Im Jahr 2024 jährt sich der Todestag von James Ensor zum 75. Mal. Antwerpen würdigt den „Maler der Masken“ mit einer Reihe von Ausstellungen, die im KMSKA, im Modemuseum und an weiteren Orten stattfinden. Dabei werden Ensors Werke stets im Kontext seiner Zeit präsentiert oder mit neuen Kunstwerken kombiniert. Eines steht fest: Bis heute inspiriert Ensors Kunst zahlreiche Künstler und Kunstliebhaber. Andreas Maurer hat die Ausstellungen besucht.
Ein Pionier. Ein Gamechanger. Der Maler der Masken. Egal, wie man ihn beschreibt, James Ensor ist zweifellos eine Schlüsselfigur in der belgischen Kunstwelt. Kein anderer Künstler hat eine vergleichbare verbindende Rolle für die Entwicklung der Moderne gespielt. Er befreite die Malerei von romantischem Heroismus und oberflächlichem Schein. Unter seinem Einfluss entwickelte sich die bildende Kunst zu einer liberalen Traumwelt, deren Horizonte weit über seine ikonischen Masken hinausreichen.
James Ensor (1860–1949), geboren in Ostende wuchs in einem von maskenhafte Figuren und vielfältigen Einflüssen geprägten Umfeld auf, was seinen späteren Werk beeinflusste. Ensor ist berühmt für seine surrealen und oft grotesken Darstellungen, die Themen wie Tod, Gesellschaftskritik und allzumenschliche Gefühlszustände untersuchen. Besonders markant sind seine Gemälde mit Masken und Verkleidungen, die die Absurdität des Lebens unterstreichen. Seit den 1880er Jahren erlangte er internationale Anerkennung und gilt als Vorläufer des modernen Künstlers. Sein Werk hat die Entwicklungen der modernen Kunst maßgeblich beeinflusst - und das bis heute.
Die aktuellen Ausstellungen in den Antwerpener Museen konzentrieren sich daher vor allem auf Ensors anhaltende Relevanz und die faszinierende Wechselbeziehung mit zeitgenössischer Kunst, Mode und Fotografie, auf die inspirierende Wechselwirkung zwischen Ensors Werk und der modernen kreativ-kulturellen Landschaft.
KMSKA
28.09.24 - 19.01.25
Das Ensor-Jahr 2024 wäre ohne eine Ausstellung im KMSKA unvollständig. Das Königliche Museum der Schönen Künste in Antwerpen beherbergt auch die größte Sammlung an Werken von James Ensor. Unter dem Titel „In Your Wildest Dreams. Ensor Beyond Impressionism“ – gleichzeitig die umfangreichste belgische Ausstellung über Ensor seit der Retrospektive im Jahr 1999 – bietet das Museum einen tiefgreifenden Einblick in das Schaffen dieses bahnbrechenden Künstlers. Multimedial gestaltet, mit Videos und eindrucksvoll inszenierten Ausstellungsräumen, haben die Besucher:innen die Möglichkeit, in Ensors faszinierendes Universum voller lebendiger Visionen, Masken und satirischer Elemente einzutauchen.
Die Werke des in Ostende geborenen Künstlers werden erstmals auch neben seinen Zeitgenossen wie Monet, Manet und Munch präsentiert. Während sich Ensor etwa von Renoir zu besonderen Lichteffekten inspirieren ließ, empfand er die Inhalte der impressionistischen Werke aber bald als „zu harmlos“. Das Ergebnis sind spannende Gegenüberstellungen, die Ensors künstlerische Entwicklung in einem größeren Kontext verdeutlichen und zeigen, dass der „Maler der Masken“ nicht nur eine bedeutende lokale, sondern auch eine revolutionäre internationale Figur war – ein Künstler, der die Regeln seiner Kunst selbst definierte. In seinem Streben nach Freiheit wandte sich Ensor gezielt daher vom klassischen Schönheitsideal des Malereikanons ab, um schließlich – ähnlich wie der Deutsche Emil Nolde – mit chimerischen Bildern und einer ausdrucksstarken Farbpalette zu beeindrucken.
Dabei verlässt Ensor auch regelmäßig das vertraute Terrain der Malerei und drückt sich in anderen Genres der bildenden Kunst aus. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die „Versuchung des Heiligen Antonius“, eine monumentale Collage aus 51 Blättern, die ein Wimmelbild voller Sozialkritik und zeitgenössischer Wissenschaft präsentiert.
Wer noch tiefer in Ensors maskenhafte Welt eintauchen möchte, für den bietet das KMSKA auch ein umfangreiches Rahmenprogramm an.
Ensors Frauen
Mit dem Late-Night Konzert-Event „Frauen und Mythen. Ensors Heldinnen“ setzt Artist in Residence Elise Caluwaerts ihr Reise über Frauen in der Kunst fort - unterstützt u.a. von Musik von Maurice Ravel.
