Ausstellungsbesprechungen

f/stop. 8. Festival für Fotografie, Spinnerei Leipzig, bis 1. Juli 2018

Unter dem Thema »Zerrissene Gesellschaft« geht das Leipziger Festival für Fotografie in diesem Jahr einem äußerst komplexen Thema nach. Rowena Schubert-Fuß hat sich umgeschaut.

»Fotografie ist ganz gut. Aber nicht gut genug«, formulierte David Hockney seine Skepsis gegen dieses Medium. Und er fuhr fort: »weil wir auf die Wirklichkeit nur noch mit der Kamera, Digitalkamera und Handykamera schauen, fangen wir an, wie eine Kamera zu schauen«.

Der Blick durch die Linse separiert den Betrachter von seinem Motiv, hinter dem Glas ist er ganz auf sich geworfen, hat keinen Anteil an der Welt. Diese sieht er nur als Abbild auf einer Fotografie. Sie dient als Werkzeug zur Beobachtung und Reflexion. Als Zeitfixierer gibt sie dem Betrachter genügend Raum, um sich über das Zeitgeschehen klar zu werden.

In der achten Ausgabe des Leipziger Fotografiefestivals stellen die Kuratoren Anne König und Jan Wenzel die Konfliktlinien aktueller Zeitgeschichte heraus. Große Themen sind der seit 2013 andauernde NSU-Prozess und das Umbruchsjahr 1990 mit seinen Folgen. Zeit sollte man für den Rundgang auf dem Spinnereigelände wie auch der Satellitenausstellungen im Leipziger Stadtgebiet genügend mitbringen.

Zwei lange Schlaufenschals gleich am Eingang zu Halle 12 weisen auf die Geißel des 21. Jahrhunderts: Spätfolgen von Umweltverschmutzung. Seit den 1990er Jahren findet eine Renaturierung der durch den Abbau von Uranerzen verseuchten Böden im Erzgebirge statt. Dies geschieht mit Hilfe spezieller Pflanzen und Netzstoffe. Eben diese Dinge nutzt Susanne Kriemann für ihre textilen Arbeiten und Heliogramme und macht sichtbar, was sich sonst der Darstellung entzieht: Strahlung.

Begleitend stehen den Textilien die Fotografien von Michael Beleites zur Seite. Dieser begann nach der Katastrophe in Tschernobyl sich mit den Folgen des Uranbergbaus in der DDR zu beschäftigen. Man sieht grasende Kühe auf einer Wiese an der ein schaumbekränzter Bach entlangfließt. Oder blickt auf rostrote Seen inmitten grüner Wälder. Zuletzt sieht man Schwarz-Weiß gehaltene Mondlandschaften, im Vordergrund ganze Batterien aus Röhren, denen schlammiges Wasser (?) entströmt.

Weniger haptisch und deutlich abgehobener beschäftigen sich die anschließenden Sektionen mit Kommunikationsakten in der Politik sowie den Auswirkungen von Kapitalismus und Neoliberalismus.

Unter der vielsagenden Überschrift »Das Verschwinden« geht es zunächst um den Verlust der eigenen Stadtgeschichte. In mehreren Zeichnungen verarbeitet Christoph Schäfer den Untergang des Kölner Stadtarchivs. Dort, wo es einst stand, prangt nun ein schwarzes Loch. Schuld an der Misere im März 2009 tragen, so Schäfer in einer Bildinschrift, Stadtentwicklungsmodelle und der Neoliberalismus, der wie eine graue Eminenz über allem thront.

Verlassene Industrieanlagen, leere Maschinenräume und ein alter Zeitungsartikel über den Fußballweltmeister Deutschland 1990 an einer ansonsten kahlen Hallenwand sind Zeugnisse der Massenentlassungen in den Leipziger Kirow-Werken im Winter 1990/91. Dort brach nach der Wende die Produktion zusammen. Harald Kirschner hielt diesen Moment des Stillstands fest als Mahnung an die negativen Folgen des Wirtschaftsumschwungs vor 28 Jahren. Weitere solche Fälle folgten.

In 360 montierten Kopien von Staatsschutzakten dokumentiert Miklos Klaus Rosza die Geschichte des Treuhandtraumas. Mehrere hundert Kalikumpel aus dem thüringischen Bischofferode fuhren 1993 nach Berlin, um gegen die Schließung ihrer Grube zu demonstrieren. Vor dem Gebäude der Treuhand in der Kochstraße kam es bald darauf zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Demonstranten.

»Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd«, wird Christa Wolf im f/stop- Programmflyer zitiert. Die Vergangenheit ragt in die Gegenwart und - im Falle einiger Akten des NSU-Prozesses - sogar in die Zukunft. Für 120 Jahre sind die Akten zu Andreas Temme gesperrt. Innerhalb von einer Minute soll er sich ausgeloggt und das Internetcafé verlassen haben, in dem Halit Yozgat ermordet wurde. Die Ermittlungen zum Fall legen nahe, dass das nahezu unmöglich ist. Doch ist dieses Faktum nur ein weiteres Element im undurchsichtigen Prozess um den NSU, der schon heute einen massiven Vertrauensverlust in die Staatsmacht zur Folge hat. Der zugehörige Comic, der sich der »Rekonstruktion einer Minute« widmet, ist dementsprechend genauso schwarz wie das Weltall, in das sich ein gegenüber schwebender Astronaut nach seiner Flucht von der Erde mit ihren Verschwörungstheoretikern, alternativen Fakten und in formalen Kommunikationsakten erstarrten Politikern flüchtet.

Es ist der Schlusspunkt eines Reigens, der zwischen Entfremdung, Empathie, Fakt und Fiktion, Ideen und Realitäten oszilliert. Die Schau richtet sich an Betrachter, die über die Kameralinse hinwegsehen.

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