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Ein Tropfen für ein Halleluja – Rückblick auf das Treffen von Roman Signer und Hartmut Kaminski in Mainz

Als eine »historische Exkursion und freundschaftliche Wiederbegegnung« war dieser Abend von Thomas D. Trummer angekündigt worden. 50 erwartungsfrohe Besucher fungierten als Publikum und Zeugen für das Zusammentreffen des Künstlers Roman Signer und seines Förderers Hartmut Kaminski Ende Januar in der Mainzer Kunsthalle. Clara Wörsdorfer lässt es noch einmal Revue passieren.

Thomas Trummer hatte die beiden Hauptakteure – den einen aus St. Gallen, den anderen aus Düsseldorf – just in Mainz wieder zusammenführt. Mit der Doppelausstellung »Attila Csörgő/Roman Signer« startet er als der neue künstlerische Leiter der Kunsthalle seine Amtszeit.

Der »Dynamit-MacGyver« (ARTE in einem Beitrag Ende Oktober 2012) Roman Signer schlüpfte für diesen Abend in die Rolle des Anfang der 1970er Jahre noch unbeachteten und die große Bühne vermeintlich scheuenden Experimentalbildhauers. Die Rolle des frühen Förderers und weltgewandten Impresarios jenes ehemals unbeachteten Experimentalbildhauers nahm Hartmut Kaminski ein, der als Student an der Düsseldorfer Kunstakademie um 1970 intensiv mit dem Objektkünstler Dieter Roth zusammenarbeitete, sich als ASTA-Sprecher für die Einrichtung einer Filmklasse einsetzte und später zahlreiche Preise für seine Filme erhielt.

Kaminski stieg direkt ein, indem er sich für die Exposition das Mikrofon mit bestimmter Geste heranwinkte – ein Vorgang, der sich im Lauf des Abends noch einige Male wiederholen sollte. Mit kräftiger Stimme und unter Einsatz des gesamten Oberkörpers verschiffte er die Zuhörer erzählerisch gekonnt zurück in jene umtriebige Düsseldorfer Zeit, in der er damit begann, junge Künstler kuratorisch zu begleiten und dafür zu sorgen, dass diese nicht mehr »über den Tisch gezogen wurden«. Signer verharrte währenddessen wie eine Sphinx im grauen Pullover, mit grauem Haar und dickrandiger Brille. Er starrte mit vor dem Gesicht gefalteten Händen auf die graue Tischplatte. Kaminski moderierte sich selbst, indem er die Überleitung zu seinem Nachbarn ankündigte. Wir erfuhren: Kennen gelernt haben sich die beiden in St. Gallen bei einer Ausstellung von Schang Hutter. Kaminski besuchte Signer im Atelier und war direkt überzeugt, dass diese Werke einem größeren Publikum gezeigt werden mussten. Signer reagierte darauf mit einer kleinen Anekdote: Das Publikum durfte sich belustigt vorstellen, wie Kaminski 1975 in Appenzell die komplette Signer-Ausstellung in ein Auto packte und nach Düsseldorf überführte.

Schon näherte sich der Abend seinem Höhepunkt. Kaminski nämlich machte damals den Vorschlag, einen Trickfilm über Signers Skulptur »Der große Tropfen« zu drehen. Der originale 16mm-Streifen galt lange als verschollen. Er wurde jedoch im Zuge der Recherchen für diesen Abend wieder gefunden und kam in digitalisierter Form zur Wiederaufführung. Der Betrachter erblickt zunächst ein schlichtes rechteckiges Gestell vor einer Flusslandschaft. In vier kurzen Sequenzen nimmt die Kamera das Objekt sozusagen aus allen Himmelsrichtungen auf. Dann kommt ein Mann ins Bild, der am plätschernden Ufer mit einem Eimer Wasser holt. Anschließend bleibt der Blick auf das Gestell gerichtet, an dem oben ein großer Gummi eingespannt ist. Dieser scheint sich im Folgenden wie von Geisterhand nach und nach mit Wasser zu füllen. Er beult sich tropfenförmig immer weiter nach unten aus und der Zuschauer ahnt bereits, dass es irgendwann den Moment geben wird, in dem sich das Wasser seinen Weg bahnt. Tatsächlich platzt der Gummitropfen nach wenigen Minuten und gibt eine Wassermasse frei, die mit Wucht auf den Boden platscht und sich explosionsartig in ein Tröpfchenspektakel verwandelt, das beinahe den gesamten Bildraum ausfüllt. Im Hintergrund fließt der Rhein unbeeindruckt dem Meer entgegen.

