Ausstellungsbesprechungen

Franz Marc – Die Retrospektive

Blaue Pferde, gelbe Kühe, weiße Hunde. Anfang des 20. Jahrhunderts reagierte der Großteil des Publikums mit einem Aufschrei der Entrüstung und völligem Unverständnis. Es gab aber auch die anderen Stimmen, die das unfassbar Neue dieser Kunst in Worte zu fassen versuchten: »Sie trägt einen Tropfen Sonne in der Seele«, beschwor der Dichter Theodor Däubler eines der Kuhbilder von Franz Marc. Ein Kniefall!

Damit begann auch der im Ansatz hymnische, wenn auch zunächst kleinlaute Siegeszug einer Malerei, die bis heute die Betrachter in ihren Bann zieht. Da kommen der 125. Geburtstag und – im Jahr 2006 – der 90. Todestag gerade recht für die große Retrospektive zum Werk des Expressionisten, mit Kandinsky Hauptmeister der Künstlergruppe »Blauer Reiter«.

Wer immer glaubte, Marc zu kennen – er fehlt in keiner Kunstgeschichte, jeder Kunstkalender nimmt die Tiermotive des Malers dankbar auf, selbst ein Schulbesuch im Museum endet häufig bei Marcs grellbunten Gemälden –, findet zwar alles wieder, was er kannte. Aber die spektakuläre Schau in München bietet noch viel mehr: Mit rund 100 Gemälden sowie 145 Arbeiten auf Papier, bemalte Postkarten, Plastiken und kunstgewerbliche Arbeiten präsentieren die zwei Partnerhäuser der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und im Kunstbau (in unmittelbarer Nachbarschaft) nicht nur die kaum wiederholbare größte Werkschau seit 1916: muss man es doch als Ausnahmefall verbuchen, wenn annähernd 100 Leihgeber ihre Pforten öffnen und etwa die Hälfte des malerischen Gesamtwerks gezeigt wird. Allein die Fülle der Exponate stellt zudem den Popularitätsstatus auf den Prüfstand: Franz Marcs Werk ist nicht nur bunt, und – heutzutage – Inbegriff moderner Schönheit, sondern auch von ungemeiner Tiefe, die nie so sichtbar wurde wie in dieser Ausstellung.

Freilich will niemand das Image eines des beliebtesten Künstlers der Moderne ankratzen, im Gegenteil: Bestätigung findet der Ausstellungsbesucher in der klaren Zeichensprache Franz Marcs, in der positiven Ausstrahlung seiner Bilderwelt, in der Natur, Mensch und Tier in Harmonie miteinander leben. Aber das »brüllende Kuh-Gelb« (so Walter Mehring) wäre nur ein lautmalerisch aufgedonnertes Pendant zur lila Milka-Kuh der Werbung, wenn sich das Werk damit genügen würde. Franz Marc griff einen Faden aus der deutschen Romantik auf, der den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt sondierte, und er dachte die Farbsymbolik der Romantiker weiter, die etwa das Blau zur Sehnsuchtsfarbe erhoben – Marcs Reiter ließ grüßen.

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Von Gauguin, den er verehrte, übernahm Marc die Betonung des Einfachen, aber auch die Rätselhaftigkeit genau dieses einfachen Lebens, das dem modernen Menschen abhanden gekommen ist – so etwa in dem prächtigen Bild »Der Traum« (1912), in dem ein Frauenakt von Pferden und einem Löwen umgeben auf dem Boden sitzt, oder in dem Gemälde »Der weiße Hund« (1912), das auch unter dem vieldeutigen Titel »Hund vor der Welt« bekannt ist und das Sujet von Feuerbachs an Goethe orientierten »Iphigenie« zitiert, das Land der Griechen mit der Seele suchend. Dazu kommen noch die Anleihen aus dem Futurismus, die die explosive Intensität des Marcschen Werks vor Augen führen, die hinter dem scheinbar bezähmten Farbidyll lauert; Beispiele sind hier die »Kämpfenden Formen« und »Abstrakten Formen« (1914). »Die Sehnsucht nach dem unteilbaren Sein«, so Marc in dieser Zeit, »nach Befreiung von den Sinnestäuschungen unseres ephemeren Lebens ist die Grundstimmung aller Kunst. Ihr großes Ziel ist es, das ganze System unserer Teilempfindungen aufzulösen, ein unirdisches Sein zu zeigen, das hinter allem wohnt, den Spiegel des Lebens zu zerbrechen, dass wir in das Sein schauen.«

Die Präsentation folgt in erster Linie einer chronologischen Linie – vom spätimpressionistischen Frühwerk bis zum reifen Werk des mit nur 26 Jahren gestorbenen Künstlers - , die jedoch thematische Aspekte zulässt. Der Reiz der Ausstellung liegt nicht zuletzt in der Tatsache, dass Marc mit verschiedenen Techniken spielte. Faszinierend sind die Postkarten an Künstlerfreunde, die zum schönsten gehören, was der Expressionismus zu bieten hat. Einige Aspekte will die Münchner Ausstellung darüber hinaus noch vermitteln: die stilistische Entwicklung des Werks, die noch nie so gründlich nachgezeichnet wurde. Die bis ins Detail durchkomponierte Ausstellung kann sich auf die Ergebnisse stützen, die die Arbeit am dreibändigen »Werkverzeichnis Franz Marc« erbracht haben. Interessant ist auch das progressive Marketingkonzept, das in seiner Stringenz wohl bald Nachfolger finden wird: Die Außenauftritte werden allesamt – bis hin zum Cover des höchst beeindruckenden Katalogs – von freigestellten Tiermotiven aus Gemälden Franz Marcs auf weißem Grund begleitet.
 

 

Weitere Informationen

 

Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag 10–20, Freitag 10–24 Uhr
Heiligabend und Silvester geschlossen

Eintritt
10,- EURO / erm. 5 EURO, Jugendliche unter 18 Jahren 2,- EURO

Für Kinder und Jugendliche sei folgender Katalog empfohlen:
Astrid Brosch: Berge. Pferde. Blauer Reiter. München: Museumspädagogisches Zentrum, 2005. 64 Seiten. 6,50 EURO.

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