Ausstellungsbesprechungen

Emil Nolde – Puppen, Masken und Idole, Ernst Barlach Haus Hamburg, bis 28. Mai 2012

Die Ausstellung zeigt den berühmten Maler als passionierten Sammler, der kunstgewerbliche Objekte aus aller Welt zusammentrug und ab 1911 in leuchtende, magisch belebte Bilder verwandelte. Hintersinnig und oft humorvoll arrangiert, überschreiten Noldes Stillleben malerische Konventionen und kulturelle Grenzen. Günter Baumann hat sich die Arbeiten angeschaut.

Sie könnte als die schönste Nolde-Ausstellung in die jüngere Museumsgeschichte eingehen: Emil Nolde (1867–1956), der expressionistische Maler, wird im Ernst Barlach Haus als Sammler exotischer und fernöstlicher Kunst vorgestellt, der aus seiner Sammlung und aufgrund seines anschaulichen Wissens einen erstaunlichen Fundus an Vorlagen für seine Bilder bezog. Das Nolde-Werk wurde zwar vielfach präsentiert, aber in Gruppendarstellungen unter seinesgleichen entfaltet er nicht immer seine hohe Kunst, und in Einzelausstellungen wird man gelegentlich den Gedanken nicht los, sein Schaffen bereits zu kennen – leider sind seine wunderbaren Blumenstillleben seit Jahrzehnten fester Bestandteil von Kunstkalendern, die für gewöhnlich ein gefälliges, aber oberflächliches Image verbreiten. Selbst in Themenausstellungen, die sich dem Einfluss der afrikanischen Plastik auf das Brücke-Umfeld widmen, fällt Nolde nicht allzu sehr auf – was freilich an der beeindruckenden Konkurrenz und am Einzelgängertum Noldes liegt. Doch bei einer Themenausstellung innerhalb seines eigenen Schaffens darf Ernst Nolde brillieren durch seinen Gestaltungswillen, der absolut frei ist in der Komposition und zugleich entschieden festgelegt in der Wahl und Darstellung seiner Motive.

Die Ausstellungsmacher haben sich ein großes Verdienst erworben, als sie die Spuren von den dargestellten Porzellan- oder Holzfiguren, Masken und Puppen, Tieren oder Gebrauchsgegenständen bis zu den konkreten, detailtreuen Gemälden und Plastiken des Künstlers verfolgten und so eine Dokumentation vorgelegt, die man einem Expressionisten kaum zutraut. Die Ernsthaftigkeit, mit der Nolde malte, könnte sein Werk in ein neues Licht tauchen. Was wie im Taumel des gestischen Ausdrucks daherkommt, basiert auf der mühevollen Inszenierung des Vorlagen-Tableaus und auf der erstaunlichen Akribie einer realitätsnahen, wenn auch subjektiven Darstellung – und das ohne den wuchtig-expressiven Stil aufzugeben und ohne sich vor dem Objekt gemein zu machen.

Der Südsee-Fan und Expeditionsreisende Nolde malte nicht weniger als 100 figurative Stillleben, also »unbelebte« Bilder mit Figurendarstellungen. Hierfür kam der leibhaftige Mensch als Modell nicht in Frage, wohl aber seine Ab-Bilder in Form von Masken, Puppen, kunsthandwerklichen Protagonisten und Idolen. Dass rund ein Drittel dieses Werkkomplexes in der Ausstellung zu sehen ist, macht das Genre zu einer faszinierenden Revue des gemalten Exotismus. In jeder Hinsicht grenzüberschreitend, mischt der Maler die Kulturgüter, arrangiert sie nach 1911 immer wieder in neuen Konstellationen auf der Leinwand.

Die knapp über 30 Stillleben werden ergänzt durch 130 Zeichnungen, Skizzen und Plastiken sowie Masken, Stoffe und andere Artefakte, die als Vorlagen dienten. Um die Verknüpfungen greifbar zu machen, wurde ein Katalog dazu publiziert, der mit einem grandiosen Verweissystem die Objekte und ihre gemalten Pendants gegenseitig annähert. Die Wiedererkennungstour macht die Schau zum vergnüglichen und erstaunlichen Ereignis. Man kennt die leuchtenden Blumenaquarelle und die mitunter schwermütigen Seebilder von Emil Nolde – mit denen er sich vergeblich auch den Nazis empfahl. So hinreißend diese Werke sind, so sehr machte er sich mit seinen Exotika im besten Sinne würdig, als entartet gebrandmarkt zu werden. Von der Kunst der Pueblo-Indianer bis hin zu den Wayang-Puppen der Javaner, von melanesischen Kultstatuetten bis zu balinesischen Masken reicht Noldes Begeisterung als Sammler – freilich befand sich nicht alles, was an Fremdkunst in den Bildern wieder auftaucht, in seinem Besitz, besuchte er doch auch selbst einschlägige Museen, um zu zeichnen. Dass diese auch völkerkundlich interessante Versammlung an »primitiver Kunst« regelrecht zur bildgewordenen Malerei wird, ist jedoch einzigartig. Ruhten die Kulturobjekte hier wie unnahbare Relikte vergangener oder ferner Kulturen, machte Nolde sie – welch Ironie der ästhetischen Durchdringung – als stellenweise dämonisches Bild vom Bild erst richtig lebendig, mit einer kaum je so gesehenen Präsenz und mit einer derart lustvollen Farbgewalt. Wenn das die nordische Kunst ist, die Nolde vorschwebte, dann ist sie – jenseits jeglicher germanophiler Übersteigerung – einfach großartig.

Mit der gesichtigen Schau machte sich das Ernst Barlach Haus auch selbst ein Geschenk zum 50-jährigen Bestehen des privaten Museums. Zum Glück bleibt sie nicht auf diesen Ort beschränkt. Als kleine Wanderausstellung wird die Ausstellung noch nach Hannover und Berlin weitergereicht.

Weitere Informationen

Die Ausstellung wandert anschließend nach Hannover. Dort ist sie vom 14. Juli bis 21. Oktober 2012 in der Stiftung Ahlers pro Arte/Kestner pro Arte zu sehen.

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