Rezensionen

FH Joanneum (Hg.)/Erika Thümmel: Die Sprache der Räume. Eine Geschichte der Szenografie. Birkhäuser Verlag

Einen reich illustrierten Überblick möchte Erika Thümmel mit ihrer 260 Seiten starken »Geschichte der Szenografie« bieten. Dabei greift sie auf Fundstücke und Beobachtungen zurück, die sie in 15 Jahren Lehrtätigkeit im Bereich Informationsdesign am Grazer Joanneum (FH) sammeln konnte. Von der Beschreibung inszenierter Grabbeigaben bis zur Vorstellung heutiger Science Center geht es um eine Einführung für Praktiker und solche, die es werden wollen. Torsten Kohlbrei hat sich in der »Sprache der Räume« unterrichten lassen.

Cover © Birkhäuser Verlag
Cover © Birkhäuser Verlag

Geschrieben für Studierende verführt Erika Thümmels »Geschichte der Szenografie« trotzdem zum Schmökern. Dies liegt vor allem an der additiven Struktur, die ein wenig an einen Zettelkasten erinnert. Jedes der grob chronologisch geordneten Kapitel unterteilt sich in kurze Abschnitte, die Fakten zusammentragen und Impulse zur weiteren Beschäftigung vermitteln. Das wirkt teils erfrischend, spontan und direkt, teils geht der argumentative Faden verloren. Es fehlt die Herausbildung eines Begriffsapparats und seine kritische Einordnung. So bleibt beispielsweise im vagen, welche Kulturbegriffe hinter den beschriebenen Spielarten immersiver (= eintauchender) Ausstellungskonzepte für Nationalmuseen, Erlebnisausstellungen, Panoramabilder oder Geisterbahnen stehen.

Also zurückgeblättert: Im einleitenden Kapitel erläutert Erika Thümmel ihr Verständnis des Begriffs Szenografie. Sie begreift darunter die »Präsentation von Dingen oder Ideen im realen 3D–Raum« oder noch prägnanter die »Kunst der ästhetischen Raumbildung«.
Eng mit dem szenografischen Handwerk ist das Sammeln und Ausstellen verbunden. Deshalb zeichnet Thümmel auf den ersten rund 180 Seiten die Geschichte ganz unterschiedlicher Präsentationsformate nach. Dabei spannt sie den Bogen von frühgeschichtlichen Grabbeigaben und ihrer Inszenierung über Kunst– und Wunderkammern zu den großen Museumsgründungen des 19. Jahrhunderts, den Weltausstellungen und Wachsfigurenkabinetten bis hin zu den ideologiegesättigten Ausstellungsformen im Faschismus sowie zum Museumsboom nach 1945. Das faszinierend breite Spektrum ist dabei – so bekennt Thümmel mit Bedauern – subjektiv und auf Mitteleuropa beschränkt.