Malgrund
Im Rahmen einer „Open Restauration“-Führung kann man sogar Ensors farbintensiven Werken auf den „Malgrund“ gehen. Alle zwei Monate darf man einen Blick in die sonst geschützte Restaurierungswerkstätte des KMSKA werfen. Am 5. November wird etwa Ensors Gemälde „Nachmittag in Ostende“ durchleuchtet.
Museum Plantin-Moretus
28.09.24 - 05.01.25
„Zustände der Phantasie“ heißt der Beitrag des Museum Plantin-Moretus zum Ensor-Jahr 2024. Die über 400 Jahre alte Renaissance-Druckerei, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, widmet sich dabei intensiv dem grafischen Werk von James Ensor.
Jahrelang experimentierte Ensor insbesondere mit Radierungen, und obwohl er selbst sagte: „Ich beherrsche das Handwerk des Radierens überhaupt nicht. Ich zeichne und graviere ordentlich, aber ansonsten überlasse ich alles dem Zufall. Ich kenne nicht alle Tricks und Kniffe des Ätzens, was dazu geführt hat, dass ich zahlreiche Platten beschädigt und mir unnötig die Augen verdorben habe“, entwickelte er dennoch rasch eine einzigartige Herangehensweise.
Mit Rembrandt und anderen Vorgängern im Hinterkopf, beschritt Ensor einen eigenen, innovativen Weg in der Herstellung seiner Radierungen. Sein Atelier fungierte gleichzeitig als kreatives Labor, in dem der Zufall maßgeblich das Endprodukt beeinflusste.
In der aktuellen Ausstellung hat das Museum Plantin-Moretus wertvolle Zeichnungen, Kupferplatten und verschiedene Stadien von Ensors druckgrafischem Werk zusammengetragen. Kenner:innen werden zudem von den verschiedenen Papiersorten, Pergamenten und farbigen Seiden beeindruckt sein, auf denen Ensor seine Drucke anfertigte. Selbst unfertige Zeichnungen wurden von ihm auf Papier übertragen und anschließend von Hand mit Bleistift, Gouache oder Aquarell koloriert.
Gefährliche Köche
Parallel gibt es im Lesesaal des Museums, der aus dem 18. Jahrhundert, stammt die Mini-Ausstellung „Ensor durch gefährliche Köche filetiert. Ensor filetiert von Emile Verhaeren.“ zu sehen. Diese bedient sich vor allem in der hauseigenen, aber bis dato wenig beachteten, Verhaeren-Sammlung. Ensors Zeichnung „Gefährliche Köche“ bildet dabei das Zentrum.
Ensor Nacht
Inspiriert von James Ensors Druckserie „Die sieben Todsünden“ (1904) lädt das Museum am 21. November zu einer besonderen „Ensor-Nacht“ ein. In der Dunkelheit entfaltet sich eine Welt voller Versuchungen: Am Buffet darf geschlemmt und bei einem eigens gemixten Cocktail genossen werden. Overlast hat ein aufregendes – laut Museum „gewaltiges“ – Musikprogramm kuratiert. Die Besucher:innen haben zudem die Gelegenheit, sich voyeuristisch an der provokanten Videoinstallation „The P*rngraphic Archive of Clothed Dialogue“ des Magdalena Collectief zu erfreuen oder dem Glücksspiel zu fröhnen. Selbst die Sünde der „Trägheit“ kommt an diesem magischen Abend nicht zu kurz, mit Live-Electronics und Visuals von „TyPpO + oz’n’roll“. Und keine Sorge: Buße müssen Sie im Anschluss nicht tun.
https://museumplantinmoretus.be
Fotomuseum Antwerpen (FOMU)
28.09.24 - 02.02.25
James Ensor und Cindy Sherman – wie passt das zusammen? In der Ausstellung „Cindy Sherman. Anti-Fashion“ interpretiert das Fotomuseum Antwerpen zentrale Themen von Ensors Werk in zeitgenössischer Fotografie. Ähnlich wie Ensor ist auch Sherman für ihren kritischen und ironischen Umgang mit gesellschaftlichen Normen durch Maskeraden bekannt. Diese Technik nutzt sie, um verborgene Wahrheiten und Absurditäten ans Licht zu bringen, soll heißen: eine Maskierung, die gleichzeitig eine Demaskierung der Gesellschaft ergeibt – ihre Werke sind überwältigend, gleichzeitig aber auch introvertiert und rätselhaft.
