Ausstellungsbesprechungen

Emil Nolde. Farbenzauber. Eine Retrospektive auf Papier, Museum Behnhaus Drägerhaus Lübeck, bis 7. Oktober 2018

Einen Überblick über das künstlerische Schaffen Emil Noldes von seinen allerersten Anfängen bis in sein Alter bietet in diesem Sommer das Lübecker Behnhaus. Stefan Diebitz hat die Ausstellung besucht.

1867 geboren, wäre Emil Nolde 2017 150 Jahre alt geworden. Grund genug für acht Museen in den nördlichen Bundesländern, den großen Nordfriesen mit Sonderausstellungen zu feiern. Natürlich zunächst in Seebüll, dann in Flensburg, und ein wenig nördlich von Seebüll, im dänischen Tondern, wurde Noldes Werk zusammen mit dem von Henry Moore präsentiert. Schleswig erinnerte an seine große Südseereise unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, und auch in Ahrenshoop und Wolfsburg ging es nach Osten, indem die Einflüsse der japanischen Kunst thematisiert wurden. In Kiel endlich wurden Bilder der »Brücke« und Emil Noldes nebeneinander gehängt. Jetzt wird im Lübecker Behnhaus der Schlusspunkt gesetzt mit einer Ausstellung, die zwar Noldes gesamten künstlerischen Weg vorstellt, sich aber auf seine Arbeiten auf Papier konzentriert.

Emil Nolde war ein vielseitiger Künstler, der nicht allein Ölbilder malte, sondern auch mit Holz arbeitete – schließlich hatte er in einer Flensburger Möbelfabrik gelernt. Aber von Öl und Drucken sowie Holz sieht die Lübecker Ausstellung, die zuvor in Heilbronn zu sehen war, ganz und gar ab, um einzig und allein sein Schaffen auf Papier vorzustellen. Und es funktioniert! Denn wirklich eignen sich die Papierarbeiten hervorragend dazu, Noldes Entwicklung und sein künstlerisches Gesamtwerk vorzustellen. Sie zeigen allererste Versuche des Schülers und Studenten, bis er zu seiner eigenen Formensprache fand, bis aus ihm ein richtiger Maler wurde. Und auch noch die späteren Phasen seines Schaffens lassen sich an seinen Papierbildern ablesen.

Das älteste Bild ist ein Stammbuchblatt des erst neunjährigen Emil Hansen (Nolde nannte er sich erst später nach seinem süddänischen Heimatdorf), und das nächste zeigt einen barocken Hauseingang, den Nolde in seiner Zeit in Karlsruhe auf das akkurateste abbildete – man sieht leicht, dass er doch eine sehr solide Ausbildung durchlaufen haben muss, so dass er Haptik und Optik eines anspruchsvollen Sujets vollkommen gewachsen war. Er konnte eben sehr viel. Und wenn er wollte, war er zu ganz konventionellen Bildern imstande, zu der Ansicht eines Marktplatzes so gut wie zu der eines schönen Bergsees. Aber meistens wollte er nicht – zu Emil Nolde wurde er erst dadurch, dass er sich eben hiervon verabschiedete.

Zuvor müssen allerdings die zahlreichen Postkarten angesprochen werden, von denen es gleich einige in diese Ausstellung geschafft haben und die man, stünde nicht sein Name darunter, wohl kaum mit einem Emil Nolde in Verbindung bringen würde. Zumindest anfangs ist es nicht allein das Meer, das ihn interessiert, sondern überraschenderweise sprechen ihn auch die Berge und vor allem die Gipfel an, denen er Gesichter verleiht. Großen geschäftlichen Erfolg feiert er in dieser Zeit mit Postkarten, von denen er 100.000 auf eigene Kosten druckt und verkauft – er erzielt einen Gewinn von nicht weniger als 25.000 Franken.

