blättern. – Ein guter Stern steht über der Ausstellung im KunstBezirk: So theoretisch der Titel »urbane visionen stuttgart« auch anmutet – selten erreicht eine Schau eine solche Stimmigkeit bei so vielfältigen Positionen. Rund 40 Künstler(innen) wurden ausgewählt, die das Thema unter den Aspekten Umwelt, Mobilität, privater und öffentlicher Raum, Lebensqualität über alle Medien und Gattungen angepackt haben, u.a. von der Fotokünstlerin Eva Schmeckenbecher. Der Besucher landet eingangs sanft auf einem Pistenteppich von Tae-kyun Kim, um kreuz und quer die gedanken-, lust- und phantasievollen Achsen Flugzeug/Bahn und Auto/Galaxie zu überbrücken. – Und nicht zuletzt lohnt ein Besuch in der Galerie Dengler und Dengler wegen seiner Ausstellung mit Bildern von Joachim Hiller. Der Künstler sieht aus wie der Sänger George Moustaki in seinen besten Zeiten, ist aber ein waschechter Berliner – und er malt seit 40 Jahren an einem unermüdlich wachsenden Werk. Dabei hängte der einstige Werbegrafiker erst mit Mitte 30 seinen Job an den Nagel, um sich seiner Leidenschaft zu widmen. In der Öffentlichkeit ist der 77jährige allerdings ein Jungkünstler, dessen kräftig bunte Gemälde mit scheinbar reliefartiger Oberfläche erst seit wenigen Jahren bekannt sind.

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