Buchrezensionen, Rezensionen

Filippo Coarelli: Römische Kunst. Von den Anfängen bis zur mittleren Republik, Philipp von Zabern 2011

Den Aufstieg der römischen Kunst und ihre allmähliche Selbstfindung, beeinflusst von etruskischem und griechischem Kunsthandwerk, beschreibt der Altphilologe Filippo Coarelli in einem opulenten Bildband, in dem der Leser viel über die alte und älteste römische Geschichte lernt. Stefan Diebitz hat sich in den großartigen Band vertieft.

Der wunderbare Bildband über die Kunst des alten Rom ist eigentlich keine Kunst-, sondern eher eine Sozial- und Kulturgeschichte, denn einerseits stellt der Autor nicht allein die Kunst dar, sondern auch Architektur und Stadtgeschichte oder schreibt über Grabanlagen. Andererseits stünden wohl die meisten Leser der römischen Kunst ganz verständnislos gegenüber, würde nicht ein Fachmann die Leitlinien zeichnen, die einzelnen Artefakte in die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte einordnen, sie also in Beziehung zur allmählichen Ausbreitung der römischen Kultur setzen oder auf die Einflüsse der Etrusker und Griechen hinweisen. Filippo Coarelli, ein renommierter klassischer Philologe, dürfte deshalb so etwas wie die Idealbesetzung für dieses Buch sein.

Geschichte und Kunst der Stadt Rom schildert er ab urbe condita und seine Darstellung weiß in allen ihren Teilen zu fesseln. Am Anfang steht die Baugeschichte im Vordergrund (»Die archaische Stadt«) und das bedeutet sowohl die Entwicklung des Familienhauses wie des Tempels, aber natürlich auch die Entwicklung der Stadt selbst, die offenbar sehr chaotisch verlaufen ist und so zwangsläufig zu einer labyrinthartigen Struktur führte. In diesen ersten Kapiteln faszinieren besonders die Darstellungen menschlicher Köpfe, manche davon mit dem ganz fremd auf dem Gesicht liegenden archaischen Lächeln, das mit einem Schlag den Abstand deutlich macht, der zwischen uns und diesen frühen Bewohnern Roms klafft. Bei den Plastiken lässt sich ihr Alter zusätzlich an ihrer steifen Haltung ablesen.

Manche der Statuen besitzen riesige Augen – ein typisches Merkmal archaischer Menschendarstellungen, das sich auch in anderen Kulturen findet. »Die weit aufgerissenen Augen, die breiten Lippen und die nach unten weisenden Mundwinkel«, schreibt Coarelli über die Plastik einer Göttin, »sollen Gewalt und Schrecken vermitteln – ein Bild, das durch die originale Bemalung sicherlich noch unterstrichen wurde.« Er hätte besser auf seine Ausdeutung verzichtet, zumal diese eine reine Vermutung darstellt, und sich besser auf das Moment der Fremdheit konzentriert, das diese in eine weite Ferne starrenden Figuren auszeichnet. Es ist ebenso gut möglich, dass diese Statuen einfach nur Menschen darstellen, die in sich hinein lauschen; Julian Jaynes hat diese Vermutung einmal geäußert. Im Normalfall nehmen die Augen ungefähr 10 Prozent von der Höhe des Kopfes ein, bei sehr alten Statuen aus Mesopotamien aber finden sich welche mit 18 Prozent! Jaynes sprach deshalb von „the exaggerated eyes in the early stages of every civilization“. Die Tatsache, dass auch einfache Menschen mit derart riesigen Augen dargestellt wurden, lässt jedenfalls Coarellis Erklärung, sie sollten Schrecken erregen, als obsolet erscheinen.

In dem zweiten Teil des Buches, »Die mittlere Republik«, wird die gesamte Bandbreite von Architektur, Kunst und Kunsthandwerk ganz systematisch dargestellt. Natürlich lässt sich das nicht bewerkstelligen, ohne auf chronologische Fragen und andere Aspekte einzugehen, die eigentlich in das Gebiet der Archäologie und der Alten Geschichte gehören.

Zum Höhepunkt des Buches gerät am Ende dieses Kapitels die Schilderung und Ausdeutung der »Ficoronischen Cista« aus der Mitte des vierten vorchristlichen Jahrhunderts, die sich in einer Grablege erhalten hat. Cisten sind »zylinderförmige Behältnisse aus Bronze zur Aufbewahrung weiblicher Utensilien«. Und das von Coarelli so ausführlich behandelte Objekt ist allerdings aller Aufmerksamkeit wert. Die aufgelötete Figurengruppe auf dem Deckel (sie ist auch auf dem Umschlag zu sehen) stellt wohl Dionysos mit zwei Satyrn dar. Dazu kommen kunstvolle Füße (Löwentatzen auf Fröschen) und als wichtigster Aspekt ein umlaufender, von Coarelli subtil ausgedeuteter Fries, der mit Umzeichnungen und Detailaufnahmen dem Leser nahegebracht wird.

Unverständlich ist die Lieblosigkeit des Verlages im Umgang mit dem Text, denn es gibt zahlreiche Fehler bis hin zu überflüssigen oder auch fehlenden Wörtern. Das wäre ebenso wenig nötig gewesen wie die italienische Textstelle, die es irgendwie geschafft hat, sich nicht übersetzen zu lassen. Was Dionysios von Halikarnassos, ein griechisch schreibender Autor des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, über Fabius Pictor schrieb, kann also nur derjenige verstehen, der des Italienischen mächtig ist. Auch kann der Leser nicht auf ein Glossar zurückgreifen, das ihm die zahlreichen, von Coarelli ganz selbstverständlich gebrauchten Fachbegriffe übersetzen könnte. Wer weiß denn spontan, was eine Strigilis ist oder wo sich Akroterien finden? (Eine Strigilis ist ein Gerät zum Abschaben des Schweißes, ein Akroterion ist ein schmückendes Bauelement eines Tempels, meist zum Abschluss des Firstes.)

Überragend dagegen ist in diesem Buch die Qualität der Abbildungen, denn besonders die Fotos von kleinen Gegenständen sind nicht allein in schönen Farben und sehr detailliert abgebildet, sondern wirken dank einer geschickten Ausleuchtung geradezu plastisch. Man glaubt, sie mit den Händen greifen zu können! Wahrscheinlich hängt das auch mit dem Schatten auf der Unterlage zusammen, der in den meisten Fällen mit abgebildet wird. So finden sich in diesem Band Dutzende von Bildern auf hochwertigem Papier, die ich schlicht wunderbar finde.

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