Auf Basis dieser Reise durch die Präsentationsgeschichte widmet sich Thümmel dann der »Erfindung der (Ausstellungs–)szenografie«, die nach ihrer Beobachtung als Begriff um das Jahr 2000 gebräuchlich wird. Im Abschnitt »Symphonischer Klang« erläutert sie die Notwendigkeit einer szenografischen Ordnung aus der gewachsenen Zahl an Gestaltungsbereichen. Das Nebeneinander von Kurator, Grafiker, Ausstellungsarchitekt und Mediengestalter verlangt nach einer »zusammenführenden Regie«: »Szenografie ist der Schlüssel zum Gesamtkunstwerk, verbindet sie doch das Kognitive mit dem Emotionalen. Szenografie ist Komposition, Choreografie und Dramaturgie.«
Im Folgenden werden acht Protagonisten der Szenografie–Geschichte vorgestellt. Die Auswahl reicht hier von Harald Szeemann, dessen konzeptgetriebene Präsentationen seinen Ruf als »Erfinders des Berufs Ausstellungsmacher« begründeten (Leiter der documenta 5, 1972; Kurator am Kunsthaus Zürich, 1981–91) bis zum Atelier Brückner, das unter dem Leitsatz »forms follows content« für wichtige Ausstellungskonzepte, Messestände und Unternehmensmuseen (BMW Museum München) steht.
Ebenso würdigt Thümmel sieben Künstler, die durch raumgestalterische Arbeiten die szenografische Praxis geprägt haben. Wieder wird ein weiter, subjektiver Bogen gespannt, der auf je einer Doppelseite sowohl den britischen Filmregisseur und gelegentlichen Ausstellungsmacher Peter Greenaway als auch den Theatermacher Robert Wilson (The Black Rider, Hamburg 1990) und den an physikalischen Phänomenen interessierten Künstler Ólafur Elíasson (Weather Project, London 2003) umfasst. Mehr als die etwas zufällige Auswahl stört jedoch eine gewisse Oberflächlichkeit.
Die Darstellung von Harald Szeeman gleicht einer Laudatio, eine präzise Analyse seines Umgangs mit szenografischen Fragestellungen sucht man vergebens. Bei der Vorstellung der italienischen Architektin und Designerin Gae Aulenti widmet sich Thümmel mit gerade einmal vier Zeilen deren Umbau des Pariser Gare d’Orsay zum Museum (1980–86). Wie spannend wäre es gewesen, an diesem Beispiel das Zusammenspiel von neuem Konzept, historischem Ort und szenografischem Design zu verfolgen!
Ein weiteres Kapitel ist den führenden Persönlichkeiten auf dem Gebiet »Digitaler Szenografie« gewidmet. Hier werden mit Nam June Paik, Studio Azzurro, Fabrizio Plessi, ART+COM und checkpointmedia Künstler und Kreativ–Büros gleichwertig nebeneinandergestellt. Das separate Kapitel nutzt Thümmel einerseits, um die erweiterten Möglichkeiten zur edukativen Interaktion und Gestaltung von intensiven Erlebnisräumen durch multimediale Präsentationsformen hervorzuheben, andererseits betont sie, dass die neuen Technologien letztlich Werkzeuge sind, die erst durch ein Konzept zur Kommunikation im Raum und damit zum »USP« einer Ausstellung werden.
Diesem »Unique Selling Proposition« gilt auch Erika Thümmels abschließendes Kapitel. Die Poesie der Räume, das Vertrauen in seriöse Information und die Faszination von Originalexponaten sind Schlüsselworte ihres Appells, das szenografische Werkzeug immer wieder neu zu nutzen: »Ich wünsche mir Museen und Ausstellungen, die so spannend wie Kino [sind].«

Wie sehr Erika Thümmel bei allen Kurzdarstellungen und summarischen Auflistungen ihre Studenten im Blick hat, zeigen auch die an verschiedenen Buchstellen eingefügten farblich hervorgehobenen Seiten. In diesen Exkursen werden »Die Erfindung der Vitrine«, »barrierefreie Gestaltung« und weitere praxisorientierte Fragestellungen behandelt.

Nach der Lektüre, die sicher weniger linear als in einem Vor– und Zurückblättern erfolgt, hat man ganz unterschiedliche Mosaikstücke aus der raumbildenden Kunst kennengelernt und das Verständnis für die Herausforderungen der Praxis geschärft. In diesem Sinne ist Thümmels »Geschichte der Szenografie« durchaus ein Gewinn, auch wenn der Untertitel eine Erwartung aufbaut, die der praxisorientierte Ansatz weder einlösen kann noch muss.


Die Sprache der Räume. Eine Geschichte der Szenografie
FH Joanneum (Hg.)/Erika Thümmel
Birkhäuser Verlag
259 Seiten
Illustrationen 173 S/w und 551 kol.
ISBN/EAN978-3-0356-2271-3

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