Ausstellungsbesprechungen

Einrichten. Leben in Karton, Galerie Stihl in Waiblingen, bis 27. Februar 2011

Die Galerie Stihl in Waiblingen hat sich längst einen Namen gemacht mit Ausstellungsthemen, die das Leben geschrieben hat. Was hier wie eine Binsenwahrheit daherkommt – wer schreibt solch einen Satz nicht gern auf seine Fahnen? – , hat schon eine eigene Note. Die klang erstmals kräftig an mit einer grandiosen John-Cage-Schau, die weit über rein künstlerische Belange hinausging. Nun versucht die Galerie das mit ihrer aktuellen Ausstellung zu wiederholen. Günther Baumann hat sich angesehen, ob es ihr gelungen ist.

Nun brilliert das Museum am Rande von Stuttgart mit einer Ausstellung über das »Leben in Karton«, was ganz wörtlich zu nehmen ist: Zum einen wird Karton als Medium der Architektur, der Möbel- und Lampenindustrie sowie der Kunst präsentiert, zum anderen wird Karton als Lebensgrundlage, als wohnräumliches Existenzminimum vorgestellt. Dabei tut sich eine erstaunliche Bandbreite an Themen, Querverbindungen und Denkanstößen auf, die im ersten Falle so nahe liegen, dass man kaum je bewusst darüber nachgedacht hat, und die im anderen Fall auch so berühren, dass man neu über moderne Gesellschaften nachdenkt.

Der behutsamen Inszenierung, die innerhalb des Museumsraums Nischen und Kojen schafft, ist es zu verdanken, dass die disparaten Inhalte nicht auf schmerzliche Grenzüberschneidungen trifft und dass sie dennoch als Teile eines Ganzen aufgefasst werden: Das schicke Design des Architekten Frank O. Gehry darf als Kunstwerk wirken, genauso wie die Dokumente zu den »Wohn«-Pappen in der Welt insbesondere der japanischen Obdachlosen. Leben in Karton ist doppeldeutig: Das dankbare Material eignet sich dafür, sitzfeste Wohnaccessoirs und sogar statisch perfekte Möbel zu konstruieren, aber auch die nicht (mehr) vorhandenen vier Wände notdürftig zu ersetzen.

Es ist übrigens kulturhistorisch spannend zu erfahren, dass das Papier, die Kartonage eine Erfindung aus der Not heraus war – und zwar der Not des Adels. Wer nach Besuch der Ausstellung einmal ein Rokokoschloss besichtigt, darf halbwegs fachmännisch mutmaßen, dass so manche Marmorornamentik aus billiger Pappmaché gebastelt wurde.

Begleitet wird die Ausstellung von zwei Katalogen, von denen einer auf eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Villa Zanders in Bergisch Gladbach zurückgeht, die in Waiblingen übernommen und ergänzt wurde – der eine blickt auf die Schattenseite im Obdachlosenmilieu, der andere beleuchtet die Einfälle des Designs und der Architektur. Reizvoll ist der Karton, in dem die Bände angeboten werden. In Anlehnung an den vielgelobten und preisgekrönten Karton-Katalog zur John-Cage-Ausstellung, hat sich das Grafische Gestaltungsbüro »i_d buero + cluss« (Stuttgart) vom Thema inspirieren lassen. Die simple Idee hat das Zeug, als Sammlerstück ein neues Kapitel in der Katalogproduktion aufzuschlagen. Sozusagen als Katalog in Karton.

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