Ausstellungsbesprechungen

F/stop. 5. Festival für Fotografie Leipzig: The History of Now, Spinnerei Leipzig, bis 1. Juli 2012

In Fotografien, Filmen, Installationen und Videoprojektionen loten die Künstler des diesjährigen Fotofestivals dokumentarische Strategien in der zeitgenössischen Kunstpraxis aus. Rowena Fuß hat sich die Ergebnisse angeschaut.

Freitagmittag. Zum High Noon auf dem Leipziger Spinnereigelände scheint die Sonne an einem nahezu wolkenlosen Himmel. In der Ausstellungshalle 12 wird zu dieser Zeit immer noch fleißig gewerkelt, begleitet werden die Aufbauarbeiten von Marschmusik. Diese entstammt der Arbeit des Künstlerduos Andree Korpys und Markus Löffler. »The Nuclear Footbal« zeigt den Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten George W. Bush im Mai 2002 in Berlin. Der Fokus des Videos liegt auf dem rein formalen protokollarischen Ablauf des Staatsbesuchs wie Ankunft, Militärparade, Verabschiedung und Security-Maßnahmen. Der emotionslose, nüchterne Gestus und Symbolverzicht in den filmischen Bildern legen offen, wie sich politische Macht heute in Formalismen und Verschlüsselungen repräsentiert.

Politik macht immer Bilder und Bilder machen Politik. In insgesamt vier Ausstellungen präsentiert f/stop unterschiedliche Haltungen zu gegenwärtigen Ereignissen. Ob Ausschnitte aus Titos umfangreichen fotografischen Archiv bei Armin Linke und Fabian Bechtle oder der medialen Verwertung von Osama bin Ladens Tod 2011 – die Bilder verbinden Gegenwart und Vergangenheit, treffen das Auge wie ein Faustschlag und fordern zur Auseinandersetzung auf.

An der Stellwand hinter »The Nuclear Footbal« zeigt der Fotograf Sven Johne Impressionen aus Afghanistan. Aufgenommen hat sie jedoch der belgische ISAF-Soldat Peter Dupuis am 27. April 2012 während einer Eskorte. Die Bilder, die Dupuis aus dem Fensterschlitz des Panzerwagens machte, zeigen Banales: Afghanen, die vor Läden hocken, Marktstände usw. Währenddessen demonstrieren 50 Studenten vor der Universität Kabul wegen der Einschreibemodalitäten, in Mang Tapa geht ein Mädchen verloren, in der Provinz Takhar wurde das Trinkwasser einer Schule vergiftet und in der Provinz Helmand gerät der britische ISAF-Soldat Michael Roland in einen Schusswechsel mit Aufständischen. Später erliegt er seinen Verletzungen. All das erfährt man von einer Tafel neben den Bildern. Die Frage, ob es einen mit Banalitäten gefüllten Alltag parallel zu dem während eines Krieges gibt, muss bei Sven Johne mit einem überraschenden „Ja“ beantwortet werden. Krieg hat demnach nicht nur ein durch Zerstörung geprägtes Gesicht, sondern auch ein (beinahe) friedliches, triviales, alltägliches.

Wie kann man etwas so Unfassbares wie Krieg überhaupt ins Bild setzen? Die Kuratoren Christin Krause und Thilo Scheffler haben darauf keine direkte Antwort. Stattdessen werden der Begriff des Dokumentarischen und die Problematik der fotografischen Berichterstattung auf einem Symposium Ende Juni an die breite Öffentlichkeit weiter getragen.

Erneut ertönt ein Marsch und weiter geht’s zum hinteren Hallenbereich. Dort befindet sich die mehrteilige Videoarbeit »September 12« (2009) von Özlem Sulak. Darin vermitteln Zeitzeugen unterschiedlicher Generationen einen heterogenen Rückblick auf den türkischen Militärputsch von 1980 — während sie Fladen backen oder einen defekten Wasserhahn reparieren. Sulak untersucht in ihrer Arbeit die persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen soziopolitischer Umbrüche. Dabei kreist sie um Erfahrungen von Heimat und Fremde, Integration und Migration. In einer reduzierten Bildsprache spiegeln sie das existentielle Gefühl von Verlust und das Überlebensprinzip des menschlichen Daseins.

Neben der Gruppenausstellung »The History of Now« gibt es in Halle 14 auf dem Spinnereigelände eine Klassenausstellung von Studierenden der Folkwang Universität der Künste Essen, der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und der Universität der Künste Berlin. Präsentiert werden dokumentarische Konzepte zu den klassischen Genres Stadt, Landschaft und Porträt. In diesem Jahr ist auch das Internationale Fotobuch Festival Kassel in Halle 14 zu Gast auf dem Festival. Weitere Fotobücher gibt es zudem im Spinnerei archiv massiv. Alles in allem ein Grund wiederzukommen.

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