Kataloge

Fondation Beyeler (Hg.): Wolfgang Laib. Das Vergängliche ist das Ewige, dt./engl., Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2005.

Wer je gesehen hat, wie Wolfgang Laib den Blütenstaub über den Museumsboden streut, der hat den Eindruck, vor diesem Mann, vor seinem Tun würde auch ein Orkan Halt machen.

Und noch ein erstaunliches Phänomen scheint hier erwähnenswert. Laib arbeitet seit nunmehr drei Jahrzehnten an einer Formensprache, die sich stetig ausgeweitet hat und sich doch immer treu blieb, als sei der Kunstmarkt nicht präsent, mehr noch: Ungebremst ist offensichtlich das Interesse an diesem Ausnahmekünstler, der den Markt aus den Angeln hebt – keinem Trend verpflichtet und mutmaßlich an den seismographisch-nervösen wie kurzlebigen Spitzen im Kunsthandel kaum interessiert, genießt er gleichermaßen von jeher und beständig hohe Wertschätzung.

Der 1950 in Metzingen geborene Laib kam über die Medizin zur Kunst, was nur auf den ersten Blick ein Umweg war. Bereits vorher war er etwa bei seinen Besuchen in Paris Dauergast im Ateliermuseum des schon legendären Constantin Brancusi, der Kontakt zur Kunst war also bereits da, als der – mit einer Arbeit zur Trinkwasserhygiene in Südindien - promovierte Mediziner dann Findlinge mit Hammer und Meißel bearbeitete, zum eiförmigen Brahmanda (einer Art kosmischem Ei der indischen Gottheit Brahma) umformte. Kurz nachdem er sich 1974 ganz für die Kunst entschieden hatte, entstanden die ersten Milchsteine: mit Milch gefüllte marmorweiße Steinkuhlen, die erstmals in Stuttgart in der Galerie Müller-Roth zu sehen waren. 1977 folgten die Blütenstaubteppiche, zunächst von Löwenzahn, dann auch von Haselnuss-, Kiefer-, Sauerampfer-, Erlen- und anderer Pflanzen. Damit war die Basis von Laibs gesamten folgendem Werk ausgebildet, das 1982 auf der Documenta 7 und 8 sowie der Biennale in Venedig gefeiert und später noch von den Reishäusern und den Bienenwachsräumen bzw. -schiffen ergänzt wurde. Ein Fest für die Augen und, was die Wachsräume angeht, auch für die Nase. Letzteres ist ein seltenes Erlebnis, wenn man nicht in den abgelegenen Regionen der Pyrenäen suchen will – zur Zeit ist ein Raum in der Ausstellung in Riehen installiert (und das neue Kunstmuseum Stuttgart besitzt ein solches Wachs-»Refugium«!). Zeigt sich hier das Werk von seiner architektonischen Anmutung, stellt es sich in den Reisaufschüttungen von seiner plastischen Seite, und selbst die malerische Qualität ist in den Pollenfeldern gegenwärtig.