Cindy Sherman (geb. 1954) betrachtet Identität in ihren Fotografien als konstruierte Realität und hinterfragt die Darstellung von Frauen in den Massenmedien. Seit den 1970er Jahren ist sie ihr eigenes Modell; geschminkt, kostümiert und verkleidet nimmt sie immer wieder neue Identitäten an und lässt sich dabei von den visuellen Klischees inspirieren, die in Film, Fernsehen, Mode, Zeitschriften, Kunstgeschichte und dem Internet omnipräsent sind. Durch die Übertreibung von Stereotypen bis hin zur Absurdität und Groteske entlarvt Sherman starre Vorstellungen von Geschlecht, Schönheit und Altern. Jedes Mal unterzieht sie dominante Bildmuster einer kritischen Analyse und bleibt dabei am Puls der Zeit, was den Betrachter immer wieder mit unerwarteten Figuren und Motiven überrascht. Mit ihrem feinen Humor und scharfer Intelligenz spiegelt sie uns unsere eigenen Wahrnehmungen und Missverständnisse wider.
Sherman schöpft aus ihren zahlreichen Aufträgen für renommierte Zeitschriften wie Vogue und Harper's Bazaar sowie ihrer engen Zusammenarbeit mit bedeutenden Designern, die ihr als ständige Inspirationsquelle dienen. Umgekehrt hat die Künstlerin auch die Modewelt maßgeblich geprägt und ihr neue Impulse gegeben.
Das FOMU präsentiert mit dieser Ausstellung die erste große Soloausstellung der amerikanischen Künstlerin in Belgien. Mit mehr als 100 Werken, die einen Zeitraum von den 1970er Jahren bis heute umfassen, bietet die Schau einen faszinierenden Überblick über das Schaffen dieser bedeutenden Künstlerin.
Ein Highlight der Ausstellung ist die Präsentation früher Werke von 1975 bis 1980, die einige von Shermans zentralen Motivationen und Ideen beleuchtet. Diese umfasst experimentelle Arbeiten aus ihrer Studienzeit sowie die ikonische Serie „Untitled Film Stills“, die ihr Ende der 1970er Jahre zu internationalem Ruhm verhalf. Die Sektion „Cindy Sherman – Frühe Werke 1975-1980“ wurde in Zusammenarbeit mit Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND in Wien, entwickelt.
Modemuseum
28.09.24 - 02.02.25
Ist Make-up eine Maske oder ein Ausdrucksmittel? Mit dieser provokanten Frage schlägt das MoMu eine Brücke zu James Ensors Auffassung von Maskeraden. In der Ausstellung „Maskerade, Make-up & Ensor“ wird der Meister des Surrealismus ins 21. Jahrhundert katapultiert. Insbesondere Ensors Maskeraden, (falsche) Koketterie, Verführung und Irreführung, sowie auf Künstlichkeit und Vergänglichkeit. Zeitgenössische Make-up-Artists und Künstler:innen beschäftigen sich intensiv mit Themen wie der Darstellung von Frauen, dem Einfluss physischer und digitaler Gesichtsfilter, gestörten Körperbildern und den Ritualen des Schminkens.
Das MoMu zelebriert diese „Malerinnen der Mode“ in einer multimedialen Werkschau, in der Licht, Farbe, Kunst, Mode und Make-up auf faszinierende Weise zusammentreffen.
Historisch wurde Make-up häufig mit dem Tragen einer Maske verglichen, die das wahre Gesicht verbirgt. James Ensor war ein scharfer Beobachter menschlicher Verhaltensweisen und entlarvte deren Unsicherheiten und falsche Anmut. Ab 1888 nutzte er Masken, Kleidung und Accessoires als vielseitige Instrumente, um die tiefsten Emotionen seiner maskierten Figuren zu offenbaren. Seine Werke werfen universelle Fragen auf: Warum tragen wir Masken? Warum fürchten wir das visible Altern? Wie navigieren wir durch sich ständig verändernde und oft unerreichbare Schönheitsideale?
Die Produktion von Make-up und Schönheitsprodukten hat sich seitdem zu einem Millionengeschäft entwickelt, das Menschen mit Themen wie körperlicher Vergänglichkeit, eingebildeten Makeln und existenziellen Ängsten konfrontiert. Gleichzeitig ist Make-up, ähnlich wie Malerei, eine Form des persönlichen Ausdrucks, des künstlerischen Experiments und ein Ausdruck von Freude und Freiheit. Die Ausstellung „Maskerade, Make-up & Ensor“ untersucht, wie eng Make-up mit den verschiedenen Facetten des menschlichen Daseins verknüpft ist.
Zu sehen sind Werke von Künstlern wie James Ensor, Issy Wood, Cindy Sherman, Tschabalala Self, Genieve Figgis, Harley Weir, Julien d'Ys, Inge Grognard, Peter Philips, Martin Margiela, Christian Lacroix, Walter Van Beirendonck, Cyndia Harvey, Thomas de Kluyver, Lucy Bridge, Eugene Souleiman, Éamonn Freel, Bruce Gilden und vielen anderen.