Ausstellungsbesprechungen

Erzähl mir Meer! Geschichten von der See. Lübeck, Buddenbrookhaus, bis 29. August 2015

Die erste einiger geplanter »Laborausstellungen« ist dieser Tage im Lübecker Buddenbrookhaus zu besichtigen. Stefan Diebitz hat sich angesehen, was sich Hamburger Studenten zum Travemünde-Kapitel der »Buddenbrooks« haben einfallen lassen.

Literaturhäuser sind eine Erfindung der letzten Jahrzehnte. Ursprünglich waren Museen allein der bildenden Kunst, nicht etwa Romanen oder Gedichten gewidmet, und man ist in ihnen, ganz auf das Schauen konzentriert, von Bild zu Bild gegangen. So war ein Museum zumindest in früheren Jahren mehr als die bloße Ausstellung von Kunst; sie war ihre Feier, das Museum schuf der Kunst erst den Raum.

So wie die Kunst in das Museum gehört, so die Literatur in der Bibliothek. Was also ist die Aufgabe eines Literaturhauses? Sein Verhältnis zu den Besuchern wie zu dem Gegenstand seiner Ausstellungen und damit seine originäre Aufgabe will das Lübecker Buddenbrookhaus jetzt in einigen experimentellen Ausstellungen reflektieren. Denn in nächster Zukunft soll das Buddenbrookhaus umgebaut werden, und nicht zuletzt, um noch einmal die künftige Konzeption zu überdenken, planen die Verantwortlichen einige experimentelle »Laborausstellungen«.

Das, worum es eigentlich geht, kann in einem Literaturhaus allenfalls umkreist werden. So thematisieren die Ausstellungen das Leben des Autors oder illustrieren die Thematik eines berühmten Buches (im Buddenbrookhaus natürlich das bürgerliche Leben des 19. Jahrhunderts), aber ist damit die Literatur selbst getroffen? Kommen wir damit dem Roman tatsächlich näher? Mit der Hilfe von Studenten der Hochschule für Bildende Künste Hamburg wurde jetzt eine Ausstellung eröffnet, die sich um die Übersetzung von Literatur in Ton, Licht und Luft bemüht und damit einen »emotionalen Erfahrungsraum« schaffen will.

Ausgangspunkt ist die Episode, in dem der tragische Held der letzten »Buddenbrooks«-Kapitel, Hanno, seine Sommerferien in Travemünde verbringt: trotz seiner anscheinenden Einfachheit ein sehr kunstvolles Stück Literatur, in dem nicht allein auf das Ende der Sommerferien melancholisch vorausgeblickt wird. Wie oft bei Thomas Mann, so spielen hier Todesahnungen in das sommerliche Glück. Und hinter allem steht die Ostsee: die See selbst verkörpert oder symbolisiert mit ihren verschiedenen Zuständen die ambivalenten Gefühle. Eben das versucht die Ausstellung in ihrem Hauptraum darzustellen, in dem drei Maschinen – ein großer Bildschirm, ein Lautsprecher und ein Ventilator – für ein wenig Ostseeatmosphäre sorgen sollen. Oder eben auch nicht, denn sie können ja höchstens die Ambivalenz und den Wechsel der Gefühlslagen andeuten (der Bildschirm etwa verändert immer wieder seine Farbe, und der Lautsprecher folgt ihm), aber diese weder darstellen noch bei den Besuchern hervorrufen.

Weitere Teile der Ausstellungen sind einige Postkarten, die Thomas Mann in den Zwanziger Jahren von seinen Sommerfrischen an südlichen Stränden an Heinrich Mann geschrieben hat, sowie ganz genau hundert Texte, die auf DIN A4-Blättern an der Wand hängen und aus denen der Besucher sich seinen eigenen Katalog basteln soll. Alles Texte, die mit dem Meer zu tun haben, von Goethe bis Heinz Erhardt, von Gryphius bis zu Carl Schmitt (»Land und Meer«, aber mehr als den Titel der Abhandlung bietet das Papier natürlich nicht), und endlich fehlen auch Michael Ende (»Jim Knopf«), Max Dauthendey und Theodor Däubler nicht; besonders letztere sind wohl zu Unrecht vergessene große Dichter. Mit den verschiedenen Blättern wird dem Besucher die Gelegenheit gegeben, sich seinen eigenen Katalog – eigentlich eine Art Privatanthologie – zusammenzustellen.

An den Tatendrang des Besuchers appelliert auch die Möglichkeit, eigenen Erfahrungen von der See niederzuschreiben und in eine Art Postkasten zu werfen, der allerdings mehr nach einer Wahlurne aussieht.

Ganz überzeugen konnte mich die Ausstellung nicht; sie ist in einigen ihrer Aspekte ziemlich fantasievoll, und der Bildschirm inmitten der Fichtenholzhocker leutet in der Nacht dieses Raumes und wird mal hell, mal dunkel. W man auf den Hockern vor diesem Bildschirm sitzt, merkwürdige Geräusche im Ohr, kann man das entsprechende Travemünde-Kapitel lesen, das von einem Beamer an die Wand geworfen wird; so holt man dann doch das Lesen in das Haus. Eine interessante ästhetische Erfahrung ist das gewiss.

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