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Ein Kommentar zur Biennale in Venedig unter besonderer Berücksichtigung von Tintoretto, Bazon Brock und Blow Ups

Als internationale Kunstausstellung das Flair der großen, aber vergangenen Weltausstellungen in Paris und London weitertragend, ist die 54. Biennale in Venedig schließlich auch an ihre Grenzen gestoßen. Achim Preiß über Qualitätsverfall und Inhaltslosigkeit in der zeitgenössischen Kunst.

Bazon Brocks Geburtstag fiel 2011 zusammen mit der Eröffnung der 54. Biennale und wurde daher in Venedig gefeiert. Der Jubilar führte seine Gäste einen ganzen, anstrengenden Tag durch die Altstadt und die wesentliche Stationen der Kunstgeschichte Venedigs, die Geburtstagsgesellschaft revanchierte sich mit künstlerischen und ästhetischen Ständchen. Bazon Brock sei auch an dieser Stelle für die gelungenen, lehr- und möglicherweise auch folgenreichen Tage ganz herzlich und nochmals gedankt.

Die Brocksche Führung endete in der Scuola Grande di S. Rocco, also in dem berühmten Ausstattungskunstwerk Tintorettos und seiner Werkstatt. Was dem Autor dieser Zeilen vorübergehend das Aufnahmevermögen lähmte, war das ganz exotische Erlebnis einer Zusammenkunft hochqualifizierter menschlicher Arbeit, wie sie in dieser Dichte heute, in den Räumen der Gegenwart nicht mehr zu finden ist. Diese in den Bodenmosaiken, in den Möbeln, Schnitzwerken, Skulpturen, Leuchtern, Rahmen und Bildern vergegenständlichte Mühe und Arbeitszeit übt abgesehen von den konzeptionellen ästhetischen Investitionen schon alleine eine Wirkung auf die Betrachtenden aus, die den sterilen maschinellen Ausführungen von Räumen und Bildern, wie sie heute üblich sind, völlig abgehen.

Ein Beispiel dafür waren die riesigen Werbeplanen mit haushohen Bildmotiven, so genannte Blow Ups, und Schriftzügen, die manche Veduten Venedigs in eine Art filmische Kulissen düsterer Zukunftsvisionen verwandelten. Diese nur scheinbar teuren und aufwendigen Botschaften waren vor Baugerüste gespannt, die wohl der Restaurierung und Sanierung berühmter Baudenkmale Venedigs dienten, gleich mehrere umstellten zum Beispiel den Markusplatz, und es kann nur ein Schelm sein, wer annimmt, dieses große Beschmieren hätte einen Zusammenhang mit der Biennale. Dabei sind die Blow Ups in kompositorischer Hinsicht nicht schlecht, Produktionen professioneller Werbebüros, aber wertlos, in großer Geschwindigkeit maschinell hergestellt, in allen Medien verbreitet, überall vorhanden, und in Venedig auffallend wertlos durch ihre Monumentalität und den krassen Unterschied zu dem architektonischen Milieu, dessen beste Stücke sie unverschämter Weise auch noch verdecken. Man könnte dieses Phänomen als eine Berlusconisierung der Kultur bezeichnen, wäre da nicht die komplizierte Aussprache.

Ein weiteres Gegenbeispiel zur Scuola Grande offenbarte sich in der Biennale. Obwohl in dem zentralen Pavillon der Biennale drei Tintorettos ausgestellt waren, womit die Kuratorinnen irgendetwas aussagen wollten, was aber nicht sichtbar wurde, gab es in der Zusammenschau keine kulturelle Brücke von der Gegenwart zur Vergangenheit. Das muss ja kein Fehler sein, war aber in diesem Fall nicht einer originellen, experimentierfreudigen Zeitnähe geschuldet, sondern der nahezu vollständigen Abwesenheit von Qualität. Man darf wohl behaupten, dass einführende Kurse zur Kreativförderung an tiefprovinziellen Volkshochschulen nicht imstande gewesen wären, Geringeres hervorzubringen. Pointierter: Nicht Kunst ist auf der Biennale zu sehen, nur ein antiquierter Begriff davon. Eigentlich muss man das Kuratorenteam in Schutz vor den bereits zahlreichen journalistischen Angriffen nehmen, denn die haben diesen Kunstbegriff nicht zu verantworten, sondern eher der akademische Kunstbetrieb, der von seiner neomodernen Stilübereinkunft nicht lassen kann, da er sich dann in der aktuellen Form fast erübrigen würde.

