Ausstellungsbesprechungen

Fausto Melotti, Kunstmuseum Winterthur, bis 17. Juli 2011

Musik und Ingenieurkunst bestimmten die Ausbildung und prägten das Leben Fausto Melottis (1901–1986). Wie sein künstlerischer Weggefährte und Freund Lucio Fontana zählte Melotti zum Kreis des Mailänder Razionalismo der dreißiger Jahre, der sich um die Galleria del Milione versammelte. Mit abstrakten Reliefs und Skulpturen erregte er dort 1935 erstmals Aufsehen. Günter Baumann hat sich die aktuelle Schau des »Akrobaten der Moderne« für PKG angesehen.

Der vielseitig begabte Bildhauer aus dem italienischen Rovereto, Fausto Melotti (1901-1986), hätte genauso gut Theaterautor, Philosoph, Marionettenspieler, kurzum: ein Uomo universale klassischen Zuschnitts werden können. Sein Profil, dem allenfalls Picasso eine vergleichbar intensive Physiognomie hätte bieten können, zeigt einen Denkerkopf, dem ein einspuriges Lebenswerk zu wenig ist – die Fotografen erkannten wohl, dass dem Gesicht in der Frontalansicht ein eher bodenständiger Charakter innewohnte.

In Kooperation mit der Kunsthalle Mannheim, die das bildhauerische und zeichnerische Œuvre zu Beginn des Jahres gezeigt hatte, präsentiert das Kunstmuseum Winterthur noch für kurze Zeit das Schaffen des Multitalents. Der Titel der Mannheimer Ausstellung – Akrobat der Moderne – bezieht sich auf die bewundernden Bezeichnungen, die Freunde dem Künstler widmeten: mal Magier, mal Seiltänzer. Von Hause aus begeisterte sich Melotti jedoch für die Mathematik wie für die Musik, und er ergriff den Beruf des Ingenieurs, der bald seine zu geistigen Kapriolen neigende Fantasie über die drahtseildünnen Pfade der Poesie und der Kunst führte. Meist an der Schwelle zur minimalistischen Abstraktion erfand er bühnenartige Szenerien, denen er mit dem Charme eines leichtfüßigen Poeten Leben einzuhauchen verstand. So entstand über Jahrzehnte hinweg, seit seiner Beteiligung auf der Biennale in Venedig 1966 auch unter den Augen eines öffentlichen Publikums, ein zauberhaftes Panorama – oder war es eine Kulisse – für eine melancholische Parallelwelt, die das Leben in der wirklichen Welt erträglich machte.

International stand der Plastiker allerdings auch nach 1966 lange im Schatten seines Freundes Lucio Fontanas, der die Einschnitte, die das Leben in der Moderne markierten, drastischer zu formulieren wusste. Nördlich der Alpen nahm man das Schaffen Melottis verstärkt in den 1980er Jahren wahr, doch allem Anschein nach folgte man seinen Spuren nie so liebevoll und facettenreich wie in Mannheim und danach in Winterthur.

Das bildhauerische Werk Fausto Melottis speist sich aus einer Fülle von Stilen, Gattungen und Themen: eine vielschichtige Melange, aus der man Gesamtkunstwerke zusammenmischt. Der Symbolismus und Surrealismus, die Pittura metafisica sowie die geometrische Abstraktion und der Minimalismus sind dem Werk genauso unterlegt, wie sich ein musikalischer Rhythmus und eine poetische Stimmung darin niederschlagen, die bevorzugte Keramik wird kombiniert mit Messing oder Bronze, Gipsobjekte stoßen auf Edelstahlplastiken, und dekorative Konstruktionen gehen über in Theaterkästen (so genannte »Teatrini«). Leben und Kunst treten gemeinsam in einem fiktiven Bühnenraum auf, wobei die geschaffene Figuration ein brüchiges Dasein fristet.

»Die Kunst heute? / Metapher einer auf der Kippe stehenden Welt. / Wie ich mich fühle? / Glücklich in der Schwebe«. So liest man in einem Gedicht das Credo eines lebensfroh-melancholischen Menschen, in dem zwei Seelen in der Brust ihr Unwesen treiben. Paradox geht es zu in diesem Werk, das in den über hundert Exponaten ein phantasmagorisches Wirklichkeitsbild entwirft. In einem weiteren Gedicht, die in dem schön gemachten Katalog eingestreut sind, schrieb der Künstlerdichter: »Ich ziehe hier und dort an den Fäden / um ein Puppentheater – ein richtiges Haus – einzurichten. / In einem Zimmer in Schwarz und Weiß / fischt man Heringe. / Und in einem andern rettet ein heroischer Eisenbahner / ein Mädchen: vor einem heranrollenden Zug / reißt er es weg«.

Fausto Melotti gehört zu den wenigen Künstlern, die mit der Ratio der Mathematik in die irrationalen Gespinste des Traums sticht und umgekehrt poetische Träumereien über seine mitunter geometrischen Plastiken wirft. »Wenn ich einschlafe in deinen Kalten / Armen, Melancholie, / fühle ich mich so arm / Und träume von einem langen Zug, / der mich weit, weit fortträgt. / Dann, am Morgen, bist du es persönlich, / die mich zur Arbeit schickt«. Übers Musizieren vergisst sich der lyrische Protagonist, schreckt schreiend auf, dass seine Frau sich beschwert – und folgt dem Wunsch der Melancholie. Was im literarischen Werk genau wie im bildnerischen ganz hintergründig zum Vorschein kommt, was sich im späteren Werk vehement nach vorne drängt und wodurch er sein ureigenes Schaffen erst richtig begründet, ist eine wunderbar verspielte Ironie, die das Personal vor dem Schicksal einer Figur von Giacometti bewahrt – jenem Kollegen im existentiellen Geiste, dessen Theatralik eine tragische Kehrseite zur Commedia dell’Arte des Melotti darstellt. Wie nahe sich beide Positionen sind, zeigen die Skulpturen aber genauso wie die Zeichnungen, deren lebensbejahende Farbigkeit schnell in düster umwölkte Monochromie umschlagen kann, und deren zuweilen unermüdliches Suchen mit der Pastellkreide und dem Bleistift nach konstruktiven Weltentwürfen zu desillusionierten Statements geraten.

Weitere Informationen

Der Katalog zur Ausstellung »Fausto Melotti. Akrobat der Moderne« kann nur im Museum erworben werden.

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