Buchrezensionen

Fabiana Cazzola: Im Akt des Malens. Aspekte von Zeitlichkeit in Selbstporträts der italienischen Frühen Neuzeit, Wilhelm Fink Verlag 2013

Die Gottfried Boehm-Schülerin Fabiana Cazzola suchte sich für ihre Dissertation ein besonders schönes Thema aus: italienische Selbstporträts des 16. Jahrhunderts und die Darstellung der Zeitlichkeit in ihnen. Stefan Diebitz hat das Buch gelesen.

Es sind durchweg feine Beobachtungen und äußerst subtile Überlegungen, die Cazzola in ihrer Arbeit vorträgt, denn es geht ihr nicht um eine Darstellung des Alters, vielleicht gar im Stile des Barock mit eher grobschlächtigen Symbolen wie der Sanduhr oder dem Totenkopf, und auch sozialgeschichtliche Aspekte spielen nur eine ganz untergeordnete Rolle. Vielmehr ergeben sich ihre Überlegungen nahezu ausschließlich aus der Ausdeutung innerbildlicher Strukturen, deren Komplexität sie trotz der Einfachkeit der Situation aufzeigen und analysieren will. Als Titel des Buches nimmt die italienische Muttersprachlerin die deutsche Übersetzung der Formel »in atto di dipignere«, die sie in einem Inventar der Uffizien gefunden hat.

Cazzola, hier wie auch sonst immer auf den Spuren ihres Lehrers Gottfried Boehm, entdeckt ein Paradox in einem jeden Selbstporträt: man kann sich selbst nicht wie einen Fremden sehen. Ob man hier von einem Paradox sprechen kann (und es nicht bei einer Schwierigkeit belassen sollte), sei unentschieden; zumindest scheint es unmöglich, sich selbst in dem Augenblick zu malen, in dem man sich malt, denn das Ergebnis ist ja immer der bekannte Blick in den Spiegel, wenn der Künstler im Malen innehält, um auf sein eigenes Bild zu schauen. Dieses Paradox bezeichnet Cazzola als die »intrinsische Widersprüchlichkeit des Selbstporträts«. Besonders Bilder, auf denen sich Maler vor einer Staffelei abbilden, werden von der Autorin in diesem Sinne ausgedeutet, denn eine solche Darstellung betone sowohl den geistig-schöpferischen Prozess als auch den künstlerischen Prozess selbst. Nur beiläufig erwähnt Cazzola, dass das Selbstporträt eines Künstlers im Rahmen seiner Emanzipation, also seines im frühen 16. Jahrhundert erwachenden Selbstbewusstseins interpretiert werden kann. Wichtiger ist ihr, dass das Sich-Sehen und das Sich-Malen ineinander übergehen und dass in diesem Übergang das Selbst des Künstlers als Künstler erst entsteht. Sie zielt mit ihren Analysen immer auf Grundsätzliches, nicht auf Sozial- oder Kulturgeschichte.

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage von Bedeutung, ob sich die Künstler links- oder rechtshändig abbilden. Die Korrektur der durch den Spiegel hervorgerufenen Seitenverkehrung wird als »eine Art Objektivierung« gedeutet. Dazu wird der Blick in den Spiegel, der naturgemäß gelegentlich etwas schief wird, als transitorischer Blick bezeichnet, weil er zwischen dem Bild im Spiegel und dem allmählich entstehenden Porträt hin und her wandert. Es ist eine »Differenz im Sehen«, die Cazzola hier entdeckt. Besonders aber kommt es ihr darauf an, dass »der direkte Spiegelblick […] eine Gegenwärtigkeit und Unmittelbarkeit ins Bild« einführt, »die auf das Moment des expliziten Ausführens der Maltätigkeit hindeuten will.«

Dieses Moment hält die Autorin für so wichtig, dass sie es als Kriterium dafür nimmt, ob ein Bild ein Selbstporträt darstellt oder nicht. Findet sich kein Blick in den Spiegel, sondern schaut der Mensch auf dem Bild einfach nur entspannt nach vorne oder zur Seite, so wird auch die Möglichkeit abgelehnt, dass es sich um ein Selbstporträt handeln könnte. Wäre es aber nicht zumindest denkbar, dass ein Maler sich so malt, wie er sich selbst vorstellt, ja, dass er ganz auf den prüfenden Blick in den Spiegel verzichtet? Schließlich haben wir alle eine Vorstellung von uns selbst, wenngleich für uns, anders als für die Menschen der fraglichen Zeit, der Spiegel und darüber hinaus Fotos (»Selfies«) und Videos selbstverständlich geworden sind. Aber auch ohne das müsste es doch denkbar sein, dass ein Maler sich selbst darstellt, ohne schief in einen Spiegel zu linsen.