Die Biennale zeigt, dass die Neomoderne die Schlaufe der Nachkriegsmoderne ist und aus der Zeit gefallen, weil alle die gleichförmig wiederholten Formen, Motive und Strategien vor Jahrzehnten aus im weitesten Sinne politischen Kommunikationsabsichten entstanden sind, die sich heute alle erledigt haben. Anders als die Nachkriegsmoderne will die Neomoderne auch nichts mehr erreichen oder verändern, im Gegenteil, nur sich selbst bewahren als autonome Kunstform, für deren Autonomie der Staat garantieren soll. Anders als Christoph Schlingensief, der etwas erreichen und verändern wollte, zielt der deutsche Pavillon in Form einer überaus nervigen Schlingensief-Disco auf die Erfüllung eines autonomen, neomodernen Kunstbegriffs und hat dafür auch den ersten Preis erhalten.

Über das Siechtum und den schlechten Zustand der Neomoderne wurden bereits viele postmoderne Abhandlungen verfasst, selbst auch auf der Biennale einiges an Kritik hervorgebracht, allen voran im italienischen Pavillon, der mit seinem chaotischen Gerümpel aber dennoch keine ernstzunehmende Alternative anbieten konnte, sich vielmehr nahtlos in den Gesamtmurks einreihte. Das heißt also, die Kuratoren der Biennale hatten überhaupt keine Wahl, keine Chance auf Qualität, weil diese unter den Voraussetzungen eines neomodernen Kunstverständnisses nicht mehr zustande kommen kann. Will man die großen Shows der Gegenwartskunst retten, wird man um eine fundamentale Reform des Kunstbegriffs und eine Historisierung des 20. Jahrhunderts nicht herumkommen, wobei sich aber zuvor herausstellen muss, ob die große Show einer anderen, neuen Kunst noch dienlich ist.

Diese Frage drängt sich auf angesichts einer interessanten Beobachtung des Biennale-Publikums. Unter den Eröffnungsgästen waren viele junge Leute, die sich auf Nachfrage auch redlich mühten, der Veranstaltung doch noch etwas Positives abzugewinnen. Manche Zitate erschienen ihnen eben neu. Darüber hinaus boten die Exponate der Biennale eine attraktive Gegenposition zu der Berlusconisierung, zu dem geldgierigen Populismus oder der populistischen Geldgier, die zu einer überaus ostentativen, sich in alle Winkel ausbreitenden Vulgärkultur geführt hat. Gerade das Milieu der Jugendlichen ist stark geprägt von der wirklich modernen Vulgärkultur, die ebenso hemmungslos wie raffiniert mit ihren affektierten Formen alle nur erdenklichen menschlichen Triebe und Sehnsüchte zu mobilisieren versucht, um die Jugend und damit auf die Dauer die ganze Gesellschaft in den Konsumwahnsinn zu treiben. Auf dem Weg in die Souveränität des erwachsenen Lebens gilt es heute, mehr als früher, die Fähigkeit herauszubilden, wegzusehen, wegzuhören, den Sucht- und Triebanreizen zu widerstehen. Es ist daher verständlich, dass ein nach Souveränität strebender Teil der Jugend von der wirkungsarmen Neomoderne angezogen wird, weil sie die Betrachtenden nicht mit Botschaften belästigt. Aber dennoch bleibt der Kontakt mit dieser siechenden Kunst eine Sackgasse, da sie sich nur wiederholen, nicht entwickeln kann.

Vielmehr sollte man verstehen, dass die moderne Vulgärkultur und die akademische Neomoderne sich antithetisch verhalten und als Gegensatz-Paar aufgehoben werden müssen, nicht weil sie sich gegenseitig als obsolet und wertlos ansehen, sondern weil sie beide zu ihrem Ende gekommen sind. Neomoderne hat keine Botschaften mehr und die Vulgärkultur keine Formen, die wirtschaftliche Bedeutung der Biennale für den venezianischen Tourismus offenbart den Zusammenhang und die gemeinsame Verelendung dieser beiden Kulturen.

Auf der nach einer Alternative, einer Synthese, lohnt sich ein abschließender Rückblick auf Tintoretto und auf die Schöpfung von Werten durch menschliche Arbeit, auf die maschinell nicht zu ersetzende Abhängigkeit der Wirkung eines Gegenstandes von der darin vergegenständlichten Arbeit. Primitivität und Inhaltslosigkeit begleiten den technischen Fortschritt, wenn er die Erübrigung der menschlichen Arbeit erzielt, Tintoretto hatte diese Probleme aber nicht. Bazon Brock sei also nochmals gedankt für diese als kunsthistorische Exkursion getarnte Kommentierung der Biennale.

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