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Die Arbeiten Wolfgang Laibs sind von ausgeprägter Schönheit, die aufgrund ihrer bestechenden Nähe zu meditativen Techniken und zur fernöstlichen Ästhetik auch nahezu unanfechtbar im Ausstellungsraum stehen (im Sinne einer atemberaubenden Präsenz). Dass sich nicht nur die Ausstellungsmacher dieser gewaltigen Ausstrahlung des Laibschen Oeuvres stellen müssen, wenn sie ihre Räume bespielen, sondern auch die Gestalter der Kataloge, liegt auf der Hand. Für das Buch zur Basler Schau konnte der Ostfilderner Verlag ein Wagnis angehen, weil er gleich mehrere Bücher über Wolfgang Laib im Programm hat, unter anderem den großen Katalog zur Münchner Retrospektive im Münchner »Haus der Kunst« aus dem Jahr 2002 (dessen damaliger Chef leitet nun das Beyeler-Haus), die allesamt einen erschöpfenden Blick auf das Werk Wolfgang Laibs werfen. Der Typograf und Grafiker Heinz Hiltbrunner hat den Satzspiegel der fast quadratischen, großen Seiten reichlich ausgereizt und mit der Futura eine außerordentlich ästhetische Schrift gewählt. Bei aller Schönheit ist die üppige Schriftgröße über die volle Breite hinweg durchaus gewöhnungsbedürftig, taucht man aber in die Lektüre ein, wiederholt sich der Wahrnehmungsprozess in Anbetracht des Werks: und die dargestellten Exponate, die nie einer Schriftseite gegenüberstehen, sondern immer miteinander korrespondieren können, sind in der Gesamtkomposition des Buches erst recht nicht an einen Satzspiegel gebunden und können sich bis in den Bund hinein entfalten. So unterstreicht die Gestaltung den meditativen Charakter des Werks. Transzendente Konzentration und geometrische Präzision fügen sich beides Mal gut zueinander.

Freilich ist es nahezu unmöglich, die unglaubliche Tiefe etwa der Pollenbilder zu erfassen, ohne das Original gesehen zu haben. Andrerseits ist die Wirkung derart überwältigend, dass man den gewonnenen Eindruck nie mehr vergisst (der Rezensent darf bekennen, dass sich ihm der Anblick des Künstlers an seinem Blütenstaubteppich während der Documenta 7 eingeprägt hat wie kein zweites Bild). Unter diesem Vorbehalt bietet der Katalog die bestmögliche Qualität, die man sich nur vorstellen kann. Zudem konfrontierte der Grafiker manche Einzelobjekte mit Ausschnitten aus der Natur und mit Aufnahmen, die den Künstler bei der Arbeit bzw. Aufbau der Werke zeigen, womit das gedruckte Bild auch seine tiefe Berechtigung unter Beweis stellen kann: wird doch unmittelbar deutlich, wie lebensnah Laib seine abstrakten Objekte anlegt, die sich also viel mehr als konkrete, natur- und lebensbezogene Alternativwelten erweisen denn als rein kontemplative Denkgebilde.

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Die Beiträge des Katalogs, die gar nicht erst versuchen, das Geheimnis der Laibschen Bildmagie zu verscheuchen, befassen sich sehr einfühlsam mit folgenden Aspekten: »Wege und Werktypen – Alte Symbole, erinnert in neuer Gestalt« (Katharina Schmidt), »Im Zwischenreich des White Cube – Kontinuität und Erneuerung im skulpturalen Werk« (Philippe Büttner) und »Aus der Zeit – Bemerkungen zu Form und Material bei Wolfgang Laib« (Ulf Küster).

Die Basler Ausstellung ist noch bis 26. Februar zu besichtigen. (Fondation Beyeler, Baselstrasse 101, CH-4125 Riehen / Basel, Tel. +41(0)61-6459700, Fax +41(0)61-6459719, Infoline auf Tonband: +41(0)61-6459777, E-Mail fondation@beyeler.com. – Täglich 10–18 Uhr, mittwochs 10–20 Uhr. Neu: Das Museum ist an allen Sonn- und Feiertagen geöffnet; außerdem gelten zu bestimmten Zeiten ermäßigte Eintrittspreise.)

 

Bibliographische Angaben

Fondation Beyeler (Hg.): Wolfgang Laib. Das Vergängliche ist das Ewige, dt./engl., Verlag Hatje Cantz, Ostfildern 2005.
124 Seiten. 51 farbige Abbildungen. Preis 39,80 EUR / 68,- SFR
ISBN 3-7757-1736-6

Im selben Verlag sind erschienen:
Wolfgang Laib. Ohne Ort, ohne Zeit, ohne Körper. Ostfildern: Hatje Cantz, 2004.
Wolfgang Laib. Retrospektive. Ostfildern: Hatje Cantz, 2002.

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