Dann aber verwandelt er sich plötzlich in einen großen Künstler; und das geschieht, indem er das Aquarell für sich entdeckt. »Durch das Aquarellieren auf feuchtem Papier«, schreibt Marc Gundel im Katalog, »verselbstständigen sich die Farbformen und Farbverläufe bis an die Grenze ihrer gegenständlichen Lesbarkeit.« Es ist das eminent Malerische, das sich im Aquarell Ausdruck verschafft. Entsprechend spielt das Anekdotische kaum eine Rolle – das kleine Bild »Dame und zwei Herren« im Café ist nun wirklich nicht typisch. Vielmehr, wenn Nolde Menschen bei Tätigkeiten malt, dann fängt er ihre typischen Bewegungen ein, wie sie sich immer und immer wiederholen. Auf einem besonders schönen Blatt sieht man zwei Mägde, die sich mit den schweren hölzernen Milcheimern abschleppen.

Auf eigentlich allen Bildern kommt es Nolde auf das Atmosphärische an. Das war schon vorher deutlich, aber 1907/08 findet er endgültig zu sich selbst, und zwar im thüringischen Cospeda, wohin ihn ein Freund eingeladen hat. Auf der Lübecker Ausstellung kann man aus dieser Zeit ganz wunderbare Blätter mit auseinanderlaufenden Farben sehen, zum Beispiel »Acht Bäume« (wohl Kopfweiden), die er im Winter gemalt hat. Bei anderen Blättern, zum Beispiel einem einfach »Dorfplatz« genannten von 1908, ist er eigentlich schon ein Expressionist.

Dass Nolde ein großer Landschafter war, ist natürlich bekannt. Ein nicht weniger wichtiges Thema, das sich durch die ganze Ausstellung zieht, ist der Tanz; immer wieder hat er tanzende Menschen gemalt, sehr gern auf dem Eis. Auch in seiner Berliner Zeit Anfang der zwanziger Jahre aquarelliert er ein »Tanzendes Mädchen« und noch eine »Spitzentänzerin«, und dasselbe Thema findet sich sogar noch in den »Ungemalten Bildern«, also in den Aquarellen kleineren Formats, die er während des 1938 verhängten Malverbots schafft. Besonders interessant ist noch ein Mitbringsel seiner Südseereise, auf der 1914 eine »Birmatänzerin« abbildet. Sie tanzt, die Füße an den Knöcheln eng zusammengebunden, nur mit dem Oberkörper und den Bewegungen ihrer Arme.

»Die Suche nach Ursprünglichkeit«, schreibt Alexander Bastek resümierend im schmalen Katalog, gilt seit langem als ein Grundmotiv von Emil Noldes Kunst; sie wird es wohl auch gewesen sein, die ihn zu seinen Reisen trieb, von denen diejenige unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, die ihn über Sibirien und China bis in die Südsee brachte, wirklich gewaltig war. Aus der Südsee brachte Nolde viele Porträts mit, die bis heute nicht jeden ansprechen – vielleicht war es also gar nicht so sehr die religiöse Ausrichtung seiner kurz darauf entstandenen biblischen Bilder, als vielmehr die geradezu brutalen Gesichter der Propheten wie der Insulaner, welche bis heute so wenig Gegenliebe hervorrufen.

Es ist für viele sicherlich überraschend, dass Nolde, der Meister der feurigen Farben, die glühendsten Sonnenuntergänge nicht etwa in der Südsee zu Papier brachte, sondern in der nordfriesischen Marsch. Auch später, zur Zeit des Nationalsozialismus, wandte er sich hier ganz der Landschaft zu – auf möglichst kleinen Bildern, damit sie bei Hausdurchsuchungen nicht so leicht gefunden werden konnten, und nicht mit Ölfarben gemalt, weil Aquarelle sich nicht über ihren Geruch verraten. In Nordfriesland wandte er sich den Wolken zu – der Horizont der meisten Landschaften liegt typischerweise sehr tief –, natürlich malte er Blumen, und immer wieder auch das Meer, auch wenn Seebüll nicht direkt an der Nordsee liegt.

Es ist eine empfehlenswerte Ausstellung, die ihrem Anspruch, einen Überblick über das gesamte Schaffen des Farbenzauberers Emil Nolde zu bieten, vollauf gerecht wird. Der kleine Katalog bietet Abbildungen aller 80 Exponate (sämtlich aus Seebüll), gegliedert in zehn Kapitel, in die durch zweiseitige biografische Essays eingeführt wird.

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