Ausstellungsbesprechungen

Flower Power in mehreren Stuttgarter Ausstellungen

In unterschiedliche Materialien gefasste Blütenmeere läuten den Sommer in den Stuttgarter Galerien Abtart, Schacher und Rumig ein. Günter Baumann ist in die Pracht abgetaucht und berichtet Ihnen von kuriosen Fundstücken wie den »Duchampignons«.

Die Galerie Abtart nimmt in Stuttgart eine Sonderstellung unter den Ausstellungsinstitutionen ein. Mit ihren drei Etagen und einer Architektur, die ihresgleichen sucht, gleicht die Galerie eher einem Privatmuseum, was noch dadurch bekräftigt wird, dass wechselnde Kuratoren groß angelegte Ausstellungen konzipieren. Im Falle der künstlerischen Blumenschau holte die Galeristin Tilman Osterwold und seine Frau ins Haus, die eine bunte und üppige Vielfalt an Floralität zusammentrugen, so dass auch noch der Altbau der Galerie und die Gartenanlage miteinbezogen wurden, wo die Video-Installationen Platz gefunden haben. Besonders faszinierend ist das »weisse blütenmeer« von Stefanie Pöllot.

Im Foyer der Hauptgalerie und in den Etagen darunter und darüber dominieren zwar die klassischen Medien, doch gibt die exaltierte Farbigkeit den Ton an. Das grelle Dschungelbild von Kenny Scharf, über eine kühn gegen den Strich anpunktende Motivtapete gelegt, steht für die anregende, fantasiestrotzende Atonalität der Schau, die Kitsch und Kunst, Abstraktion und Gegenständlichkeit souverän mischt. 10 bis 15 cm hohe Leichtgewichte wie die Sterlingsilbergüsse Mariella Moslers, die das von Pflanzen überwucherte Herzmotiv variieren, kontrastieren den zentnerschweren Teppich von Susanna Taras, »pensées d’amour« überschrieben. Die rote Rose darf nicht fehlen: Sie begegnet uns in Fotografien von Hans-Peter Feldmann, in einer Kunststoffserienproduktion von Ottmar Hörl sowie in einer fotorealistischen Tinte- und Kohlearbeit von Robert Longo. Grandiose Einzelpositionen von Peter Holl, Yves Netzhammer, Gabriela Oberkofler, Tobias Rehberger, Thomas Schütte, Luzia Simons oder Wolfgang Tillmans machen die Schau zu einem thematischen Highlight des Sommers. Die gegenwärtig hochgehandelte Pia Maria Martin brilliert im Eingangsbereich mit einem ihrer witzigen Videos.

Weitere Künstler sind: Mark Alexander, Halil Altindere, John M Armleder, Bill Beckley, Katharina Bosse, Gregory Crewdson, Fischli/Weiss (David Weiss starb während der Vorbereitung der Ausstellung), Friedemann Flöther, Thomas Florschuetz, Cordula Güdemann, Dennis Hopper, Rachel Khedoori, Marie-Jo Lafontaine, Laura Letinsky, Yi Zheng Lin, Mirko Martin, Hiroyuki Masuyama, Rupprecht Matthies, Takashi Murakami, Tony Oursler, Boris Petrovsky, Marc Quinn, Stefan Rohrer, David Salle, Annette Schröter, Thomas Schütte, Thomas Stimm, Elaine Sturtevant, Oliver Wetterauer.

Doch lassen sich selbstredend ganze Heerscharen weiterer Blumenvarianten finden. Der Galerist Marko Schacher muss den Spieß gar nicht umdrehen, wenn er der Power-Flower-Schau bei Abtart seine Flower-Power-Ausstellung zur Seite stellt, zumal Yi Zheng Lin, der in der großen floralen Umgebung als Mitspieler auftritt, hier als Protagonist neben Claudia Thorban brilliert. Es ist sogar so, dass der Galerist bewusst auf die Flower-Power-Blumenkinder-Farbigkeit verzichtet und auf eine reduzierte Farbe setzt. Ohne die Natur kommen die gewitzten Installationen Lins und die großformatigen Erkundungs-Spurenbilder Thorbans freilich nicht aus.

