Ausstellungsbesprechungen

Erwin Wurm - De profundis, Albertina Wien, bis 17. Februar 2013

Männliche Künstlerpersönlichkeiten haben sich für die neue Ausstellung von Erwin Wurm in der Albertina entkleidet. Was zunächst sehr verlockend klingt, entpuppt sich als eine schonungslose Wahrheit über den Alternsprozess des Menschen. Sabrina Möller berichtet über ihre Eindrücke.

Rohes Fleisch. Hässliche, nackte und unförmige Körper. Wer die neue Ausstellung von Erwin Wurm in der Albertina besucht, bekommt ungeschönte Einblicke in den Alternsprozess männlicher Körper. Die Fotografien nackter Männer werden durch einen breiten und groben Pinselduktus mit Acrylfarbe übermalt, der eine gewisse Brutalität erzeugt. Der Leib wird deformiert, verstümmelt oder erhält eine Geschlechtsumwandlung. Ein Prozess, der den Körper entfremdet und seiner Identität beraubt.

Den Titeln der Werke kann man dennoch Hinweise auf die Identität der fotografierten Personen entnehmen: etwa Hermann N., der in seinem Atelier abgebildet ist. Im hinteren Teil des Raumes verrät die Auftragsweise der roten Farbe an der Wand, dass es sich hierbei um das Atelier von Hermann Nitsch handeln muss. Tatsächlich hat Wurm ausschließlich befreundete Künstlerpersönlichkeiten fotografiert. Er zeigt sie schonungslos mit all ihren Makeln, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, über den Verfall des alternden Menschen hinwegzutäuschen. Die privaten Orte, die uns die Werke zeigen, stehen dabei in einer intimen Beziehung zum abgelichteten Künstler selbst. Es fehlt jeglicher Blickkontakt zum Betrachter, die Personen sind ernst und in sich gekehrt – nicht zuletzt dadurch, dass Wurm in den meisten Fällen die Augen übermalt hat. Hermann Nitsch etwa erfährt eine Geschlechtsumwandlung: er präsentiert sich oberkörperfrei. Die Farbe dient nicht nur der Betonung seiner männlichen Brust, sondern sie wird so intensiv herausgearbeitet, bis sie formal der weiblichen Brust entspricht.

Die Körperhaltung ist diktiert und steht in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem Titel und der Grundidee der Ausstellung de »profundis«. Es sind die Worte, die im Psalm 130 niedergeschrieben sind: »De profundis clamavi ad te Domine« – »aus der Tiefe, Herr, zu dir.« Ein Satz, der sich mit dem nahenden Tod auseinander setzt und damit auch in gewisser Weise an den Alternsprozess erinnert. Wurm fand Begeisterung in den Posen der Gotik, die sich vor allem darin äußern, dass die Figuren völlig in sich gekehrt sind. In der heutigen schnelllebigen Zeit sind solche Posen kaum noch denkbar. In einer Serie von Zeichnungen mit blauem Stift auf weißen Grund zeichnet er sich selbst in verschiedenen Stellungen, die irgendwo zwischen Leben und Tod in der Schwebe sind. Die Körperhaltungen sind angelehnt an die Kreuzigungspose oder etwa der Kreuzabnahme.

In einem Interview mit Antonia Hoerschelmann begründet Wurm seine Entscheidung, Künstlerkollegen zu fotografieren. Zweierlei Aspekte erscheinen wesentlich: einerseits ging es ihm um die Selbstdarstellung des Künstlers, andererseits sollte der Künstler selber zum Modell des Bildes werden. Das erinnert an Bruce Naumann, der seinen Körper in seinen Raumperformances selber verwendete, mit der Begründung, dass das Selbst – der Körper – dauerhaft verfügbar sei. In abgeschwächter Form sollten die Modelle ähnliche Posen einnehmen, die jedoch in den meisten Fällen wesentlich schwerer zu erkennen sind. Das Werk »Cajetan« hingegen lässt sehr deutlich die Position eines knienden Stifters in konzentrierter Haltung erkennen.

Doch wozu verwendet Wurm nun eigentlich die Farbflächen und den groben Pinselstrich? Es geht nicht nur um die Betonung oder Herausarbeitung bestimmter Körperfragmente, vielmehr möchte er aus dem abgebildeten Körper einen neuen Körper schaffen. Er verwendet dazu unsauber wirkende Farbgemische aus Acrylfarbe, die er entlang der Umrisslinie einsetzt – teilweise übermalt er die Körper auch großflächig, oder trennt Gliedmaßen ab.

Die Werkserie ist recht einseitig – so wiederholt sich die Vorgehensweise in einer Art Endlosschleife. In der hintersten Ecke der Galerie, im kleinsten Format von 51,9 x 20,8 cm, zeigt sich »Hans 3« und eröffnet eine neue, spannende Ebene. Auf den bereits verstümmelten Körper wird ein weiterer gezeichnet: reduziert auf wenige Striche ergeben sich so zwei übereinander gelegte Posen. Es entsteht eine intensive Doppelansichtigkeit, die den Betrachter neu fordert. Ob man in den Werken selber die gotischen Posen erkennen kann, bleibt jedem Besucher selber überlassen.

Unbedingt empfehlenswert ist der begleitende Katalog zur Ausstellung. Neben einem Interview mit Erwin Wurm, in dem er ausführlich über die Entstehung dieser Werkserie und seine Motivation berichtet, findet sich auch ein Text des bekannter Wiener Philosophen Konrad Liessmann – ein echtes sprachliches Glanzstück!

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