Cazzola interpretiert nicht allein das Gesicht, sondern auch Körperhaltung und Bewegungsbereitschaft, wobei natürlich die Hände des Künstlers im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Blick und Hand interagieren und stellen das Prozesshafte in ihrer Bewegung dar. Eine besondere Rolle spielt dabei der Pinsel, der sich oft am Bildrand befindet und damit auf die Materialität des Kunstwerks hinweise. Dazu wird auf den Bildrand verwiesen – es klingt fast ein wenig wie »romantische Ironie«, was Cazzola den Künstlern der Renaissance zuschreibt, und man kann eine Menge entsprechende Brechungen der Illusion bei Clemens Brentano oder Ludwig Tieck finden. In jedem Fall entdeckt Cazzola einen spielerischen Umgang mit dem Illusionismus: »Die Maler scheinen aus dem ‚Innersten des Bildes’ heraus zu malen, sie wenden sich mittels ihrer Malgeste von Innen nach Aussen der Bildoberfläche zu, sodass die dargestellte Leinwand als eine Art Membran zu betrachten ist, auf der die Maler ‚spielen’ und dadurch zur Darstellung gelangen.«

Es ist die Kernthese der Arbeit, für die Gemälde des Cinquecento deren Prozesshaftigkeit zu behaupten. »Der Dreh- und Angelpunkt für das Konvergieren von Zeitlichkeit und Zeitaspekten im und auf das Sich-Entfalten aus dem Bild heraus ist die Bildgegenwart der Selbstporträts, und zwar zum Zeitpunkt, wenn ein externer Betrachter die in ihnen angelegte zeitliche Spannung realisiert.« Wenn ich die Autorin richtig verstehe, spricht sie damit zwei verschiedene Aspekte an: einmal demonstrieren die Bilder, das sie gemacht und allmählich entstanden sind, zum anderen muss der Betrachter (einen anderen als einen externen kenne ich allerdings nicht) eben diesen Zeitablauf erfahren. »Die zeitliche Brechung wohnt den Werken strukturell inne, da in ihnen versucht wird, den Moment der eigenen Entstehung festzuhalten, und da sie darauf abzielen, etwas vorzustellen, was noch nicht ist und im Kommen begriffen ist, was aber zugleich bereits da ist. Was in den Selbstporträts ‚im Akt des Malens’ mit malerischen Mitteln thematisiert wird, ist im Grunde genommen nichts anderes als das Werden d(ies)es Bildes.«

An einer etwas späteren Stelle wiederholt Cazzola diese These noch einmal: »Es wird ein Bildkonzept für diese Selbstporträts umrissen, welches diesen Bildern eine Struktur der Erfahrung zumisst. Die Verbindung zu einem ‚phänomenologisch-bildwissenschaftlichen’ Ansatz liegt somit auf der Hand. Ich möchte hier demzufolge die These vertreten, dass das Bild als Selbstporträt erkannt wird, wenn der Betrachter betrachtend die ‚zeitliche Differenz’ dieser Werke erkennt und vollzieht.«

Abschließend noch eine Bemerkung zum Stil der Autorin, die eine höchst anspruchsvolle, geradezu verzwickt argumentierende Arbeit vorgelegt hat. Es ist sicherlich nicht schlimm, in einer wissenschaftlichen Arbeit gelegentlich »ich« zu sagen, aber Cazzola übertreibt es beträchtlich. Hier ein beliebig herausgegriffenes Beispiel – es handelt sich um nicht mehr als neun Zeilen Text: »Ich möchte nun versuchen […]. Ich möchte Frieds Bemerkung beipflichten […] hinsichtlich meiner Auffassung […]. Meine Charakterisierung […]. Dieser Punkt dient mir dazu […].« Und so geht es immer weiter – das ganze liebe Buch hindurch. Hat niemand Cazzola gesagt, dass dieses »ich« jeden Wert verliert, wenn sie es pausenlos gebraucht? Das gilt besonders dann, wenn die Autorin ein Ergebnis ihrer Arbeit als ihr Ergebnis (»mein Ergebnis«, »meine Sicht der Dinge«, »meine These«) herausstellt, denn in diesem Fall wird ein sachliches Resultat zu einer rein subjektiven Interpretation, die mich überhaupt nicht zu interessieren braucht. Nach mehr als zweihundert Seiten Text mag der erschöpfte Leser von diesem »ich« nicht mehr hören.

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