Ausstellungsbesprechungen

Erasmus Zipfel. Innen – Außen – Bilder, Kunsthalle St. Annen Lübeck, bis 19. April 2015

In der Lübecker Kunsthalle St. Annen stellt dieser Tage der Musikprofessor Erasmus Zipfel seine großformatigen Arbeiten aus, die Popart und abstraktem Expressionismus verpflichtet sind. Interessant sind sie nicht zuletzt dank der Entwicklung, die der Künstler in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angesehen.

Seit 1978 lehrt der 1950 im polnischen Breslau geborene Zipfel als Dozent an der Musikhochschule Lübeck und stellt also eine Doppelbegabung dar – allerdings eine, deren Begabungen keine Verbindung zueinander eingegangen sind, sondern nebeneinander existieren, und so findet sich nichts Musikalisches in dieser Ausstellung.

1989, also vor sechsundzwanzig Jahren, stellte Zipfel ein erstes Mal im St. Annen-Museum aus – die Kunsthalle, ein erst 2003 an der Stelle einer Kirche errichteter moderner Anbau aus Beton, existierte damals noch gar nicht. Heute sind Zipfels Arbeiten viel größer als damals, und so hätten sie in den wunderbar rhythmisch gegliederten gotischen Räumen des alten Klosters kaum oder doch nur mit Schwierigkeiten präsentiert werden können. Die lichte Kunsthalle dagegen mit ihren sehr hohen und etwas einförmigen Wänden ist für so große Arbeiten geeignet und kann die 150 x 170 cm großen oder auch größeren, meist annähernd quadratischen und durchweg sehr farbfreudigen Bilder Zipfels sehr gut zur Geltung bringen.

Allerdings führt die fast einheitliche Größe der Bilder zu einer gewissen Monotonie, und in dieser Hinsicht hätte der Ausstellung ein wenig Abwechslung gut getan. Die Größe der Bilder begründet der Künstler unter anderem mit seiner Anatomie: er malt, so weit die Arme reichen… In den meisten Räumen hängen an den Breitseiten vier, an den Stirnseiten zwei, vielleicht drei Bilder nebeneinander: für mehr ist einfach kein Platz da.

Hatte Zipfel 1989 noch in brauner Farbgebung und im Sujet an niederländische Meister erinnernde »Stilleben mit Hagebutten« oder ein »Stilleben mit weißer Tasse« ausgestellt (Bilder, die in den Bestand des Museums übergingen), so wirken heute viele seiner Bilder auf den ersten Blick abstrakt, ohne es aber tatsächlich zu sein. Denn Zipfel ist ein Künstler, der seine Bilder in mehreren Arbeitsgängen herstellt, wobei er in aller Regel von einem Digitalfoto ausgeht, auf dessen gegenständliches Thema noch die Titel der Bilder hindeuten.

Der Titel der Ausstellung – »Innen – Außen« –, verweist auf das Widerspiel zwischen objektiver Darstellung und freier Malerei, zwischen den klaren Strukturen, die von dem vielfach und oft bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Foto ausgehen, und der emotionalen, freien und abstrakten Farbgebung. Diese Malerei erinnert sehr stark an den abstrakten Expressionismus der fünfziger Jahre, von dem beeinflusst zu sein der Künstler auch wirklich zugibt; insbesondere in den Bildern, in denen das Ausgangsbild noch leicht zu erkennen ist – etwa in »Marilyn doppelt« –, verwandelt sich diese Kunst auch dank der durchscheinenden Fotos in Popart: das hat weniger mit den verwandten Techniken als vielmehr mit dem Sujet zu tun. Ein solches Bild hätte wohl gute Chancen als Poster.

Entgegen dem ersten Eindruck sind die Bilder Zipfels also keineswegs spontan, sondern geplant und durchdacht und entstehen über einen längeren Zeitraum in mehreren Arbeitsgängen. Oft beginnt es mit einer »vagen Vorahnung« des späteren Bildes (so der Künstler selbst). Wesentlich ist in jedem Fall die Bearbeitung des ursprünglichen Farbfotos am Computer, die »Solarisation«, in welcher das Foto in etlichen Fällen bis zur Unkenntlichkeit auf seine Grundstrukturen reduziert wird. Gelegentlich bleiben allein einige wenige Linien auf dem abstrakten Untergrund übrig, so dass der Betrachter ratlos vor einem Bild steht, das etwa den Potsdamer Platz in Berlin oder eine Landschaft aus einem Zug zeigen soll, aber doch nur Farbflecken mit schwarzen Linien darüber bietet. Am gelungensten (und wiederum: der Popart sehr nahe) scheinen die Bilder, in denen die Fotos noch gut zu erkennen sind; so ist das Alsterhaus, das wohl renommierteste Hamburger Kaufhaus in bester Lage, in seiner Atmosphäre sehr schön erfasst: der rauschende Verkehr auf der Straße davor, die spätnachmittägliche oder abendliche Beleuchtung, die Hektik der Besucher… Ebenfalls sehr eindrucksvoll ist »Marilyn doppelt«, die im Gegensatz zu Anita Ekberg, die man auf »Dolce vita« lange suchen muss, leicht zu erkennen ist.

Bei der abstrakten Kunst ist der Titel schon immer ein Problem gewesen, und er ist es auch bei jenen Bildern Zipfels, bei denen das ursprüngliche Sujet sich gegebenenfalls nicht einmal erraten ließe. Kaum jemand käme ohne die Bildüberschrift auf den Gedanken, auch nur an einen Platz zu denken, wenn er die bunten und dekorativen Bilder sieht, die nach dem Potsdamer Platz benannt sind. Der Künstler strebte und strebt ja, wie es auch der Titel der Ausstellung andeutet, ein Widerspiel an, und dieses Widerspiel scheint bei einigen seiner ganz freien Arbeiten etwas aus der Balance geraten. Diese Bilder sind immer noch hübsch anzusehen, aber beim »Innen – Außen« hat das »Innen«, also die Emotion oder auch die freie Assoziation, das »Außen« zu sehr in die Defensive gedrängt.

Im Katalog schreibt der Hausherr Torsten Rodieck zu diesem Widerspiel, dass das »Außen in Form der ursprünglich auf konkrete Motive zurückzuführenden, kalt wirkenden Linien gewissermaßen zu einer Art innerem Vorgang [wird], da diese letztlich ein ehemals winziges Bilddetail in vergrößerter und verabsolutierter Form darstellen. Umgekehrt kann der Bildgrund als koloristischer, expressiver Vibrationsraum der aus dem Inneren herrührenden Emotion zugleich ein Außen bzw. ein Veräußerlichtes bedeuten. Es kann auch genauso umgekehrt sein, da sich beides durchdringt.«

Tatsächlich sind die Linien außen; oder sie liegen über der Farbe. Dazu ist es dem Künstler wichtig, dass die Ränder seiner Bilder noch den ursprünglichen Grund zeigen, womit er an Cezanne und andere Größen der französischen Kunst anknüpfen möchte. Im Grunde besitzen seine Bilder also einen Kern (das »Innen«), ein Zentrum, um das herum sich die Farbe bewegt. Dafür fehlt der Keilrahmen – alle Arbeiten sind ungerahmt und gehen übergangslos in das »Außen« über, und zusammen mit dem unbearbeiteten Rand ist das ein Abschied von jedem Fenstereffekt, der sonst für die europäische Kunst so wichtig ist. Neben der schieren Größe der Bilder würde es auch die Rahmenlosigkeit zumindest problematisch machen, sie in den gotischen Räumen zu präsentieren.

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