Die 1949 geborene Künstlerin macht sich mit Stift und Fotokamera auf die Suche nach einer Art Urpflanze, die in schwarz-weißen oder schwachfarbigen Drucken und Zeichnungen zum Sinnbild für das Leben emporwächst. Die Konzentration auf die Gewebestruktur von Blättern, erforscht mit dem grau-harten oder dem tiefschwarzen Bleistift die Nervenbahnen und Zellformationen etwa eines Farnwedels. Die Schraffur setzt schließlich die Bewegung des im Wind stehenden Blattes auf dem Papier fort. Wesentlich ist der Künstlerin, dass die Natur in der Überführung in die Kunst ihrer selbst bewusst bleibt – weshalb ihr auch der Prozesscharakter wichtig ist, der Werden und Vergehen gleichermaßen umfasst. In den farbigeren Arbeiten steigert sich der impulsive Duktus, und die chiffrierten Zeichen auf Plexiglas nehmen zu, nicht ohne formal den Dialog zu den rein zeichnerischen Bildern zu suchen: kein Wunder, dass sich die Einzelarbeiten zu einem multimateriellen Ensemble verdichten.

Während Claudia Thorban an der Natur entlang arbeitet, nutzt Yi Zheng Lin Fundstücke wie Plastikkabel und -schläuche, Siebe und Schüsseln und anderes, die er mit Stoff umstrickt und umwickelt, um skurrile, hochgradig floral-organische, um nicht zu sagen sinnlich-erotische Formen zu schaffen. Der 1962 geborene Autodidakt kombiniert europäische Oberflächlichkeit und fernöstliche Tiefe – die sich bekanntermaßen oft mischen bzw. in vertauschten Rollen ergänzen –, um sowohl die profane Alltagstauglichkeit wie die kunstvolle Märchenhaftigkeit unter Beweis zu stellen. Die Ready-mades setzt der Bildhauer, der zufällig über den Messebau zur Kunst kam, ironisch in Bezug zu Marcel Duchamp, wie aus Titeln wie »Duchampignons« deutlich wird. In seinen Papierarbeiten sucht der Objektartist die Nähe zu Action Painting und Informel; sie lassen in ihrer Akribie jedoch das gestische Feld schnell hinter sich.

Vergleicht man seine Dingwelten mit den Blätterwelten von Claudia Thorban, findet sich doch bei allen Unterschieden eine Verwandtschaft, und zwar die Poesie, die hinter ihnen vorschimmert: Thorbans Werk ist dabei ein wenig elegisch gestimmt, Yi Zheng Lins Objekte kommen eher Nonsensversen gleich.
Als Special Guests hat Schacher den Hauptakteuren zwei Meister im sogenannten Projektraum an die Seite gestellt: einmal den Fotografen Bernhard J. Widmann mit einer Fotoserie »Eva kommt später«, zum anderen den fantastischen Realisten Hans Bäuerle, der im Kabinett mit hinreißend bunten, sagenhaften Vogel- und Pflanzenmotiven vertreten ist.

Am 28. Juli findet bei Schacher übrigens eine Finissage statt, die man sich schon wegen des grandiosen Ambientes und der Atmosphäre des Galerienhauses nicht entgehen lassen sollte: In einem der schönsten Galerie-Ausstellungsräume findet das Saison-Abschluss-Fest statt, an dem auch die Partnergalerie Merkle teilhat, wo zwar keine Blütenträume zu sehen sind, sondern Druckgrafik vom feinsten – und das zu einem guten Preis – präsentiert wird: von Ulrike Kirbach, Emma Neufeld, Monika Schaber, Hannes Steinert, Armin Subke, Rolf Urban und Lambert Maria Wintersberger.

Auf den ersten Blick wenig »flower-power«-verdächtig ist das Werk von Rainer Nepita— aber der Ausstellungstitel »Florales Alphabet«, der tatsächlich programmatisch das Werk des Malers kennzeichnet. Der 1954 geborene Nepita studierte bei Peter Dreher, der ihn vielleicht mit der Ausdauer impfte, ein Ziel unnachgiebig zu verfolgen, und zudem das Interesse für Asien weckte. In bislang über 130 Skizzen-, wenn nicht gar Musterbüchern hat er Blumen in unnachahmlicher Weise – reduziert auf lineare Zeichen – festgehalten, die er in farbmächtig grundierten Gemälden, leuchtkräftigen Aquarellen, Zeichnungen mit Erdfarben sowie auf Teppichen zu eigenwillig chiffrierten, zauberhaft luftigen Linear-Phantasmagorien werden lässt. Außer den Teppichen ist von allen Genres etwas zu sehen in der Galerie, die somit einen ausgezeichneten Überblick über das Schaffen Rainer Nepitas bietet, das Floralornamentik, Kalligrafie und eine an Paul Klee orientierte Ästhetik miteinander verbindet.

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