Mit der Feststellung: »Wir haben eigentlich nie darüber gesprochen haben, was für einen Sinn das hatte«, wandte sich Kaminski nach Ende des Films an Signer. Der begnügte sich allerdings mit der Antwort: »Ich wollte mal sehen, was da passiert.« Besondere Bedeutung habe »Der große Tropfen« für ihn nach eigener Aussage vor allem, weil er auf Anregung seines frühen Unterstützers »Lunte schmeckte« in Sachen Film. In den folgenden Jahren sollte der Film für Signer zu einem wichtigen Medium an der Schnittstelle zwischen Skulptur und Prozess, Versuchsanordnung und Ausführung werden.

Präzisere Erwägungen zu stilistischen Entscheidungen oder medialen Affinitäten standen an diesem Abend in der Kunsthalle allerdings hinter einer unterhaltsamen Anekdotenrevue zurück. Diese nämlich folgte auf die Vorführung des »Großen Tropfens« – sozusagen als von gelöster Stimmung getragenes retardierendes Moment. Kaminski erzählte, wie Signer den Tropfen mit dem Hosenträger eines Schäfers, der mit 300 Schafen Düsseldorf-Kaiserswerth passierte, im richtigen Moment zum Platzen brachte. Den Spezialgummi habe man über einen Zahnarzt in Ungarn besorgt. Überhaupt: die gemeinsamen Reisen. So ließ Kaminski den Alpinisten Signer auf den Trümmern der Wolfsschanze rumklettern, um auf seinem Film einen Größenvergleich zu haben. Ein anderes Mal trank Signer, »typisch Roman«, mit Kaminskis Verwandtem ein Glas Spiritus und fiel danach um. Schließlich ein Fest mit „der Tante von Hartmut“, bei dem die Polizisten mit Pfefferspray tanzten. Es klang ein bisschen so, als würde man den Abenteuern von Jippi Brown, doppeltem Sheriff von Mokassin-Flat, lauschen.

Doch so ungleich das Duo heute erscheinen mag, die beiden verbindet nicht nur »die Liebe zur Kunst und zum Film« (Signer), sondern auch eine geradezu kindliche Begeisterung für das Ausprobieren und die Fähigkeit, sich mit vollem Einsatz einer selbst gestellten Aufgabe zu widmen. Kaminski hat beispielsweise über Jahre in den Archiven der ehemaligen Sowjetunion 500 Stunden historisches Filmmaterial von sowjetischen Katjuschas gesammelt und ausgewertet. Es kommt bis heute etwa im Rahmen von Fernsehdokumentationen zum Einsatz. Ausschnitte davon wurden an diesem Abend gezeigt, der zum Ende hin ein wenig aus der Form geriet – es schien nicht mehr ganz klar, welchen Konflikt es zu lösen bzw. welche Geschichte es zu Ende zu bringen galt. Etwas blitzte noch auf, als Signer still wurde und Kaminski laut lachend davon sprach, wie er damals sein ganzes Geld in die Art Basel investiert habe, »einen ganzen Sektor aufbaute«, die Künstler mit zunehmendem Erfolg aber zu größeren Galerien gegangen seien und er schließlich »mit der ganzen Kunst aufgehört« habe. Sein Nachsatz »Ein Künstler kann nur als totaler Egoist bestehen« blieb allerdings ohne Reaktion und der 5. Akt damit aus. Schon zerstreute sich das Publikum und die damaligen Weggefährten entschwanden mit einer kleinen Entourage in die kalte Mainzer Nachtluft.

Weitere Informationen

Einen Überblick über Signers Filme von 1975 bis 2008 gibt der Ausstellungsband »Roman Signer. Projektionen« (2008). Um den ‚humorlosen Komiker’ Roman Signer genauer zu studieren, sei außerdem der 80-minütige Film »Signers Koffer« (1996) von Peter Liechti empfohlen.

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