Kataloge, Rezensionen

Emma Stibbon. Kerber Verlag 2009

Der Blick Emma Stibbons auf die Berliner Architektur ist unverstellter und klarer als der mancher Einheimischer, die in der Regel durch den Schleier des Alltäglichen geblendet sind. Ihre künstlerischen Arbeiten haben nichts Beschönigendes. Ganz im Gegenteil finden sich darin Brüche in der Stadtentwicklung, historische Spannungen, die Unaufhaltsamkeit des Wandels und die Relativität menschlichen Planens und Konstruierens. Eine Katalogbesprechung von Antje Fleischhauer

Emma Stibbon wurde 1962 in Münster geboren. Ihr Vater war als britischer Offizier in Deutschland stationiert. Später studierte sie Kunst an den Universitäten London und Bristol und lehrt heute neben ihrer künstlerischen Tätigkeit an der Universität Brighton. 1979 kam Stibbon zum ersten Mal nach Berlin und war von der geteilten Stadt derart fasziniert, dass sie begann, deren markante Architektur zu zeichnen. Die Zeit der deutschen Diktaturen stand dabei im Mittelpunkt ihres Schaffens: das Olympiastadion, der Flugplatz Tempelhof, der Bendlerblock, das einstige Luftfahrtministerium, der abgerissene Palast der Republik. Seit 2003 gehört auch das wiedervereinigte Berlin zu ihren bevorzugten Themen.
Die Gebäude Stibbons sind nicht nur Zeugen deutscher Geschichte, sie sind Orte der Vergänglichkeit und Zeichen des Verfalls. Stibbons mystisch dunkle Bilder zeigen eine Metropole, in der sich Geschichte wie in kaum einer anderen Stadt konzentriert und die zugleich so wandelbar ist, dass sich das Unvermögen ihrer Konservierung offenbart. Die Gebäude mahnen in kontrastierender Weise an das Vergangene und vermögen zugleich, deren Begrenztheit heraufzubeschwören. Meterdicke nationalsozialistische Wände waren für die Ewigkeit gebaut und haben oftmals nicht einmal den Krieg unbeschadet überstanden. Das scheinbar Unendliche, Ewige wird als Farce entlarvt. Es ist, wie alles, das lebt, der Vergänglichkeit unterworfen. Exemplarisch ist die Ansicht des abgetragenen Palastes der Republik, während auf einer Mauer im Vordergrund der Schriftzug „Die DDR hat es nie gegeben“ erscheint. Im Zentrum der Werke Stibbons steht die schmerzliche Liebe zu den historischen Bauwerken, deren Verfall und vorsätzliche Zerstörung im Bild aufgearbeitet werden.

Die 2007 in der Antarktis entstandenen Gletscherlandschaften reihen sich nahtlos in diese Absichten ein. Stadtlandschaften und Naturlandschaften sind dem unaufhaltsamen Zusammenspiel von Zeit und äußeren Einwirkungen unterworfen. Sie sind zugleich schön und verletzlich, erhaben und endlich. Und wieder interessiert die Künstlerin vor allem der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt, obwohl dieser selbst in den Bildern nie auftaucht. Die Veränderung des Erdklimas und seine Auswirkungen sind die Motive eines Kampfes, dessen Sieger noch nicht feststeht. Naturdegenerierung und die der Vergänglichkeit unterworfenen Schöpfungen des Menschen sind dabei auf unvergleichliche und sensible Weise nicht nur festgehalten, sondern in ihrem Gehalt stilisiert und überspitzt dargestellt. Dass ihre Aussage trotzdem weitestgehend offen bleibt, sorgt für den faszinierenden, mystischen Eindruck der Bilder.

Der Katalog „Emma Stibbon- Stadtlandschaften“ ist parallel zur Ausstellung im Stadtmuseum Berlin erschienen und zeigt 60 Kreide-, Tuschezeichnungen und Holzschnitte in der typischen Schwarz-Weiß-Technik. Er soll das Werk der britischen Künstlerin auch in Deutschland bekannter machen.

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